Wut im Netz
Wehe, wenn sie in die Tasten hauen

Rentner Walter Nef (75) ist der fleissigste und aggressivste Kommentierer auf blick.ch. Beim Hausbesuch zeigt er sich freundlich anständig. Heute stellen wir drei Leser vor, die unsere Kommentarspalten rege nutzen.
Publiziert: 27.02.2018 um 23:36 Uhr
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Aktualisiert: 12.09.2018 um 21:00 Uhr
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«In der Schweiz gibt es zu häufig Lügen in den Medien»
2:36
Kommentar-Aktivistin Regula Heinzelmann im Interview:«In der Schweiz gibt es zu häufig Lügen in den Medien»
Lea Gnos

Im Internet kann jeder seine Meinung ­öffentlich kundtun. Das ist ein Segen für die freiheitlichen ­Gesellschaften – dachte man. Doch allzu oft wird Haltung mit Ungehaltensein verwechselt, Argumentieren mit Beschimpfen. Auf der Strecke bleiben Anstand und Diskussionskultur. Wie viele andere Medien kämpft auch BLICK mit dieser unseligen Entwicklung. Heute stellen wir drei Leser vor, die unsere Kommentarspalten rege nutzen – auf unterschiedliche Art, Unart und Weise.

Ex-Swissair-Flugingenieur Walter Nef (75) schreibt oft unter der Gürtellinie

Nef steht immer mit Namen zu seinen Kommentaren: «Anonym ist feige.»
Foto: Tom Lüthi

Eine gepflegte Einfamilienhaussiedlung am Hang bei Niederweningen ZH. Blumentöpfe stehen beim Hauseingang. Ein Stoffhäschen baumelt an der Türglocke. Hier wohnt Walter Nef (75), der fleissigste und wütendste BLICK-Kommentarschreiber. Sein Nickname: «Autorennen».

BLICK-Reporterin Lea Gnos im Gespräch mit dem fleissigsten und wütendsten Kommentarschreiber Walter Nef.
Foto: Tom Lüthi

Die Beiträge des Pensionärs sind meist in Rage geschrieben: «Wie soll man Widmer-Schlumpf glauben? Diese Frau hat bei der Minarett-Abstimmung gesagt, wir werden Einkommensverluste in Milliardenhöhe erleiden. Ich glaube jedem Zoo-Affen mehr als unseren Politikern.» Von seinen 3537 Kommentaren wurden 2728 vom Administrator gelöscht, weil sie zu provokant oder ehrverletzend waren. 

Doch wer ist der Wutschreiber? Die Stube ist ohne Schnickschnack. Im Kamin brennt ein Feuer. Nef sitzt am Tisch im Esszimmer. Seit 1999 ist der ehemalige Swissair-Flugingenieur pensioniert. Für seinen Beruf jettete er um die ganze Welt. Auch als Rentner hat sich sein Energielevel nicht verändert. Jetzt lässt er am Computer Dampf ab. Ein Smartphone besitzt er nicht. Dass BLICK mit ihm über seine Kommentare sprechen will, freut ihn. «Ältere Menschen kommen zu wenig zu Wort in den Medien, dabei haben sie Lebenserfahrung», sagt er. 

Er nimmt keine Rücksicht auf politische Korrektheit

Seit 1999 ist der ehemalige Swissair-Flugingenieur pensioniert.
Foto: zvg

Wenn er wütend sei, nehme er keine Rücksicht auf politische Korrektheit, gesteht er. Seine Frau, die strickend auf dem Sofa sitzt, bestätigt dies. Nefs Kommentar-Steckenpferd ist der Klimawandel. Umweltaktivisten wie Al Gore machen ihn wütend. Obwohl er vor 40 Jahren mit der Swissair in Peking war, den Hemdkragen vom Smog schwarz eingefärbt, wie er erzählt, hält er Theorien zur Klimaerwärmung für Mumpitz. Ohne Atomkraftwerke und Kohle sei die Energieversorgung nicht gewährleistet. 

Sein Vorwurf an die Medien: «Es werden zu viele linke Journalisten angestellt!» In Fachzeitungen werde weniger gelogen als in anderen Publikumsmedien, findet er. «Das ist eben so, wenn Emotionen im Spiel sind, das kenne ich auch aus meiner Familie, deshalb mag ich die Technik», sagt er.

«Das ist eine brutale Aussage, oder?»

Anders als der virtuelle Walter Nef vertritt der analoge seinen Standpunkt im persönlichen Gespräch anständig und nicht rechthaberisch. Zum Thema Frauenquote sagt er zwar: «Im Cockpit will ich doch keine Quotenfrau!» Andere Meinungen? Lässt er gelten. Auf einen seiner digitalen Wutausbrüche angesprochen, fragt er fast verlegen: «Das ist eine brutale Aussage, oder?»

Auch wenn seine Kommentare oft undiplomatisch sind und übers Ziel hinausschiessen – Nef unterzeichnet sie mit seinem richtigen Namen. «Anonyme Kommentare sind feige», findet er. Leser hätten ihn auch schon zu Hause angerufen und ihm zu seinem Standpunkt gratuliert. Was ihn nervt an anderen Kommentarschreibern: «Lehrerhaftes Getue wie es oft in diesen Spalten vorkommt. Auch bin ich gegen jede Extremposition, egal ob sie von der SVP- oder SP-Seite kommt.»

«Man sollte nie den Leuten glauben, die abkassieren wollen»

Bei Politikern sei ihm Ehrlichkeit und Glaubwürdigkeit wichtig: «Ich meine damit, dass sie auch einmal einen Fehler zugeben sollen, das ist kein Zeichen der Schwäche», findet er. Wenn das Volk rechts abstimmt, dann weil es Angst habe. «Man fühlt sich manchmal zu wenig ernst genommen!» Wem glaubt Walter Nef denn überhaupt noch etwas? «Bei einem Autokauf frage ich den Stift mit den schmutzigen Händen, nicht den Verkäufer. Man sollte nie den Leuten glauben, die abkassieren wollen.»

Aus dem Regal nimmt Nef ein paar Bücher. Es sind Anleitungen zum Gedächtnis-Training. «In 15 Jahren bin ich 90 und ich habe noch viel vor», sagt das Energiebündel. Zur Verabschiedung ruft er von der Terrasse: «Ein tolles Auto haben Sie! Handschaltung? Ich liebe es zu schalten!»

Juristin Regula Heinzelmann (62) hat zu allem eine Meinung

«In der Schweiz gibt es zu häufig Lügen in den Medien»
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Kommentar-Aktivistin Regula Heinzelmann im Interview:«In der Schweiz gibt es zu häufig Lügen in den Medien»

Was für ein Auftritt! Auffällig gekleidet und mit lauter Stimme zieht Regula Heinzelmann (62) aus Dietikon ZH sofort alle Blicke in der Cafeteria auf sich. Sie ist sich gewohnt, anzuecken und zu polarisieren: Die Juristin hat auf Blick.ch bereits 185 Kommentare geschrieben – zu allen möglichen Themen.

Ob Flüchtlingspolitik, EU-Beitritt oder Umweltfragen. Zu allem bietet sie eine Meinung, eine eigene Position. Und doch gilt für sie: Hart in der Sache, weich im Ton. Ihre Kommentare sind immer anständig. «Mir ist es wichtig, keine Personen persönlich anzugreifen», sagt sie. 

Mit der AfD kann sie sich bei gewissen Themen identifizieren

Mit der Rechtspartei Alternative für Deutschland (AfD) kann sich Heinzelmann «bei gewissen Themen» identifizieren. Die Partei zeichnet in Deutschland mit dem Wort «Lügenpresse» ein negatives Bild der Medien. «Ich finde nicht, dass dies in der Schweiz der Fall ist», stellt sie klar.

Regula Heinzelmann will in die Politik.
Foto: Tom Lüthi

Aber: «Bei wilden Spekulationen und kommentierenden Artikeln habe ich Mühe. Aber auch, wenn Meinungen nicht gedruckt werden, weil sie nicht ins Weltbild der Journalisten passen», so Heinzelmann. Das ist dann der Moment, in dem die 62-Jährige in die Tasten haut. «Ich will mitreden, etwas verändern und mich politisch engagieren», sagt sie über ihre Motivation.

Eine Meinung hat sie zu allem Möglichen. So behauptet sie von sich, über Erbschleicherei, Ökotyrannen, Umwelt- und Versicherungsrecht Bescheid zu wissen. Mehrere Bücher hat sie geschrieben. Darunter eine Anleitung zur Polygamie. In den 90er-Jahren sprach sie in Talkshows über ihre Erfahrungen mit mehreren parallelen Liebesbeziehungen. Zu ihrem literarischen Repertoire gehören zudem Gedichtbände und ein Wirtschaftskrimi. Auch malt sie politische Bilder, wie es auf ihrer Webseite heisst.

Regula Heinzelmann interessiert sich vor allem für Politik und Wirtschaft.
Foto: Tom Lüthi

Nun will Heinzelmann selbst in die Politik. Sie überlege sich, eine Partei zu gründen. Einen Namen hat sie schon: «Partei für ein neues Europa.» Diese wäre bürgerlich angesiedelt, «mit der SVP würden wir sicher auch zusammenarbeiten», so Heinzelmann.

Über das Weltgeschehen informiert sie sich bei Twitter und Facebook. Im BLICK interessiert sie vor allem Politik und Wirtschaft: «Dort macht ihr einen guten Job», findet sie.

Auslandschweizer Dani (55) will auch in Thailand wissen, was in der Schweiz passiert

Für Elektronik-Allrounder Dani* (55) wars ein Schock: Nach elf Jahren harter Arbeit stellt ihn seine Firma Knall auf Fall auf die Strasse. Der Handwerker fällt den Sparmassnahmen zum Opfer. Er handelt sofort: «Ich habe mir mein Pensionskassengeld auszahlen lassen und mich an die Wärme nach Thailand abgesetzt», sagt er per Skype zu BLICK.

Der Solothurner kehrt der Schweiz im vergangenen September den Rücken, mietet sich «ein wunderschönes Haus» auf einem grossen Anwesen. Beim Gespräch mit BLICK sitzt er entspannt auf der Terrasse. Er geniesst sein neues Zuhause. Und doch lässt ihn die Schweiz nicht ganz los.

Sein Draht zur Heimat sind die Zeitungen und internationalen Newsportale. «Ich will auch in Thailand wissen, was in der Schweiz passiert!» Er informiere sich regelmässig auf Blick.ch. 108 Kommentare hat er bereits abgegeben. «Ich bin dankbar, dass ich meine Meinung äussern darf. Meinungs- und Pressefreiheit ist ein hohes Gut, das schätze ich an der Schweiz sehr!» Doch online will er anonym bleiben – um seine Familie zu schützen, sagt er.

Der Solothurner kehrt der Schweiz im vergangenen September den Rücken.
Foto: Tom Lühti

Von den Schweizer Medien wünscht sich Dani mehr Hintergrund-Artikel. «Ich vermisse erklärende Stücke, die die Zusammenhänge aufzeigen, zum Beispiel im Syrien-Konflikt», sagt er. Gefallen hat ihm zum Beispiel der Artikel über Bali, das mit Plastik zugemüllt wird. Im BLICK nerven ihn manchmal die «plakativen» Schlagzeilen oder «übertriebene» Wortspiele in Überschriften. Da geht ihm der Puls hoch. Dann haut er in die Tasten.

Reporterin Lea Gnos im Gespräch mit Auslandschweizer Dani, der in Thailand wohnt.
Foto: Tom Lühti

Ob er überhaupt je zurück in die Schweiz kommt? Er könne sich gut vorstellen, bald wieder zurückzukehren: «Schliesslich leben da meine Freunde und meine Familie. Meine Kinder sind zwar schon erwachsen, sie kommen mich aber bald besuchen», sagt er. Schliesslich zieht es ihn in die Nacht hinaus, an ein Reggae-Konzert. Doch Dani wird bald zurück sein – zumindest auf Blick.ch. Und in den Kommentarspalten.

* Name der Redaktion bekannt 

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