Die Bevölkerung der Türkei empört sich gerade sehr über das Schweizer Gesundheitswesen. Auslöser ist die Video-Botschaft einer Türkin aus Winterthur ZH – mutmasslich am Coronavirus erkrankt. Sie wirft Behörden und Spitälern hierzulande vor, sie im Stich zu lassen. Und fordert von der türkischen Regierung, sie nach Hause zu holen, in Sicherheit.
Die Aufnahme kursiert bereits seit mehreren Tagen in den sozialen Netzwerken. Dutzende türkische Sender und Portale haben das Video bereits aufgegriffen.
Im Bett liegend, die Augen müde, das Gesicht bleich, spricht die Frau auf Türkisch in die Kamera. Sie stellt sich als Melahat Y.* vor, 43 Jahre alt. Gemeinsam mit ihrem Bruder (37) und ihren drei Kindern lebe sie in einer 3-Zimmer-Wohnung. Y. erzählt: «Seit 3 Wochen leiden wir alle an Covid-19.»
«Spital schickte mich nach Hause»
Am 10. April sei ihr Corona-Test positiv ausgefallen. Vier Mal sei sie hier im Spital gewesen, einmal über Nacht. Die Ärzte hätten ihre Lunge geröntgt und eine «Lungenentzündung» festgestellt.
Sie wirft dem Personal vor, sie nicht Ernst genommen zu haben: «Sie sagten, ich hätte nichts, und haben mich einfach nach Hause geschickt.» Der Hausarzt habe ihr ein Medikament zum Einatmen gegeben, das aber gar nichts nütze.
Niemand kümmere sich um sie, um die Kinder. Niemand helfe. «Ich kann nicht einmal Suppe kochen, weil ich so krank bin», so Melahat Y. Ihre Lunge fühle sich an, als stünde sie in Flammen. «Ich muss immer erbrechen», sagt sie.
Kinder schlafen auf dem Boden
Die Frau nimmt die Kamera und filmt ihre Wohnung. Die Kinder würden auf dem Boden schlafen, erzählt sie. Die Familie habe nichts zu essen. «Nur mein kleiner Sohn macht manchmal Toast.» Die Geschwister aus der Türkei hätten Medikamente geschickt. Melahat Y. hält die Packungen in die Kamera.
Schliesslich bittet sie den türkischen Gesundheitsminister, sie in die Türkei zu holen. Und sie dort zu behandeln. Die Aufnahme bricht ab.
Gemäss den türkischen Medien, die das Video publizierten, wohnt Melahat Y. in Winterthur ZH. BLICK-Recherchen bestätigen, dass eine Familie unter diesem Nachnamen an der Wülflingerstrasse wohnt. Die Nachbarn geben an, sie nicht zu kennen. Auf mehrmaliges Läuten regiert im Haushalt Y. niemand.
Botschaft als Propaganda missbraucht?
Die Video-Botschaft gleicht den Erzählungen eines türkischen Corona-Patienten in Schweden bis aufs Haar. Auch er soll im Spital abgewiesen worden sein – trotz schlimmer Symptome, berichtet seine Tochter, ebenfalls in einem Video. Auch sie fordert, die Türkei solle ihn zurückholen und behandeln. Auch dieser Clip ging viral und sorgte für Aufschrei.
Der türkische Gesundheitsminister nutze die Gunst der Stunde und liess den Mann am vergangenen Sonntag mit einem Ambulanzflugzeug abholen. Kamerateams begleiteten die Aktion, die das Land später als heroische Rettungsaktion feierte.
Auf eine solche hofft nun Melahat Y.: Obwohl ihr Schicksal im türkischsprachigen Netz fleissig geteilt wird, hat die Regierung in Ankara noch nicht reagiert.
Polizei rückte zur Wohnung aus
Hierzulande wurde die Stadtpolizei Winterthur auf das Video aufmerksam. Beamte rückten daraufhin zum Wohnort der Familie aus. «Es waren jedoch keine polizeilichen Massnahmen nötig», sagt Sprecher Michael Wirz zu BLICK.
Ein Nutzer wies ausserdem das Schweizerische Rote Kreuz (SRK) via Twitter auf die Geschichte der Winterthurer Frau hin. Die Organisation antwortete mit seinen Kontaktangaben: Telefonnummer, Mail-Adresse und Website. Und riet, Melahat Y. solle sich doch unbedingt melden.
Das war am Montag. Bis heute Mittwoch hat das SRK nichts von der Familie gehört, wie eine Sprecherin BLICK mitteilt.
Eigentlich bieten zahlreiche Organisationen und Fachstellen in der Schweiz Hilfe für Bürger, Migranten und Sans-Papiers – besonders während dieser Krise. Das Rote Kreuz betont aber, es sei schwierig, die Angebote unter die Leute zu bringen. Erst recht, wenn diese keine Landessprache sprechen und wenig vernetzt sind.
* Name geändert
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