Sprachenstreit
Hochdeutsch schon im Chindsgi!

Publiziert: 19.05.2007 um 20:08 Uhr
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Aktualisiert: 30.09.2018 um 19:56 Uhr
Von Daniel Jaggi
Seit dem Pisa-Test ist klar: Unsere Schüler haben im Europavergleich grosse Schwächen. Nun soll schon im

Kindergarten Hochdeutsch gepaukt werden. Für viele Eltern ein Graus.

Rorschach SG, Montagnachmittag vergangener Woche: Zwanzig Kinder und ihre Eltern überreichen Stadtpräsident Thomas Müller (54) und Schulrat Guido Etterlin ein in pinkfarbenes Papier gewickeltes «Gschänkli» – 650 Unterschriften, mit denen sie gegen die geplante Einführung von Hochdeutsch im Kindergarten protestieren.

Die Initiantin der Petiton, Kindergärtnerin Andrea Schoch (29): «Gegen einige Stunden Hochdeutsch haben wir nichts. Aber: Wird im Kindergarten nur noch Hochdeutsch gesprochen, geht die Mundart verloren.»

Das ist für die Deutschschweizer Erziehungsdirektoren kein Argument. Sie sind alarmiert über das schlechte Abschneiden der Schweizer Schüler im Pisa-Test 2002. Deshalb streben sie seitdem die flächendeckende Einführung von Hochdeutsch in den Kindergärten an. Ihr Ziel ist eine möglichst frühe Sprachförderung der Kinder.

Nicht nur Eltern sind dagegen

Inzwischen haben die meisten Deutschschweizer Kantone Hochdeutsch zur «empfohlenen» Umgangssprache in den Kindergärten deklariert. Im Thurgau und Wallis ist Hochdeutsch bereits Pflicht, Glarus und Zürich wollen demnächst nachziehen.

Widerstand dagegen regt sich nicht nur in Rorschach: In Schlieren sammelten Eltern vergangenen Sommer 1500 Unterschriften. Und das Churer Stadtparlament lehnte vor zwei Monaten einen Antrag, Hochdeutsch im Chindsgi zur Pflichtsprache zu machen, mit 13:6 Stimmen ab.

Sprachwissenschafter: «Dialekt nicht bedroht»

Für den Basler alt Ständerat und Dialektberater Carl Miville (86) zu Recht. Seiner Meinung nach darf nicht schon im Kindergarten mit Hochdeutsch begonnen werden. «Unser Dialekt verdient gepflegt und gefördert zu werden.»

Peter Sieber (53), Sprachwissenschaftler an der Pädagogischen Hochschule Zürich, hält den Widerstand der Eltern für unbegründet: «Der Dialekt geht deswegen nicht vor die Hunde. Das haben verschiedene Untersuchungen gezeigt.» Professor Sieber: «Der Einfluss der wenigen Hochdeutsch-Stunden im Kindergarten auf die Mundart wird masslos überschätzt.»

Die Kinder selbst haben kein Problem

Den Kindern bereitet die Hochsprache offensichtlich Spass. Die Kindergärnerin Marie-Hélène Stäger (50), die in Bilten GL 19 Kinder unterrichtet, spricht seit knapp einem Jahr an zwei Vormittagen pro Woche im Kindergarten nur noch Hochdeutsch. Stäger: «Die Fortschritte sind enorm. Einigen Kindern macht es gar keine Mühe mehr, mir in ganzen Sätzen zu antworten.»

In Rorschach hat der Stadtrat die Petitionäre inzwischen zu einer Aussprache eingeladen.

Roman Seiler - PRO
Kinder und Hochdeutsch: Je früher sie es lernen, desto leichter fällt es ihnen. Schliesslich ist Hochdeutsch die Schriftsprache der Deutschschweiz. Ich lernte es von der ersten Primarklasse an. Es war fast ein Kinderspiel. Und eröffnete mir die Chance, Bücher zu lesen. Meine ersten waren die Abenteuer von Nonni und Manni, zwei isländischen Kindern. Aber es gibt auch noch ein weniger sentimentales Argument: Kindergärtnerinnen, die mit ihren ausländischen Zöglingen Hochdeutsch sprechen, erleichtern ihnen den Zugang zu unserer Kultur. Und den Schweizer Kindern den Zugang zu ihnen.
HarmoS: Strukturen und Lehrpläne an Schweizer Schulen sollen vereinheitlicht werden.
HarmoS: Strukturen und Lehrpläne an Schweizer Schulen sollen vereinheitlicht werden.
Keystone
Kinder und Hochdeutsch: Je früher sie es lernen, desto leichter fällt es ihnen. Schliesslich ist Hochdeutsch die Schriftsprache der Deutschschweiz. Ich lernte es von der ersten Primarklasse an. Es war fast ein Kinderspiel. Und eröffnete mir die Chance, Bücher zu lesen. Meine ersten waren die Abenteuer von Nonni und Manni, zwei isländischen Kindern. Aber es gibt auch noch ein weniger sentimentales Argument: Kindergärtnerinnen, die mit ihren ausländischen Zöglingen Hochdeutsch sprechen, erleichtern ihnen den Zugang zu unserer Kultur. Und den Schweizer Kindern den Zugang zu ihnen.
Daniel Jaggi - KONTRA
Zurecht wird der Kindergarten vielerorts gerne auch als «Gvätterli-Schuel» bezeichnet. Frei von Leistungsdruck dürfen die Kinder hier noch Kinder sein. Sie dürfen gvätterle, chnüble, chüngele, schludere und sogar moorgse. Sprechen die Kindergärtnerinnen nur noch Hochdeutsch, geht genau dieser Dialektreichtum im Bereich des Alltagslebens und des Ausdrucks von Gefühlen verloren. Statt gvätterle heisst es dann arbeiten, statt chnüble arbeiten, statt chüngele arbeiten, statt schludere arbeiten, statt moorgse arbeiten.
Wollen wir, dass diese Vielfalt verloren geht? Nein!
HarmoS: Strukturen und Lehrpläne an Schweizer Schulen sollen vereinheitlicht werden.
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Keystone
Zurecht wird der Kindergarten vielerorts gerne auch als «Gvätterli-Schuel» bezeichnet. Frei von Leistungsdruck dürfen die Kinder hier noch Kinder sein. Sie dürfen gvätterle, chnüble, chüngele, schludere und sogar moorgse. Sprechen die Kindergärtnerinnen nur noch Hochdeutsch, geht genau dieser Dialektreichtum im Bereich des Alltagslebens und des Ausdrucks von Gefühlen verloren. Statt gvätterle heisst es dann arbeiten, statt chnüble arbeiten, statt chüngele arbeiten, statt schludere arbeiten, statt moorgse arbeiten.
Wollen wir, dass diese Vielfalt verloren geht? Nein!
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