Roland Roos «klaut» die Dunant-Tafel und bringt eine mit der Inschrift «Ostspitze» an. Angeblich aus Protest gegen die Lockerung der Waffenexportbestimmungen des Bundesrats. Die Gemeinde Zermatt bezeichnet die Aktion als illegal und will, dass die Tafel wieder an den alten Platz kommt. Sind die Walliser Kunstbanausen?
Daniel Baumann: Ich weiss nicht. Vielleicht spielt das gar keine so grosse Rolle. Es ist doch egal, ob das Kunst ist. Für mich gibt es keine Kunstbanausen, denn nicht jeder muss sich für Kunst interessieren. Ich interessiere mich ja auch nicht für die Formel 1. Es ist ein Protest, und jeder hat das Recht zu protestieren.
Aber kommt «Kunst» nicht von «können»?
Können ist ja mehr als reines Handwerk. Es ist: Talent, Wissen, Intelligenz, Fantasie, Mut, ein gutes Auge. Handwerk ist nicht alles im Leben.
Aber dieser «Schilderklau» hat mit Kunstvorstellungen, wo Künstler schöne Bilder malen, wenig zu tun, oder?
Es ist eine Aktion, eine Performance. Früher hat Greenpeace solche Dinge getan, die haben sich das von der Kunst abgeguckt. Es geht primär um Provokation. Roos' Trick ist die Verdoppelung der Provokation. Erstens: Man protestiert gegen ein Thema. Zweitens: Man behauptet, das sei Kunst.
Das soll etwas bewirken?
So blöd das klingen mag: Manchmal ja, manchmal nein. Denken Sie an den Präsidenten der USA. Er macht, was viele Künstler gemacht haben: Er stellt die Ordnung auf den Kopf mit dem Ziel, Aufmerksamkeit zu generieren. Schwer zu sagen, wie das wirkt. Aber dass es wirken kann, habe ich an mir selbst in den 80er-Jahren erlebt. Greenpeace näherte sich mit Schlauchbooten riesigen Walfängerschiffen. Der Kampf David gegen Goliath. Das hat mich tief geprägt.
Gelten für Künstler andere Regeln als für unsereins?
Nein. Sie legen die Regeln aber anders aus. Sie benutzen den Regelbruch als Strategie der Provokation. Das Tolle an der Aktion von Roos ist die Selbstermächtigung. Da steigt einer 4600 Meter hoch, unter Lebensgefahr. Er fragt keinen: Darf ich das? Das ist eine tolle Geschichte, Roos ist ein toller Geschichtenerzähler. Mancher wird ihn heimlich beneiden: So etwas hätte ich mich nie getraut. Aber so eine Geschichte wird nicht jedem gefallen.
Soll Kunst etwas bewirken oder soll sie gefallen?
Beides gehört zusammen. Die Kunst soll ein Ort sein, wo man anders denken kann. Ein Ort, wo es einen hinträgt.
Das Zürcher Museum Haus Konstruktiv zeigt nun das «geklaute» Schild. Ist das gut?
Na ja, die Tafel wird zu einem Überbleibsel, einem Produkt. Sobald sie im Museum ist, ist der Protest abgesegnet und offiziell. Die Symbolik wird aufgefressen.
Roos sitzt in der staatlich subventionierten Zürcher Kunstkommission. Werden da illegale Sachen mit Steuergeldern unterstützt?
Es gibt keinen Menschen, der sich nicht in irgendeiner Form darüber aufregt, wozu der Staat «seine» Steuern ausgibt. Im Fall Roos muss man fragen, ob die Aktion schlimmer ist, als wenn einer mit Tempo 200 durch die Gegend fährt. Aber am Schluss geht es ja darum, ob Waffenverkäufe in dieser Form richtig sind. Und hier kann ich seinen Protest verstehen.