Teilliberalisierter Strommarkt. Was für ein Wort. Da verknotet sich die Zunge von manch einem schon, wenn er es nur laut vorliest.
Diese Woche thematisierte der BLICK die Pläne des Bundesrats, den Markt vollständig zu öffnen. Mögliche Folgen: Massive Umweltschäden, unsichere Versorgung des Landes, aber auch Innovationen. Für den Konsumenten selbst dagegen bedeutet eine Marktöffnung vor allem: freie Anbieterwahl.
Heute nämlich ist jeder Haushalt noch an seinen Stromversorger und dessen Preis gefesselt. In der Praxis kommt es mancherorts zu seltsamen Auswüchsen. Wie zum Beispiel in den Nachbargemeinden Niederbipp BE und Oberbipp BE die im Verwaltungskreis Oberaargau liegen.
400 Franken Differenz
Vor wenigen Wochen hat die Eidgenössische Elektrizitätskommission (Elcom) die Strompreise für 2019 bekanntgegeben. Im Schnitt zahlen Haushalte 20,5 Rappen pro Kilowattstunde (kWh) Standardstrom, macht bei einem normalen Verbrauch von 4500 kWh pro Jahr eine Rechnung von gut 920 Franken.
In Oberbipp dagegen blecht der Durchschnitts-Haushalt 1140 Franken. Der Niederbipper Haushalt ein paar Hundert Meter weiter zahlt hingegen nur 760 Franken im Jahr. Der Unterschied auf der Rechnung also: fast 400 Franken. Macht bei rund 2000 Privathaushalten in Niederbipp eine Total-Ersparnis von 800'000 Franken.
Wie ist das möglich? Im Jahr 1923 hat Oberbipp sein Stromnetz für 13'500 Franken an die BKW verkauft. Darum beziehen die Oberbipper heute bei deren Tochterfirma, der Onyx Energie Mittelland AG in Langenthal BE. Anbieter wechseln? Geht nicht – ein Monopol! Onyx beliefert 64 Gemeinden in den Kantonen Solothurn und Bern.
Niederbipper haben eigenes Netz
Sie darf, so das Gesetz, den Strom zu den sogenannten Gestehungskosten verrechnen. Das sind jene Kosten, die für Produktion und Netz anfallen. Hinzu kommen Abgaben ans Gemeinwesen und Förderabgaben für erneuerbare Energien.
Die Abgabe für erneuerbare Energien von 2,3 Rappen pro kWh müssen die Niederbipper zwar auch bezahlen. Bei allen anderen Elementen aber kommen sie billiger weg. Grund: Die Elektrizitätsversorgung Niederbipp besitzt ihr Netz noch selbst. Das bedingt drei Vorteile: Erstens erlässt die Gemeinde ihren Bürgern die Abgabe ans Gemeinwesen – in Oberbipp sind das immerhin 1,5 Rappen pro kWh. Zweitens sind die Kosten fürs Netz 3 Rappen pro kWh tiefer.
Schliesslich muss die Onyx ein grosses, ländliches Netz finanzieren, die Elektrizitätsversorgung Niederbipp bloss eines auf Gemeindegebiet. Und der dritte, wichtigste Unterschied ist der Preis des Stroms an sich: Dieser ist mit 6,12 Rappen pro kWh in Niederbipp fast 4 Rappen günstiger als in Oberbipp. Grund ist eben der – ohne dieses Wort gehts nicht – teilliberalisierte Strommarkt.
Onyx: «Wir sind stolz»
2009 öffnete der Bundesrat den Strommarkt zur Hälfte. Und erlaubte Kunden mit mehr als 100'000 kWh Jahresverbrauch, ihren Pfuus frei auf dem Markt einzukaufen. Darunter fallen grössere Firmen, aber auch Gemeindebetriebe wie in Niederbipp.
Auf dem Markt liegt der Strompreis aktuell deutlich unter den Gestehungskosten der Onyx. Kein Wunder also, deckt sich Niederbipp dort ein. Zudem setzt Niederbipp vor allem auf Atomstrom. Der ist billiger als der Wasserstrom, den Onyx als Standardprodukt führt.
Bruno Jordi (51), Bereichsleiter Markt bei Onyx, sagt jedoch: «Wir sind stolz darauf, unseren Kunden im Standardprodukt 100 Prozent Schweizer Wasserkraft anzubieten. Dass er ein bisschen teurer ist als jener, der nicht aus erneuerbaren Quellen stammt, ist dabei völlig klar.»
Auch Thomas Beer (SVP,48), Gemeindepräsident von Oberbipp, ärgert sich trotz der finanziellen Einbussen nicht über den Stromnetz-Verkauf vor 95 Jahren. «Das ist heute schwer zu beurteilen», sagt er. «Unsere Vorgänger im Gemeinderat hatten damals bestimmt gute Gründe.»
Tafelsilber nicht verscherbelt
Dagegen freut sich Niederbipps Präsidentin Sibylle Schönmann (SVP, 48). «Der Gemeinderat hat Ende der 1990er-Jahre intensiv diskutiert, ob er das Netz verkaufen soll», sagt sie beim Kaffee in ihrem Büro. Damals hätte man wohl etwas über 10 Millionen Franken dafür erhalten. «Aber die Gemeinderäte wollten das Tafelsilber nicht verscherbeln. Heute sind wir enorm froh darüber.»
Der Preisvorteil der Niederbipper könnte bald teilweise futsch sein. Der Marktpreis steigt in den letzten Jahren so stark, er könnte bald über den Herstellungskosten des Monopols liegen. Dann würden die Niederbipper nur noch vom billigeren Netz zehren. Zudem bliebe es weiter der Gemeinde überlassen, ob sie eine Abgabe ans Gemeinwesen verlangt.
Beim Strom selbst haben die Haushalte beiderorts wahrscheinlich bald gleich lange Spiesse – sie dürfen auswählen: Die Voll-Liberalisierung dürfte bis 2023 durch die politischen Mühlen sein. Dann ist zumindest dieser Irrsinn kein Thema mehr.
Den günstigsten Pfuus im Land gibts seit Jahren schon in Zwischbergen VS. Die 77 Einwohner können den Strom für 5,95 Rappen pro kWh beziehen, weil sie oberhalb eines Wasserkraftwerks wohnen und sich im Tausch für die Konzession einen tiefen Preis gesichert haben. Der Durchschnittshaushalt bezahlt knapp 270 Franken im Jahr. Am teuren Ende der Skala steht die Stadt Basel mit den zwei baselstädtischen Gemeinden Riehen und Bettingen. Dort zahlt der Durchschnittshaushalt 1253 Franken. Das sind fast 1000 Franken mehr als im günstigen Zwischbergen. Der Schweizer Schnitt bei den Stromkosten: 923 Franken.
Den günstigsten Pfuus im Land gibts seit Jahren schon in Zwischbergen VS. Die 77 Einwohner können den Strom für 5,95 Rappen pro kWh beziehen, weil sie oberhalb eines Wasserkraftwerks wohnen und sich im Tausch für die Konzession einen tiefen Preis gesichert haben. Der Durchschnittshaushalt bezahlt knapp 270 Franken im Jahr. Am teuren Ende der Skala steht die Stadt Basel mit den zwei baselstädtischen Gemeinden Riehen und Bettingen. Dort zahlt der Durchschnittshaushalt 1253 Franken. Das sind fast 1000 Franken mehr als im günstigen Zwischbergen. Der Schweizer Schnitt bei den Stromkosten: 923 Franken.