So dramatisch war die Rettung von Giorgia G. (22) aus Rapperswil SG
«Wir waren sicher, dass Hilfe kommt»

Mehr als 48 Stunden warteten die Studentin und ihr Freund in einem Hohlraum unter der Lawine auf Hilfe.
Publiziert: 22.01.2017 um 00:17 Uhr
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Aktualisiert: 30.09.2018 um 20:38 Uhr
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Giorgia und ihr Verlobter Vincenzo.
Myrte Müller

Das war kein Glück. Giorgia G. (22) ist überzeugt: «Es war ein Wunder!» Mehr als 48 Stunden musste die Rapperswilerin in einer Luftkammer ausharren. Unter den Trümmern des vollständig verschütteten Hotels Rigopiano in den Abruzzen. Erst dann nahte Rettung. 

Am Mittwoch sassen Giorgia G. und ihr Verlobter, Pizzeria-Wirt Vincenzo F. (25), noch gemütlich vor dem Kamin des Vier-Sterne-Hotels und tranken Tee. Das Hotel liegt auf 1200 Metern am Gran Sasso. Plötzlich grollt es oben am Berg. Eine Lawine donnert herab, Tonnen von Schnee, Bäumen und Geröll krachen auf das Gebäude. «Alles stürzte auf uns ein. Ich wusste nicht, was passiert», sagte Giorgia gestern nach ihrer Rettung dem italienischen Radio G. «Wir fanden uns in einer Art Schachtel wieder.»

Mehr als 35 Menschen sind zum Zeitpunkt des Unglücks im Hotel, darunter auch mehrere Kinder. Giorgia und Vincenzo merken, dass sie nicht allein sind. Sie nehmen eine junge Frau und einen Konditormeister (34) aus Rom wahr. Was sie nicht mitbekommen: Der Mann aus Rom hält die ganze Zeit die Hand seiner Frau. Sie ist von Trümmern bedeckt und liegt im Sterben. «Ich drückte sie ganz fest, sprach auf Valentina ein, damit sie wach bleibt. Doch dann spürte ich, dass sie mich verliess», erzählt Giampaolo M. später im Spital. Sein Arm ist zerfetzt. Er wird sofort operiert.

«Wir assen Schnee»

Giorgia G. konzentriert sich aufs eigene Überleben: «Mein Verlobter machte uns Mut.» Sie würden sicher kommen, die Retter, ganz sicher, sagte er. Sie wissen ja, dass wir hier unten sind. «Und so glaubten wir fest daran, hier wieder herauszukommen», sagt die junge Frau. Doch es dauert. Ein ganzer Tag geht vorbei, dann bricht der nächste an ...

Dutzende Rettungskräfte suchen nach Überlebenden. Schon kurz nach dem Unglück heisst es aber, dass wenig Hoffnung bestehe. Doch auch wenig Hoffnung ist Hoffnung! Ohne Essen harren Giorgia und Vincenzo in der Kälte aus. Sie essen Schnee. Kein Laut dringt zu ihnen. Bis Freitagnachmittag.

Die Rettungsmannschaften graben sich bis zu einem Hohlraum vor, wo sich eine Frau (37) und vier Kinder im Alter von sechs bis elf Jahren zusammengekauert haben. Die Stelle liegt unweit der Luftkammer, in der Giorgia und die anderen ausharren. Giorgia schreit, so laut sie kann. Dann, endlich, die Erlösung: Mehrere Retter nähern sich. 

Erst gegen vier Uhr morgens ziehen sie die Studentin aus dem Loch

Ein Ambulanzfahrzeug bringt sie nach Farindola, die nächste Ortschaft. Dann geht es weiter mit dem Helikopter. Giorgia und die anderen drei werden ins Spital der Stadt Pescara gebracht. Ihr und Vincenzo geht es gut, bis auf ein paar Schrammen sind sie unverletzt. Im Spital warten ihre Angehörigen, schon seit Donnerstagmorgen. Auch Giorgias Mutter Isabella T. (47) und ihr Vater Tommaso G. sind da, nehmen sie unter Tränen in die Arme. 

Doch nicht jeder im Warteraum erlebt so ein Wunder. 23 Gäste und Angestellte des Hotels werden noch vermisst. Auch wenn mittlerweile 500 Mann vor Ort fieberhaft nach Überlebenden graben: Mit jeder Stunde unter der eiskalten Decke aus Schnee, Steinen, Holz und Gebäudetrümmern schwindet die Hoffnung auf ein weiteres Wunder.

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