Die Medienmitteilung klingt verheissungsvoll: Syndicom übernehme mit dieser Vereinbarung «eine Vorrreiterrolle in der Regulierung der neuen Arbeitsform Crowdwork». Doch der Inhalt des «Code of Conduct» ist äusserst dünn: Mila muss bloss überprüfen, ob die von ihr vermittelten Arbeiten gesetzeskonform sind. Zudem «kann Mila von den Crowdworkern den Nachweis über die Anmeldung und korrekte Abrechnung bei den zuständigen Sozialversicherungsbehörden verlangen.» Kann, nicht muss.
Um zu verstehen, wie brandgefährlich diese Form der Beschäftigung ist, muss man erstens verstehen, was «Anmeldung bei den zuständigen Sozialversicherungsbehörden» genau meint. Nämlich, dass aus Arbeitnehmern Selbständige werden. Die einzige Sozialversicherungsbehörde, die für sie noch zuständig ist, ist die AHV. Doch auch dort sind sie Mitglieder zweiter Klasse: Statt 10,25 Prozent zahlen sie nur noch 5,3 bis 9,6 Prozent Beiträge. Hingegen entfallen alle obligatorischen Lohnprozente in die Pensionskasse, die Arbeitslosenversicherung und für die obligatorische Unfallversicherung. Insgesamt ist das ein Unterschied von gut 20 Lohnprozenten.
Am Ende stehen die Konsumenten
Zweitens muss man sich vergegenwärtigen, wie unsere moderne Arbeitsgesellschaft typischerweise funktioniert. Nämlich so: Ein Paar arbeitet während rund 40 Jahren mit einem durchschnittlichen 70 Prozent-Pensum und finanziert mit diesen 40 Jahren Arbeit noch zwei Jahre Arbeitslosigkeit, drei Jahre Krankheit und Elternschaftsurlaub und 23 Jahre Pensioniertendasein. Zudem bringt das Paar im Schnitt 1,6 Kinder über die Runden. Das ist kein Wunschdenken, sondern das, was sich unsere hocheffiziente Wirtschaft leisten kann. So haben wir uns organisiert.
Damit dies im Rahmen einer marktwirtschaftlichen Ordnung funktioniert, müssen diese sozialen Kosten weitestgehend auf die Verursacher, sprich auf die Kunden überwälzt werden. Um dieses Problem zu lösen, haben frühere Generationen eine patente Lösung erfunden und erstritten: obligatorische Sozialbeiträge, die von den Unternehmen in die Sozialwerke einbezahlt, in die Preise einkalkuliert und auf die Konsumenten überwälzt wurden.
Sparen mit Auslagern
Die Rolle der Unternehmen beschränkt sich aber nicht nur auf das Inkasso der Sozialbeiträge. Wichtig ist auch die Übernahme des unternehmerischen Risikos. Eine Familie kann man nur gründen, Kinder kann man nur ordentlich erziehen, wenn man ein einigermassen gesichertes Einkommen und einen halbwegs stabilen Arbeitsort hat. Plattform-Arbeit bietet nichts von alledem. Im Klartext: Die Marktgesellschaft hat bisher nur deshalb funktioniert, weil die Firma zwischen den eigentlichen Erbringern der Leistung und den Konsumenten eine vermittelnde Rolle übernommen hat.
Mit den Plattformen wird nun dieses Scharnier aus der Marktwirtschaft herausoperiert. Noch lebt der Patient. Wie lange noch? Laut Syndicom haben schon 32 Prozent der Schweizer Arbeitnehmer schon mindestens einmal Arbeit auf einer Plattform gesucht. Und: «Konzerne lagern immer mehr Arbeit an Plattformen aus, um Fixkosten und soziale Verpflichtungen zu verringern.» Ja klar, das Sparpotenzial ist riesig.
Gesetz nötig
Bisher ist Plattform-Arbeit überwiegend ein Nebenerwerb. Man verdient noch etwas dazu, und bietet sich entsprechend billig an. Doch das ist kein Trost: Wir leben in einer Marktwirtschaft. Ein Gewerbler, dessen Konkurrent seine Arbeit billig auf Plattformen einkauft, wird seine Löhne nicht mehr lange bezahlen können. Und spätestens, wenn die erste Generation der Crowdworker in Rente geht oder arbeitslos wird und von der Sozialhilfe und von Ergänzungsleistungen leben muss, wird es auch für die Staatskasse ungemütlich.
Heisst das, dass Syndicom versagt und die Latte zu tief gelegt und versagt hat? Nein. Die Gewerkschaft hat vermutlich erreicht, was sie auf der Ebene der Sozialpartnerschaft erreichen konnte. Doch das reicht einfach nicht. Das Problem der Plattformen muss dringend auf gesetzlicher Ebene gelöst werden: Plattformen müssen verschwinden, oder sie müssen zu Arbeitgebern werden und deren traditionelle Rolle übernehmen. Wenn nicht, haben wir in Kürze auch in der Schweiz einen Billiglohnsektor mit allen seinen Problemen. Im Vergleich dazu, ist der Kampf um die Entsenderichtlinie ein Nebenschauplatz.