Seit Jahren ist in Uerkheim AG die Gefahr von Hochwasser ein Thema. Dann kam es. Und nicht nur die Katze von Heidi K.* (57) ist verschwunden. Auch die Metzgerei, die Bäckerei und der Dorfladen sind weg – alles zerstört. Auch der bekannteste Uerkner, Hochseilartist Freddy Nock (52), holte vergangene Woche Schlamm aus seiner Garage, statt für den nächsten Weltrekord zu trainieren. Viele Uerkner standen in dreckigen Schuhen da und räumten auf. Sprechen mögen die wenigsten von der Flut, die am Samstag vor einer Woche über sie kam.
Dabei gäbe es da einiges zu besprechen. Zum Beispiel, dass sich das kleine Aargauer Dorf gar nicht gegen Hochwasser schützen will. Wiederholt hat der Gemeinderat mit dem Kanton Massnahmen ausgearbeitet und Projekte präsentiert. Wiederholt wurden diese von der Bevölkerung abgelehnt. Zum letzten Mal vor zwei Jahren, zum vorletzten Mal vor fünf Jahren.
Mitverantwortlich ist Peter Leuenberger (40), ebenfalls aus Uerkheim. Sein Argument: Die Massnahmen bringen nichts und sind zu teuer für eine der finanzschwächsten Gemeinden im Kanton. Leuenberger sammelte Unterschriften. Das Projekt wurde gekippt. 5,8 Millionen Franken hätte es gekostet. Das meiste hätte der Kanton bezahlt, 1,5 Millionen die Uerkner selber. Zu viel, fanden sie. Nun bezahlt die Aargauische Gebäudeversicherung (AGV). Erste Schätzungen gehen von bis zu drei Millionen Franken aus – allein in Uerkheim.
Unbestritten: Das Unwetter schlug mit enormer Wucht zu. Die Rede ist von einem Ereignis, wie es einmal in 300 Jahren vorkommt. Doch AGV wie auch der Kanton sind überzeugt, dass die Zerstörungen geringer wären, hätte man Massnahmen getroffen.
Während der Hochwasserschutz die kleine Aargauer Gemeinde spaltete, brachte ausgerechnet das Hochwasser den Zusammenhalt ins Dorf zurück. Davon schwärmen nun alle: Die Konfirmanden, die zwei Tage später als geplant ins Lager fuhren, um mit dem Pfarrer beim Aufräumen zu helfen, das Wirtepaar von der «Sonne», das die Ferienkoffer gar nicht erst aus-, sondern gleich anpackte und für die Helfer Sandwiches machte. Freddy Nock bot sein eigenes Bett Heidi K. an, der Nachbarin, deren Wohnung beim Unwetter zerstört wurde.
Er selber will, sobald das Gröbste aufgeräumt ist, weiter für den neuen Rekord trainieren. Zwischen Gemeindehaus und Kirche ist sein Trainingsgerüst aufgebaut. «Wir müssen nach vorne schauen», sagt Nock. Das tut auch der müde Gemeindeammann Markus Gabriel (SVP). Er hat Anfang Woche beim Kanton angerufen und mitgeteilt, dass Uerkheim die Planung für ein Schutzprojekt so rasch wie möglich wieder aufnehmen möchte. Sein Widersacher Peter Leuenberger blickt ebenfalls nach vorne und verspricht, weiterhin gegen «teure und unnütze» Projekte anzutreten.
Die Uerknerin Maria Hättenschwiler (42) ist immer noch dabei, die Schäden des Hochwassers zu beseitigen. Während sie eine Schubkarre voller Schlamm in die Mulde kippt, hofft sie auf ein bisschen mehr Menschlichkeit im Dorf. Und meint damit, dass nun endlich auch die Uerkner oben an den Hängen für das Projekt stimmen, das nur diejenigen betrifft, die unten am Bach wohnen.
* Name geändert