Arbeitspsychologe plädiert für maximal 34 Stunden pro Woche
«Arbeitet doch alle weniger!»

Ohne Pausen brennen wir aus, warnt Theo Wehner (68). Wer im Job nicht lockerlässt, so der Arbeitspsychologe, kann es auch nicht daheim.
Publiziert: 09.07.2017 um 12:28 Uhr
|
Aktualisiert: 12.09.2018 um 01:43 Uhr
Arbeitspsychologe Theo Wehner auf der Dachterrasse der ETH Zürich: «Ich kann meine Faulheit leben.»
Foto: Valeriano Di Domenico
Interview: Adrian Meyer

SonntagsBlick: Herr Wehner, wann haben Sie zum letzten Mal blaugemacht?
Theo Wehner: Das ist über 50 Jahre her. Ich war etwa 15 Jahre alt und Kaufmannslehrling.

Hatten Sie ein schlechtes Gewissen?
Sicher nicht. Zur Faulheit gehört eben, dass man sich damit identifiziert. Das konnte ich. Zudem war ich sehr jung.

Machen Wissenschaftler blau?
Nein, auch wenn mir manchmal die Lust fehlt. Ich kann meine Faulheit leben. Leider ging das an den meisten Arbeitsplätzen verloren.

Wir sollen bei der Arbeit mehr tagträumen, raten Sie.
Tagträume sind kleine Utopien. Wir brauchen sie, um die Fan­tasie anzuregen. Es reicht nicht, nur nachts zu träumen.

Wer im Büro die Beine hochlegt, gilt als verdächtig ...
... weil wir glauben, dass jemand nur dann etwas leistet, wenn er sichtbar aktiv ist. Wenn jemand Hunderte von Excel-Tabellen auf seinem Computer offen hat, ist er angeblich fleissig.

Foto: Valeriano Di Domenico

Was passiert, wenn wir keine Zeit haben nachzudenken?
Wir brennen aus. Das innere Feuer erlischt, wenn man keine Fantasie mehr hat für das, wofür man brennt.

Unser Gehirn kann maximal eine Stunde am Stück konzentriert arbeiten. Ist da ein Acht-Stunden-Tag sinnvoll?
Nicht unbedingt. Die Forschung hat bewiesen, dass die Produk­tivität zunimmt, wenn man Pausen macht. Aber das wird nicht eingesehen. Das Kontrollbedürfnis ist bei Vorgesetzten und selbst unter Arbeitskollegen zu gross.

Stress ist zum Statussymbol geworden.
Wir kokettieren mit unserer Geschäftigkeit, fühlen uns wohl im Stress. Dabei fürchten wir uns vor Langeweile.

Warum ist das so?
Wir sind nicht fürs Nichtstun geschaffen, sondern tätige Wesen. Noch im Schlaf treffen wir Entscheidungen. Langeweile ist eine Herausforderung; im Nichtstun begegnen wir uns selbst. Dieser Erfahrung stellen wir uns aber gar nicht mehr. Wir verschütten unser Ich unter Routinen – und damit ein Stück unseres Menschseins.

Warum ist jeder vierte Schweizer erschöpft, obwohl die wöchentliche Arbeitszeit abnimmt?
Unsere Gesellschaft brennt aus. Wir erledigen immer mehr in immer kürzerer Zeit. Und haben zu wenig Zeit, uns zu erholen. Auch die Freizeit verdichtet sich. Dabei gestalten wir unsere freie Zeit nicht mehr selber, sondern konsumieren bloss noch. Wir leben im Haben-, nicht im Sein-Modus.

Was müsste sich ändern?
Wir brauchen flexiblere Arbeitszeiten und mehr Musse am Arbeitsplatz. Arbeitet doch alle weniger! Der Mensch braucht nur kurz einen anderen Reiz, um sich zu erholen. Wer vom Schreibtisch in die Landschaft schaut, erholt sich bereits. Wer sich am Arbeitsplatz nicht gehen lassen kann, entspannt sich auch nicht in der Freizeit.

Wie viel Arbeit ist gut?
Die höchste Lebenszufriedenheit wird erreicht, wenn die Arbeitszeit zwischen 21 und 34 Stunden liegt. Zu wenig oder zu viel Arbeit ist nicht gut.

Jeder kann es schaffen, wenn er nur hart genug arbeitet: Ist das nicht ein Scheinargument, um uns besser auszubeuten?
Es ist ein riesiges Versprechen. Jeder glaubt, er sei selber verantwortlich für seine Zufriedenheit, seine Karriere. Wer nicht zufrieden ist im Job, ist selber schuld. Daran scheitern wir. Es führt zum erschöpften Selbst. In einer arbeitsteiligen Gesellschaft kann das nicht funktionieren. Wir brauchen Zusammenarbeit.

Muss mein Job Sinn spenden?
Was wir tun, verändert uns und das Produkt. Wenn etwas mit Liebe gemacht ist, merkt man das. Man kann nicht von neun bis fünf bloss den Job erledigen und das Menschsein auf danach verschieben. Der Mensch ist kein Automat, der bloss einen Schalter umlegen muss. Dieser Versuch endet in Komasaufen und Exzessen. Weil alles, was geil ist, in der Freizeit stattfinden muss.

Foto: Valeriano Di Domenico

Jetzt müssen Sie mir noch erklären, wieso die Schweizer gegen mehr Ferien stimmen.
Das lässt sich nur mit Ironie verstehen. Eine Woche mehr Ferien erleben die Schweizer als Bedrohung. Sie fühlen sich der Wirtschaft verpflichtet. Und zwar aus Angst, den Job zu verlieren.

Warum sind die Schweizer solche Arbeitstiere?
Sie haben gute, gut bezahlte Arbeit. Darum ist die Bereitschaft, mehr zu tun, sehr hoch. Was mich irritiert, ist die hohe Zahl an Pseudo-Zufriedenen. Jeder Dritte in der Schweiz ist äusserlich zufrieden, hat aber innerlich resigniert. Diese Menschen haben keine Hoffnung, dass sich ihr Job verbessert – nicht einmal durch einen Stellenwechsel. Das bedeutet am Ende gesellschaftlichen Stillstand. Wie wir künftig leben wollen, entscheidet sich in der Arbeitswelt.

Was wollen Sie damit sagen?
Die Frage nach dem Arbeitsmodell ist eine Frage nach unserem Menschenbild und unserem Gesellschaftsentwurf. Was tun wir, wenn durch die Digitalisierung 30 Prozent und mehr Arbeitsplätze wegfallen? Konsum ist kein Ersatz. Das Grundeinkommen wäre eine Möglichkeit.

Was würden Sie tun, müssten Sie nicht arbeiten?
Trotzdem arbeiten. Ich bin emeritiert, war 79 Semester an der Universität. Und noch immer erlebe ich neue Dinge. Wissenschaftler zu sein, ist ein riesiges Privileg.

Theo Wehner

Der gebürtige Deutsche Theo Wehner (68) ist emeritierter Professor für Arbeits- und Organisa­tionspsychologie an der ETH Zürich. Nachdem er mehrere Jahre als Kaufmann gearbeitet hatte, studierte er an der Universität Münster Psychologie und Soziologie. Seine Spezialgebiete sind die Fehlerforschung sowie die Kooperation am Arbeitsplatz.

Der gebürtige Deutsche Theo Wehner (68) ist emeritierter Professor für Arbeits- und Organisa­tionspsychologie an der ETH Zürich. Nachdem er mehrere Jahre als Kaufmann gearbeitet hatte, studierte er an der Universität Münster Psychologie und Soziologie. Seine Spezialgebiete sind die Fehlerforschung sowie die Kooperation am Arbeitsplatz.

10 Tipps um ein Burnout zu verhindern
  1. Gegen Stressphasen ist nichts einzuwenden. Sie können im Gegenteil belebend wirken. Darauf müssen aber Phasen der Entspannung folgen. Fehlen diese, werden wir auf Dauer krank. Ist dies so, kann die Devise nur noch heissen: Stress, lass nach! Alles, was dazu beiträgt, ist erwünscht.
  2. Zum Beispiel Sport: Mens sana in corpore sano – in einem gesunden Körper steckt ein gesunder Geist. Die Weisheit der alten Römer gilt noch heute. Ob Joggen, Fussball oder Schwimmen: Bewegung an der frischen Luft entspannt und gibt eine starke Konstitution. Diese wiederum hilft, Krisen besser zu bewältigen.
  3. Oder Entspannungstechniken wie autogenes Training, Meditation und Tai-Chi: Finden Sie, was Ihnen zusagt und Ihnen hilft, den Geist zu entspannen.
  4. Schützen Sie sich vor Stress am Arbeitsplatz: Sprechen Sie Konflikte an. Delegieren Sie, wenn die Arbeit zu viel wird. Weisen Sie ungerechtfertigte Kritik zurück. Fordern Sie Feedback ein. Ist Ihnen eine Aufgabe nicht klar oder ergibt sie für Sie keinen Sinn fragen Sie nach.
  5. Schalten Sie regelmässig Ihr Smartphone aus: wenn Sie konzentriert an etwas arbeiten, wenn Sie sich gerade entspannen wollen. Wer immer auf Empfang ist, kann sich nicht erholen.
  6. Fällt Ihnen schwer, jemandem eine Bitte abzuschlagen? Machen Sie bei der Arbeit alles lieber selbst? Lernen Sie, auch einmal Nein zu sagen! Seien Sie versichert: Die Welt wird sich trotzdem weiterdrehen.
  7. Kampf dem Perfektionismus! Wem seine Arbeit nie gut genug ist, droht auszubrennen.
  8. Ehrlich währt am längsten: Erkennen Sie die Symptome und gestehen Sie sich ein, dass Sie ein Problem haben. Verfolgt Sie die Arbeit in den Schlaf, der immer schwieriger zu finden ist? Sind Sie auch nach dem Wochenende erschöpft oder nach den Ferien? Dann ist es Zeit zu handeln.
  9. Ist es so weit, glauben Sie nicht, dass auf die Zähne beissen hilft. Lassen Sie sich helfen: Sprechen Sie mit einer Vertrauensperson aus der Familie oder dem Freundeskreis, wenden Sie sich an Ihre Ärztin oder einen Psychiater.
  10. Schleppen Sie sich nur noch zur Arbeit, empfinden Sie keine Freude mehr im Leben, fühlen Sie sich von Ihren Mitmenschen distanziert? Reden Sie mit Ihrem Arzt über Antidepressiva.
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