Katharina Meredith (36) erlebte in der Sekte Licht-Oase Zwang und Missbrauch
«Ich war 10, als meine Kindheit endete»

Als sich die Eltern der Sekte Licht-Oase anschlossen, hörte ihre Kindheit auf: Jahrelang wurden Katharina Meredith (36) und andere Mädchen missbraucht. Heute ist sie Psychologin und berät Aussteiger beim Start zurück ins Leben.
Publiziert: 04.03.2019 um 23:06 Uhr
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Katharina Meredith wuchs in einer Sekte auf, heute berät sie als Psychologin Aussteiger.
Foto: zvg
Katja Richard

Sie ist Psychologin, lebt mir ihrem Mann, zwei Kindern, einem Mops und zwei Büsi ein gutes Leben. Für Katharina Meredith (36) ist das nicht selbstverständlich. Die Hälfte ihrer Kindheit und Jugend hat die junge Frau mit ihren Eltern in der berüchtigten Sekte Licht-Oase verbracht. Sie und die anderen Kinder in der Sekte waren Anführer Arno Wollensak (†61) komplett ausgeliefert. «Ich war zehn, als meine Kindheit von einem Tag auf den anderen endete», erinnert sie sich. 

Damals zogen ihre Eltern von ihrem alten Bauernhof in Deutschland nach Österreich in die 40-köpfige Kommune: «Bis dahin hatten mein Bruder und ich eine schöne Kindheit, wir fühlten uns geliebt, ich hatte ein gutes Selbstbewusstsein und ging gerne zur Schule.» In der Sekte wurden sie strikt getrennt: «Mutter und Vater gab es nicht mehr, auch keine Paare. Die Erwachsenen schliefen alle gemeinsam auf dem Dachboden, wir Kinder auf einem anderen Stockwerk. Uns wurde eingeredet, dass es uns viel besser gehe, wenn wir von einem ganzen Dorf erzogen werden – dabei kümmerte sich keiner wirklich um uns.»

Sexuelle Übergriffe perfide eingefädelt

Schon bald kam es zu ersten sexuellen Übergriffen. «Uns wurde erzählt, dass wir alte Seelen seien, die in einem Kinderkörper lebten. Damit wurde der Missbrauch perfide eingefädelt.» Katharina war elf Jahre alt, als sie den ersten Zungenkuss bekam. «Ich wollte nicht, knallte die Zimmertür zu, aber der Mann gab nicht auf.»

Emotionen wurden nicht toleriert. «Ich lernte, meine Wut zu unterdrücken. Auch traurig sein war nicht erlaubt. Damit wurde ich wie zu einem halben Menschen.» Besonders schlimm für Katharina war, dass ihr Intellekt und ihre Kreativität nichts zählten. «Nur mein Körper interessierte.» Das hinterliess Spuren: «Ich hatte bis vor ein paar Jahren noch immer das Gefühl, dass ich nichts wert bin. Mein Selbstwertgefühl wurde mir total ausgetrieben.»

Nachdem die Sekte in die Kritik der Öffentlichkeit geriet, setzte sich Wollensak mit seiner Gefolgschaft nach Portugal ab. «Dort ging es dann richtig los. Ich musste mit zwölf Jahren die Nacht mit zwei Männern verbringen, kuscheln nannte man das.» 

Missbrauch unter dem Deckmantel eines Umweltprojekts

Ein Jahr später zog die Sekte 1995 ins südamerikanische Belize in den Dschungel. Unter dem Deckmantel eines Umweltprojekts lebte man dort in totaler Abgeschiedenheit, Kontakte zur Aussenwelt waren nicht möglich.

Als Katharina 15 ist, fordert der Sektenführer sie auf, sich einen Mann auszusuchen, sonst würde er es tun. «Er steckte auch die Erwachsenen zusammen, oft solche, die sich gar nicht mochten. Das galt als Teil des spirituellen Wachstums.»

Katharina hatte damals nicht die geringste Lust, etwas mit einem erwachsenen Mann anzufangen, die meisten waren gar älter als ihr eigener Vater. Unter Druck aber trifft sie ihre Wahl. Sie redet sich ein, dass ihre Seele das so will. Ihr schmerzender Körper erzählt eine andere Geschichte. «Doch irgendwann gewöhnte ich mich daran.» 

Den Männern schutzlos ausgeliefert

Mit der Wahl eines Mannes gehörte sie zur Erwachsenenwelt, das aber machte ihr Leben nicht leichter. «Wir waren den Männern ausgeliefert. Darum habe ich mich irgendwann auch auf Arno eingelassen, damit ich einigermassen geschützt bin.» Das habe ihr noch jahrelang Schuldgefühle bereitet.

In einem spirituellen Zirkel missbraucht zu werden, sei besonders schlimm. Denn wer sich weigert, gefährdet damit etwas Grösseres – bei der Licht-Oase ging es um nichts weniger als den Weltuntergang. «Von aussen ist es schwer zu verstehen, warum man solchen Blödsinn glauben konnte, aber in der Isolation ist das möglich», so Katharina, die heute Aussteiger unterstützt. 

Der Sektenalbtraum endete erst, als einem der Mädchen im Jahr 2001 die Flucht gelingt, sie war Wollensaks Auserkorene. «Er flippte total aus, tobte. Es war der Moment, in dem wir kapierten, dass unser allmächtiger Guru wohl doch kein Gott war», so Katharina. Zwei Tage später tauchten er und sein Medium Julie unter – aus Furcht, wegen Kindsmissbrauchs ins Gefängnis zu kommen. «Es war das erste Mal seit zehn Jahren, dass wir angstfrei miteinander reden konnten.» Viele hatten längst genug von der Sekte, andere folgten ihrem Anführer, auch Katharinas Mutter. Erst als Arno Wollensak im August 2016 in Uruguay ermordet aufgefunden wurde, konnte sie sich lösen. 

Vergessen kann man nie

Katharina erinnert sich, wie sehr sie die gewonnene Freiheit genoss. «Wir konnten zum ersten Mal ausgehen, auch wenn es nur in einem kleinen Dorf war.» So lernte sie ihren Mann kennen, einen Amerikaner, der für ein Friedenskorps arbeitete. Katharina Meredith konnte endlich ihren Wissensdurst stillen, sie schloss die Highschool ab und studierte Psychologie.

Bis im letzten Sommer lebte sie mit ihrer Familie in Zug, inzwischen wieder in Atlanta (USA). Dort macht sie derzeit ihren Doktor in Psychologie. «Vergessen kann man so etwas nie, aufarbeiten konnte ich diese Erlebnisse erst in Sicherheit und mit Distanz.» Heute machen sie die einfachen Dinge des Lebens glücklich: «Ein gutes Essen mit Freunden, meine Familie und meine Arbeit.»

So erkennst du Sekten und ähnliche Gruppen

Sich selber als Sekte bezeichnen – das tut keine religiöse oder ideologische Gruppierung. Jede kleinere oder grössere Gemeinschaft hat jedoch das Potenzial zur Sekte. Je mehr der folgenden Merkmale zutreffen, desto eindeutiger kann man auf eine sektenhafte Gruppierung schliessen.

  • Autoritäre Führung: Ein Guru, ein Prophet oder eine andere Figur tritt als unbestrittener Führer auf.
  • Struktur: Straffe Hierarchie und strenge Regeln.
  • Isolierung: Starke Abgrenzung und kaum Offenheit nach aussen, im schlimmsten Fall sind Kontakte ausserhalb ganz untersagt.
  • Zeit und Geld: Fliesst vermehrt in die Gruppe, sei es für Kurse oder Arbeit ohne Entlöhnung.
  • Anspruch auf Absolutheit: Das Glaubenssystem ist unantastbar.
  • Kritik: Zweifel und eigenständiges Denken sind nicht erlaubt. Kritiker von aussen werden bekämpft.
  • Erlösungs- oder Heilsversprechen: Für sämtliche Probleme werden Lösungen angeboten, oft fernab von gesundem Menschenverstand und Realität.
  • Elitedenken und Selbstüberschätzung: Die Mitglieder empfinden sich als Auserwählte, spirituell weiterentwickelte Elite. Man ist etwas Besonderes, besser als der Rest der Welt.
  • Weltuntergang: Die Prophezeiung der Endzeit ist ein beliebtes Mittel von Sekten.
  • Kontrolle von Gedanken und Gefühlen: Zunächst mit Liebe überschüttet, dann schleichend isoliert – so verliert man Freunde, Familie und Selbstbestimmung. Durch bestimmte Techniken und Übungen wird nach und nach die Persönlichkeit verändert.
  • Manipulation: Über Druck, Angst und schlechtes Gewissen wird man systematisch manipuliert.
  • Aussteiger: Bedrohliche Konsequenzen für Abtrünnige – mit ihnen wird nicht mehr kommuniziert, womöglich kommen sie in die Hölle oder sind am Weltuntergang schuld.

Tipps, Informationen und Selbshilfegruppen findest dz auf infosekta.ch und relinfo.ch. Buchempfehlung: «Freiheit des Geistes» von Steven Hassan. Psychologische Beratung für Sektenopfer: katharinameredith.com

Sich selber als Sekte bezeichnen – das tut keine religiöse oder ideologische Gruppierung. Jede kleinere oder grössere Gemeinschaft hat jedoch das Potenzial zur Sekte. Je mehr der folgenden Merkmale zutreffen, desto eindeutiger kann man auf eine sektenhafte Gruppierung schliessen.

  • Autoritäre Führung: Ein Guru, ein Prophet oder eine andere Figur tritt als unbestrittener Führer auf.
  • Struktur: Straffe Hierarchie und strenge Regeln.
  • Isolierung: Starke Abgrenzung und kaum Offenheit nach aussen, im schlimmsten Fall sind Kontakte ausserhalb ganz untersagt.
  • Zeit und Geld: Fliesst vermehrt in die Gruppe, sei es für Kurse oder Arbeit ohne Entlöhnung.
  • Anspruch auf Absolutheit: Das Glaubenssystem ist unantastbar.
  • Kritik: Zweifel und eigenständiges Denken sind nicht erlaubt. Kritiker von aussen werden bekämpft.
  • Erlösungs- oder Heilsversprechen: Für sämtliche Probleme werden Lösungen angeboten, oft fernab von gesundem Menschenverstand und Realität.
  • Elitedenken und Selbstüberschätzung: Die Mitglieder empfinden sich als Auserwählte, spirituell weiterentwickelte Elite. Man ist etwas Besonderes, besser als der Rest der Welt.
  • Weltuntergang: Die Prophezeiung der Endzeit ist ein beliebtes Mittel von Sekten.
  • Kontrolle von Gedanken und Gefühlen: Zunächst mit Liebe überschüttet, dann schleichend isoliert – so verliert man Freunde, Familie und Selbstbestimmung. Durch bestimmte Techniken und Übungen wird nach und nach die Persönlichkeit verändert.
  • Manipulation: Über Druck, Angst und schlechtes Gewissen wird man systematisch manipuliert.
  • Aussteiger: Bedrohliche Konsequenzen für Abtrünnige – mit ihnen wird nicht mehr kommuniziert, womöglich kommen sie in die Hölle oder sind am Weltuntergang schuld.

Tipps, Informationen und Selbshilfegruppen findest dz auf infosekta.ch und relinfo.ch. Buchempfehlung: «Freiheit des Geistes» von Steven Hassan. Psychologische Beratung für Sektenopfer: katharinameredith.com

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