Ein hoher Zoll, den die zwei Todes-Lawinen im Diemtigtal forderten: Vier Menschen starben in den Schneemassen, drei weitere werden vermisst – und weder Retter noch Angehörige zweifeln, dass auch diese drei tot sind.
Insgesamt wurden am Sonntag 12 Menschen verschüttet. Die meisten von ihnen, weil sie mutige Hilfsbereitschaft zeigten. Wie Andreas Ammann (39), seit elf Jahren der erste Rega-Retter, der im Einsatz umkommt. Das erste Mal überhaupt, dass die Rega bei einem Lawineneinsatz einen eigenen Retter verliert.
Das Drama beginnt am Sonntag, kurz nach 11 Uhr. Am Drümännler geht eine Lawine nieder. Ein Mitglied einer achtköpfigen Tourengruppe wird begraben. Dabei herrscht nur mässige Lawinengefahr. Hat eine weitere, unbekannte Tourengruppe die Lawine ausgelöst?
Zum Glück ist im selben Gebiet eine 27-köpfige Tourengruppe des Skiclubs Rubigen BE unterwegs. In mehreren Teams. Sie sehen das Unglück und alarmieren die Rega.
Zwei Helis fliegen herbei. Andreas Ammann, diensthabender Arzt der Rega-Station von Zweisimmen BE, und drei Rubiger Skiwanderer graben den ersten Verschütteten aus. Da geht die zweite Lawine nieder.
«Danach war alles weiss», erzählt Bernhard Scherz, Präsident des Rubiger Skiclubs. «Unsere Helfer und der Arzt waren verschüttet von der zweiten Lawine. Wären wir nur fünf Minuten früher gegangen – und alle wären noch am Leben.»
Jetzt wird aus der Rettungsaktion ein Grosseinsatz von 100 Helfern. Sie bergen neun Menschen: einer ist bereits tot, drei sterben auf dem Weg ins Spital.
Unter den Toten: Andreas Ammann, Anästhesie-Oberarzt vom Basler Unispital. Seit 2002 ist er im Einsatz für die Rega. Sein «Job» am Himmel, wie er im Internet sagt: «Die Welt sieht total anders aus von da oben.» Seinen Nachbarn sagte er dann, er sei über sein Haus geflogen, habe von oben einen freien Parkplatz gesucht.
Im Oktober war sein Rotationsdienst beendet. Aber Andreas liebte die Aufgabe so, dass er sich noch über die Festtage als «Freelancer» meldete. Am Sonntag auf Posten in Zweisimmen.
Dabei hätte er am 21. Januar mit seinem Lebenspartner René B.* für vier Wochen nach Australien reisen wollen. Nach dieser Reise wollten die beiden ihre Beziehung registrieren lassen.
Doch stattdessen hört sein Freund am Sonntag von der Lawinenmeldung – und hat sofort Angst. Von der Rega versucht er Auskünfte über das Schicksal von Andreas zu erhalten. Wird aber abgeblockt. Als nicht offiziell registierter Lebenspartner gilt er als «nicht verwandt».
Erst um 19.30 Uhr klingelt ein Rega-Mitarbeiter an der Tür. Überbringt die traurige Nachricht. Danach fährt ihn ein Nachbar ins Berner Inselspital, wo Andreas am Nachmittag gestorben ist.
Andreas hatte keine einfache Kindheit. Als Scheidungskind wuchs er zeitweise in einem Basler Heim auf. Ging ans Kleinbasler Inseli-Schulhaus. Ein aufmerksamer Heimbetreuer sorgte dafür, dass der begabte Andreas ans Bäumlihof-Gymi kam.
«Ein unglaublich zuverlässiger Mensch», sagt eine Nachbarin. «Wenn ich jetzt an seinem Haus vorbeigehe, kommen mir die Tränen.» Eine andere Nachbarin bestätigt: «Wir hatten Andreas alle gern. Das ganze Quartier ist total erschüttert.»
Doch seine Nachbarn und Freunde sind auch stolz auf den mutigen Arzt, der sein Leben gab für andere.