Es sind die längsten Stunden ihres Lebens. In einem Nebenraum des Inselspitals warten die Eltern von Maya und Lydia, während ein Ärzteteam von rund 30 Personen um das Leben der beiden Mädchen ringen. Ein Seelsorger und ein Psychologe sind ebenfalls da – falls das Schlimmste eintritt.
Doch dazu kommt es nicht. Stattdessen verkünden die Ärzte nach fünf Stunden im OP das Wunder von Bern: Die siamesischen Zwillinge konnten erfolgreich getrennt werden – und leben.
Die Mutter bricht in Tränen aus, der Vater kann es nicht glauben. «Ich fühle mich wie neugeboren. Meine Frau hat vor Glück geweint und geweint, sie konnte gar nicht mehr aufhören», wird er in der «SonntagsZeitung» zitiert. «Wir wollten ein Kind. Jetzt haben wir drei. Das war eine grosse Überraschung.»
Sie seien überglücklich, weil sie schon während der Schwangerschaft gewusst hätten, dass es vielleicht zu Problemen kommen könnte, so der Vater. «Wir haben darüber diskutiert, die Schwangerschaft von Maya und Lydia nicht weiterzuführen. Aber als die Ärzte uns sagten, dass es eine Möglichkeit gäbe, die Zwillinge zu trennen, war für uns klar: Wir lassen sie leben.»
Überschaubare Überlebenschance
Dass ihre Mädchen tatsächlich überlebt haben, grenzt an eine medizinische Sensation. Das wissen auch die beiden: «Wir haben immer daran geglaubt, dass alles gut kommt. Wie die Zukunft aussieht, wissen wir nicht. Die Kinder könnten behindert sein. Aber für uns ändert das nichts. Wir werden sie immer lieben und so akzeptieren, wie sie sind», sagt der Vater.
Nur selten kommt es vor, dass siamesische Zwillinge überleben. 40 bis 60 Prozent sterben bereits vor der Geburt, 35 Prozent überleben gerade nur einen Tag.
Weltweit sind nur 250 Trennungen bekannt. In der Schweiz wurden vor Maya und Lydia in den letzten 30 Jahren nur zweimal siamesische Zwillinge geboren, die nach einer Trennung überlebten, wie die «SonntagsZeitung» schreibt.
Wie riskant eine Trennung ist, hängt nicht zuletzt davon ab, wo und wie stark die Kinder miteinander verwachsen sind. Normalerweise warten Ärzte drei bis sechs Monate, bevor sie siamesische Zwillinge trennen – bis die Kinder grösser, stärker, stabiler sind.
Historische Trennung
Bei Maya und Lydia hatten sie diese Wahl nicht: Am 2. Dezember kamen die beiden Mädchen nach einer künstlichen Befruchtung in einer Drillingsgeburt zur Welt. Während das dritte Kind, Kamilla, gesund war, stellten die Ärzte bei Maya und Lydia sofort grosse Probleme fest.
Weil die beiden an der Leber grossflächig zusammengewachsen waren und sich einen Herzbeutel teilten, floss zu viel Blut von einem Kind zum anderen. Maya hatte dadurch einen viel zu hohen Blutdruck, während Lydia bei zu niedrigem Blutdruck zu wenig Blut erhielt - beides äusserst gefährliche Vorzeichen für die Entwicklung des Gehirns.
Als die sich bei Maya Hinweise auf eine leichte Hirnblutung zeigten, beschloss das interdisziplinäre Behandlungsteam in Absprache mit den Eltern, bereits nach acht Tagen notfallmässig die operative Trennung zu wagen. Rückblickend ein goldrichtiger Entscheid. Und ein historischer zugleich: Weltweit wurden noch nie so kleine miteinander verwachsene Kinder getrennt.
Finanzielle Fragen
Inzwischen haben sich die Mädchen von den Strapazen des Eingriffs erholt, entwickeln sich laut den Ärzten gut. Zwar liegen sie noch auf der Intensivstation, doch können sie bereits ohne Infusion ernährt werden. Ihr Gewicht hat sich seit der Geburt verdoppelt: Lydia wiegt jetzt 1890 Gramm, Maya 2120 Gramm. Die Eltern hoffen, dass noch viele weitere Gramm dazukommen.
Sorgen bereitet den beiden zurzeit aber ihre finanzielle Situation. Der Vater ist Abwart, seine Frau arbeitet nicht. «Wir wohnen in der Region Basel, meine Frau war seit Anfang Dezember am Inselspital hospitalisiert, jetzt wohnt sie mit unserer Tochter Kamillia in einem Haus der Kinderstiftung Ronald McDonald in Bern», so der Vater.
Täglich sei er nach Bern gefahren, das sei teuer. Nun hoffe er auf Unterstützung: «Ich weiss nicht, wie ich drei Kinder finanzieren soll. Manchmal habe ich Angst, meine Arbeit zu verlieren, weil ich so oft fehle. Ich weiss nicht, was ich machen soll.» (gr)