Unfall
Drama am Berninapass

Publiziert: 27.05.2006 um 21:36 Uhr
|
Aktualisiert: 12.10.2018 um 04:01 Uhr
Daniel Jaggi
Ihre Eltern starben. Aber Selina (11) und Jasmin (2) überlebten den 300-Meter-Sturz im Auto. Rettungs-Sanitäter Peter Caviezel (41) und die Notärztin leisteten Soforthilfe.

Peter Caviezel war am Montagabend unterwegs nach Hause, als um 18.33 Uhr der Alarm kam: Schwerer Verkehrsunfall auf dem Bernina-Pass. Caviezel ahnte sogleich: «Das wird ein schwieriger Einsatz.»

Zwölf Minuten später landet Caviezel im Rega-Heli 30 Meter neben einem total demolierten Toyota. Das Auto war 300 Meter von der Strasse über Felsen in die Tiefe gestürzt. «Wir liefen mit der Notversorgungstasche zum Auto. Als Erstes sah ich eine Frau und einen Mann.»

Caviezel prüft den Puls der Mitfahrerin: nichts. Auch der Mann hinterm Steuer hat keinen Herzschlag mehr. «Erst dann haben wir auf dem Rücksitz ein Kleinkind entdeckt. Wir kümmerten uns sofort um das Mädchen.» Es sass angegurtet in seinem Kindersitz – und lebte. Die Helfer stabilisieren das Mädchen und tragen es zum Heli.

Die Rettungscrew fliegt zur Strasse hoch, zur 11-jährigen Schwester des Mädchens vom Rücksitz. Sie ist schwer verletzt. Allein war sie aus dem Unfallauto gestiegen und 200 Meter weit gelaufen, um Hilfe zu holen. Mit seiner Crew und den beiden Kindern an Bord fliegt Pilot Thomas Bärfuss (39) los – ins Kantonsspital nach Chur.

Kurz nach dem Start erwähnt jemand den Namen der verunglückten Familie. Caviezel wird hellhörig: «Auf einmal ist mir bewusst geworden: Auf meinem Schoss sitzt, warm in Wolldecken eingepackt, die zweijährige Jasmin… die Tochter meines Nachbarn.»
Caviezel begreift erst jetzt, welche Tragödie eigentlich geschehen ist. «Immer wieder habe ich mich gefragt: Warum passiert das meinen lieben Nachbarn?»

Das Ehepaar gilt in ihrem Wohnort Bever GR als freundlich und humorvoll. Sie hüteten regelmässig Caviezels Katzen, wenn er in den Ferien war. Bergführer Albert I.* gilt bei seinen Berufskollegen als sehr vorsichtiger Tourengänger. Der Rettungssanitäter kann den Horror-Unfall auch fünf Tage nach dem Unglück noch nicht begreifen: «Auf einen Schlag sind die drei Kinder zu Vollwaisen geworden – warum nur?»

Der Rettungscrew bleibt nur ein Trost: Sie haben den beiden verunfallten Kindern so gut geholfen, wie es nur möglich war.

* Name der Redaktion bekannt

Fehler gefunden? Jetzt melden