Kindergarten Hochdeutsch gepaukt werden. Für viele Eltern ein Graus.
Rorschach SG, Montagnachmittag vergangener Woche: Zwanzig Kinder und ihre Eltern überreichen Stadtpräsident Thomas Müller (54) und Schulrat Guido Etterlin ein in pinkfarbenes Papier gewickeltes «Gschänkli» – 650 Unterschriften, mit denen sie gegen die geplante Einführung von Hochdeutsch im Kindergarten protestieren.
Die Initiantin der Petiton, Kindergärtnerin Andrea Schoch (29): «Gegen einige Stunden Hochdeutsch haben wir nichts. Aber: Wird im Kindergarten nur noch Hochdeutsch gesprochen, geht die Mundart verloren.»
Das ist für die Deutschschweizer Erziehungsdirektoren kein Argument. Sie sind alarmiert über das schlechte Abschneiden der Schweizer Schüler im Pisa-Test 2002. Deshalb streben sie seitdem die flächendeckende Einführung von Hochdeutsch in den Kindergärten an. Ihr Ziel ist eine möglichst frühe Sprachförderung der Kinder.
Nicht nur Eltern sind dagegen
Inzwischen haben die meisten Deutschschweizer Kantone Hochdeutsch zur «empfohlenen» Umgangssprache in den Kindergärten deklariert. Im Thurgau und Wallis ist Hochdeutsch bereits Pflicht, Glarus und Zürich wollen demnächst nachziehen.
Widerstand dagegen regt sich nicht nur in Rorschach: In Schlieren sammelten Eltern vergangenen Sommer 1500 Unterschriften. Und das Churer Stadtparlament lehnte vor zwei Monaten einen Antrag, Hochdeutsch im Chindsgi zur Pflichtsprache zu machen, mit 13:6 Stimmen ab.
Sprachwissenschafter: «Dialekt nicht bedroht»
Für den Basler alt Ständerat und Dialektberater Carl Miville (86) zu Recht. Seiner Meinung nach darf nicht schon im Kindergarten mit Hochdeutsch begonnen werden. «Unser Dialekt verdient gepflegt und gefördert zu werden.»
Peter Sieber (53), Sprachwissenschaftler an der Pädagogischen Hochschule Zürich, hält den Widerstand der Eltern für unbegründet: «Der Dialekt geht deswegen nicht vor die Hunde. Das haben verschiedene Untersuchungen gezeigt.» Professor Sieber: «Der Einfluss der wenigen Hochdeutsch-Stunden im Kindergarten auf die Mundart wird masslos überschätzt.»
Die Kinder selbst haben kein Problem
Den Kindern bereitet die Hochsprache offensichtlich Spass. Die Kindergärnerin Marie-Hélène Stäger (50), die in Bilten GL 19 Kinder unterrichtet, spricht seit knapp einem Jahr an zwei Vormittagen pro Woche im Kindergarten nur noch Hochdeutsch. Stäger: «Die Fortschritte sind enorm. Einigen Kindern macht es gar keine Mühe mehr, mir in ganzen Sätzen zu antworten.»
In Rorschach hat der Stadtrat die Petitionäre inzwischen zu einer Aussprache eingeladen.
Wollen wir, dass diese Vielfalt verloren geht? Nein!
Wollen wir, dass diese Vielfalt verloren geht? Nein!