Pater Isidor (53) ist müde. Vor fünf Stunden hat die Messe begonnen. Abwechselnd lesen die Gläubigen aus der Bibel – in Koptisch, Arabisch und Deutsch. Immer wieder erheben sie sich und singen.
So sangen sie auch am letzten Sonntag, als vor zwei Kirchen in ihrer ägyptischen Heimat Bomben explodierten. Selbstmordattentäter hatten sie gezündet. Unter den 44 Todesopfern waren viele Frauen und Kinder, mehr als 120 Personen wurden verletzt. Die Terrormiliz Islamischer Staat reklamierte die Urheberschaft, drohte mit weiteren Anschlägen gegen die christliche Minderheit.
Die Woche vor Ostern ist für Kopten eine strenge Zeit
Vor allem deswegen ist Pater Isidor müde. Die Gläubigen erheben sich erneut und singen. Einer wiegt seine Tochter in den Schlaf. In den vom Weihrauch erfüllten Raum drängt nun der Duft von orientalischen Gewürzen – ein ägyptisches Mittagessen wartet auf die hungrigen Gläubigen. Ein letztes Mal erklingt der leise Singsang von Pater Isidor, ein letztes Mal wird das hölzerne Kreuz zum Segen erhoben. Dann ist der Gottesdienst vorbei. Der nächste beginnt in drei Stunden. Die Woche vor Ostern ist für Kopten eine strenge Zeit.
Seit einem halben Jahr gehört ihnen die Kirche St. Joseph in der Gemeinde Grafstal ZH. Die Katholiken sind froh: St. Joseph stand oft leer, der Unterhalt war teuer. Ebenso froh sind die Kopten: Endlich haben sie mehr Platz.
«Glaube ist grösser als Angst»
Im Mai sollen Ikonen und koptische Kunst aus Ägypten hier eintreffen. Offiziell geweiht wird die Kirche erst im Oktober. Für die Feierlichkeiten wird das Oberhaupt der koptischen Kirche im ruhigen Zürcher Wohnquartier erwartet – Patriarch Tadwardos, Papst aller Kopten. Auch ihm galt der Anschlag vom vergangenen Sonntag. Er blieb unverletzt.
Hass auf die Attentäter verspüren sie nicht, betonen mehrere Schweizer Kopten nach der Messe. Angst auch nicht. «Glaube ist grösser als Angst», sagt eine Frau. «Wir beten für die Attentäter», sagt Pater Isidor. Gegen-gewalt sei keine Option: «Blut bringt bloss mehr Blut.»
Untätig aber will man dennoch nicht bleiben. Pater Isidor steht in telefonischem Kontakt mit seinen Glaubensbrüdern in der Heimat: «Wir überlegen, ob wir Verletzte in die Schweiz holen sollen, um sie hier behandeln zu lassen.»
Die Situation wird immer dramatischer
An dem kleinen Altar hängt ein Bild von Jesus am Kreuz, umrahmt von Plastikrosen in Pink, eine Lichterkette leuchtet grün. Die Kopten gehören zu den ersten Christen. Ihre Kirche soll im 1. Jahrhundert vom Apostel Markus in Ägypten gegründet worden sein.
Pater Isidors geistige Heimat ist ein Wüstenkloster in Nordägypten. Regelmässig reist er in seine Heimat. Er sagt: «Die Situation der Christen in Ägypten wird immer dramatischer.» Den jüngsten Anschlägen gingen viele Gewalttaten voraus. Für die Kopten und viele moderate Muslime gehe es nun um alles. «Wir müssen unser Land retten», sagt Pater Isidor.
Auch wenn seine Gedanken oft in die Heimat abschweifen, seine Aufgabe sind die Deutschschweizer Kopten, derzeit 120 Familien – hauptsächlich Fachkräfte, die in internationalen Firmen arbeiten, Studenten und Kopten, die mit Schweizern verheiratet sind und schon lange hier leben. Manche Frauen streifen während der Messe ein weisses Tuch über den Kopf, andere tragen ihr Haar kurz. Es ist eine bunt gemischte Gruppe. Die Kirche helfe Neuzuzügern, sich in der Schweiz zurechtzufinden, ist der Pater überzeugt. So fördere sie die Integration. Zur Begrüssung küssen ihm Gläubige die Hand.
Manchmal sitzen auch Flüchtlinge aus Ägypten in seiner Kirche. Anrecht auf Asyl haben sie nicht. Isidor versteht, dass Syrer und Iraker bevorzugt werden, schliesslich herrsche dort Krieg. Könne die Schweizer Regierung nicht mit Asyl weiterhelfen, so doch die Welt auf das schwere Los der Kopten aufmerksam machen: «Die Leute sollen wissen, dass es in Ägypten eine Minderheit von Christen gibt, die stark unter Druck steht.»
Am schlimmsten sei die Situation für Muslime, die zum Christentum konvertieren – «sie können nicht in Ägypten bleiben.»
Dass seine Gemeinde wegen der Umstände in Ägypten weiter wachsen wird, glaubt Pater Isidor nicht. Die Kopten möchten ihr Land nicht verlassen – «wir bleiben bis zur letzten Person».
20 neue Familien in den nächsten zehn Jahren
An Zuwachs glaubt Pater Isidor trotzdem: «Wir haben viele Kinder, die bald wieder eigene Familien gründen.» Er rechnet mit zwanzig neuen Familien in den nächsten zehn Jahren.
Die Osterfeierlichkeiten in Ägypten wurden nach den Anschlägen grösstenteils abgesagt. Die Schweizer Kopten feiern das höchste Fest der Christenheit zum ersten Mal in ihrer neuen Kirche in Grafstal. Die Kantons-polizei Zürich weiss davon. Über die konkreten Schutzmassnahmen will sie aus taktischen Gründen keine Angaben machen.
Pater Isidor wünscht sich für Ostern, wofür seine Gemeinde in der Kirche St. Joseph vergangene Woche Stunde um Stunde gebetet hat: «König des Friedens, gib uns Frieden!»