Vor Gericht gibt er anderen die Schuld
Arzt amputiert falscher Patientin beide Brüste

Vier Jahre nach dem peinlichen Kunstfehler in Lugano TI steht ein Chirurg vor dem Richter. Er zeigt sich uneinsichtig – und seine Verteidiger wollen einen neuen Prozess.
Publiziert: 13.06.2018 um 12:09 Uhr
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Aktualisiert: 21.09.2018 um 18:23 Uhr
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Chirurg Paolo P.*  (65) mit seinen Anwälten Tuto Rossi (links) und Renzo Galfetti (rechts) vor dem Gericht in Lugano.
Foto: Alessandro Crinari
Myrte Müller

Am 8. Juli 2014 liegt Teresa S.* (damals 67) auf dem OP-Tisch. Sie hat einen kleinen Knoten in der linken Brust. Nichts Weltbewegendes. Chirurg Paolo P. * (65) verzichtet auf das sogenannte Timeout, den üblichen Patienten-Check – und setzt das Skalpell an.

Er amputiert der Tessiner Rentnerin beide Brüste. Nur: Teresa S. ist die falsche Patientin. Sie hat keine schwere Brustkrebs-Erkrankung, wie er glaubt. Die hat eine andere Frau. Paolo P. verwechselt die Namen. Die OP-Schwester warnt noch. Doch der Chirurg schneidet drauflos. 

Erst nach dem Eingriff merkt der Arzt, was er angerichtet hat. Der Kunstfehler wird unter den Teppich gekehrt. Die Leitung der Klinik Sant'Anna von Sorengo TI, die beiden Ärzte, die bei der Amputation assistierten, das Pflegepersonal – alle schweigen.

Der Chirurg operiert noch nach Monaten munter weiter

Der Patientin erklärt Paolo P., er habe während des Eingriffs erst die wahre Grösse des Tumors erkannt und die linke Brust entfernen müssen. Eine rotzfreche Lüge. Aus ästhetischen Gründen hätte er beschlossen, auch die rechte Brust zu entfernen. Die Patientin ist geschockt, schluckt aber die bittere Pille. Vorerst.

Es vergehen Monate. Der Chirurg operiert munter weiter. Erst als der Patientin Zweifel kommen, sie die zuständige Aufsichtsbehörde informiert und die Zeitung «La Regione» berichtet, wird gegen Paolo P. ermittelt. Teresa S. erhält 280'000 Franken Entschädigung. Paolo P. wird zu 120 Tagessätzen à 470 Franken (insgesamt 56'400 Franken) verurteilt. Dass nur er am Pranger steht, wurmt den Chirurgen. Auch die anderen im OP-Saal haben Schuld. Er rekurriert. Er will den öffentlichen Prozess.

«Fehler machen ist menschlich»

Gestern, vier Jahre nach der folgenschweren Verwechslung, hat er ihn. Paolo P. steht vor dem Richter in Lugano TI. Doch auf der Anklagebank sehen die Verteidiger Renzo Galfetti und Tuto Rossi nicht den Chirurgen, sondern die Klinik, die anderen an der OP beteiligten Personen, die Medien, den Staatsanwalt. 

«Fehler machen ist menschlich», entschuldigt Renzo Galfetti den Ärztepfusch seines Mandanten. Doch nachdem dessen Name publik geworden sei, hätten die Medien Paolo R. öffentlich massakriert. Zudem habe die Staatsanwaltschaft Beweise der Verteidigung nicht zugelassen, die Verantwortung seitens der Klinik-Leitung und der an der OP beteiligten anderen Ärzte ignoriert.

Die Verteidiger des Chirurgen fordern, dass der Prozess neu aufgerollt wird. Sie wollen ein Dutzend Zeugen vor Gericht hören. Es sollen mehr Köpfe rollen, nicht nur von Paolo P., ihres Mandanten. Der Richter gibt nach. Der Prozess wird auf den 20. September vertagt.

* Namen geändert

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