Der Durchschnittsschweizer ächzt unter den Krankenkassenprämien. Doch es gibt auch Patienten, die sind nicht versichert, zahlen alles selber – und die genau deshalb umworben werden. Die Schweizer Spitäler haben die Medizintouristen entdeckt: Reiche Patienten aus Ländern mit einem schwachen Gesundheitssystem, insbesondere aus Russland, dem mittleren Osten und neuerdings China. Laut dem Fachjournal «International Medical Travel Journal» setzt die Schweiz mit ihnen pro Jahr rund drei Milliarden Franken um.
In der Branche nennt man sie «Selbstzahler». Die Schweizer Spitäler rollen ihnen den roten Teppich aus. Denn: Das Schweizer Gesundheitssystem ist reguliert. So ist festgelegt, was Operationen kosten. Ein Geschäft machen können die Spitäler nur mit Privatversicherten und mit Selbstzahlern aus dem Ausland. Sie berappen höhere Tarife für die Eingriffe. Und natürlich für all ihre Sonderwünsche.
Spital hilft beim Visum
Von den fünf Schweizer Uni-Spitälern betreiben vier ein «International Office» – ein Büro, das sich nur um die Bedürfnisse der Selbstzahler kümmert. «Die Patientenmanager erledigen alle administrativen Aufgaben vor Ihrer Ankunft, um Ihren Besuch möglichst reibungslos und ohne unnötige Wartezeiten zu gestalten», steht auf der Webseite des Berner Inselspitals. Zum Beispiel kümmert sich das Spital um Visa für die Patienten. Auf Anfrage konnte die «Insel» nicht sagen, wie viele Patienten aus dem Ausland kommen. Dafür richtet das Unispital Zürich (USZ) gegenüber SonntagsBlick aus: «Das USZ geniesst gerade im Bereich der spezialisierten und hochspezialisierten Medizin auch im Ausland einen ausgezeichneten Ruf.» Die Nachfrage zeige eine «leicht steigende Tendenz». Keinen Hehl um seine Ambitionen macht das Universitätsspital Basel. «Es ist ein gutes Geschäft. Aber aufs Gesamtvolumen gesehen noch sehr klein. 0,3 Prozent aller stationären Patienten kommen aus dem nichteuropäischen Ausland. Das möchten wir ausbauen.»
«Ausländische Gäste vertrauen dem Schweizer System»
Die Privatspitäler sind bereits einen Schritt weiter. Sie decken alle Bedürfnisse der zahlungskräftigen internationalen Kundschaft ab. So hat die Hirslanden-Gruppe VIP-Eingänge für prominente Patienten. Auf dem Bürgenstock wird in zwei Monaten das Waldhotel eröffnet – eine Art «Medizinhotel». Es ist das grösste der vier Hotels im Megaresort über dem Vierwaldstättersee. Angestrebt wird eine Mischung aus Schweizer und internationalen Patienten. Damit genügend Schweizer kommen, soll das Waldhotel auf die Spitalliste.«Es ist uns ein Anliegen, dass die lokale Bevölkerung eine Reha-Möglichkeit in der Nähe hat. Der Kanton Nidwalden hat zum Beispiel keine Reha-Klinik», sagt Resort-Chef Bruno H. Schöpfer. «Der Gesundheitsbereich wird substanziell zum Erfolg des Bürgenstock-Resorts beitragen. Mit 160 Zimmern hat es fast gleich viele wie die anderen drei Hotels zusammen.» Die Schweizer Patienten bilden die Basis des Geschäftsmodells, die Ausländer sorgen für den Gewinn. Doch warum sollte ein Bürgenstock-Gast aus dem Ausland in der Schweiz zum Arzt? «Ausländische Gäste vertrauen dem Schweizer Gesundheitssystem mehr als dem zu Hause.»
Insel-Spital hat Deal mit Luxushotels
Medizin und Tourismus gehen Hand in Hand – nicht nur auf dem Bürgenstock. Denn: Die reichen Patienten kommen in der Regel nicht allein. Sie bringen eine ganze Entourage mit – nicht selten inklusive Bodyguards. Und die müssen alle irgendwo schlafen. Als internationaler Gast im Inselspital profitiert man von «vorteilhaften Konditionen» in Berner Hotels – darunter in den Edel-Absteigen Bellevue Palace und Schweizerhof. Für Schweiz Tourismus sind die Luxuspatienten ein wichtiger Zukunftsmarkt. «Die Schweiz mit ihrer hervorragenden Hotelinfrastruktur und ihrer reinen Natur bietet ausgezeichnete Rahmenbedingungen für ein Wachstum des Medical Tourism», schreibt Sprecher Markus Berger. Die Vermarktung stecke aber noch in den Kinderschuhen und müsse ausgebaut werden.
Ärzte streiten sich um berühmte Patienten
Das Problem: Der Medizintourismus ist eine Blackbox. Niemand weiss, wie viele Patienten aus dem Ausland kommen. Oder ob die Allgemeinheit, die für die Infrastruktur aufkommt, gar draufzahlt. Die Spitäler argumentieren, dass die Selbstzahler mithelfen, die teure Schweizer Spital-Ausrüstung zu finanzieren. Doch schreibt das Bundesamt für Gesundheit: «Wir können eine Quersubvention nicht nachvollziehen und nicht bestätigen.» Zahlen oder Statistiken habe man nicht. Und man habe auch nicht vor, solche zu erheben. «Das Bundesgesetz bietet keine Handhabe. Es handelt sich um eine rein private Dienstleistung.»
Doch der Medizintourismus hat Folgen. Einerseits verhindert er, dass sich in Schwellenländern ein anständiges Gesundheitswesen entwickeln kann. Aber auch Schweizer Patienten spüren Auswirkungen – wenn auch nicht bewusst. Ein Insider erzählt gegenüber SonntagsBlick: «Wenn sich ein berühmter Patient anmeldet, fetzen sich die Ärzte darum, wer ihn operieren darf.» Dann wird auch mal eine Ausnahme gemacht und am Sonntag operiert. Und wenn jemand beispielsweise zwei Monate auf eine Knie-OP wartet und ein Scheich möglicherweise den gleichen Eingriff braucht? «Dann gibt es Ärzte, die den Schweizer Normalversicherten anrufen, um seine Operation zu verschieben.»