Ich habe mir einen Teil meiner Schaufel abgebrochen, ohne dass ich einen Unfall hatte. Ein Kunststück!
Cedric Regez: Tatsächlich (lacht).
Sie klärten mich über den wahren Grund auf.
Sie knirschen nachts mit den Zähnen.
Anscheinend. Und Sie? Tun Sie das auch?
Ja.
Haben Sie sich auch schon einen Zahn abgebrochen dabei?
Nein, aber das kommt ziemlich häufig vor. Einmal kam eine Frau, die sich nachts zwei gesunde Zähne gespalten hat. Als sie aufwachte, hatte sie höllische Schmerzen. Sie müssen sich vorstellen: Die Kaumuskulatur ist der stärkste Muskel, den Sie haben. Man beisst mit bis zu 200 Kilogramm zu.
Warum beisst man zu im Schlaf?
Verarbeitung von Stress. Die ganze Situation mit Corona hat das noch einmal verstärkt. Wir haben viele Patienten, die in den letzten Monaten mit Schmerzen im Kiefer kamen.
Knirschen baut also Stress ab. Was geschieht da genau?
Ich denke, es ist evolutionär bedingt. Früher jagten wir und rannten vor Tieren weg. Heute sind viele von uns Bürogummis. Wir sitzen den ganzen Tag. Der Leistungsdruck aber ist hoch. Diese Differenz versuchen wir nachts aufzulösen.
Was hilft dagegen?
Den Stress eliminieren. Das wollen die Patienten aber nicht hören, weil jeder weiss, dass Stress ungesund ist. Ich sage gar nicht erst: Machen Sie doch Yoga. Ich muss also eine symptomatische Behandlung machen. Und ich muss die Zähne schützen. Da helfen Schienen. Ich habe so eine – und Sie ja jetzt auch.
Und auch viele meiner Freunde. Mit der Knirschschiene verhält es sich wie mit der Zahnseide: Alle haben das, niemand nutzt es.
Zahnseide benutze ich tatsächlich nicht.
Wie bitte?
Ich mag es nicht. Es gibt sinnvollere Sachen als Zahnseide. Solche, die Menschen auch wirklich benutzen. Kleine Bürstchen beispielsweise.
Hatten Sie schon mal ein Loch?
Nie.
Sie schauen täglich in fremde Münder. Was ist schlimm an Ihrer Arbeit?
Es ist schon angenehmer, wenn die Patienten vor dem Termin die Zähne putzen. Aber Ekel verspüre ich nie.
Das glaube ich Ihnen nicht.
Ich habe mich daran gewöhnt. Vielleicht ganz am Anfang, wenn es roch. Aber jetzt, wenn ich eine Wurzelbehandlung mache, gehe ich rein mit dem Instrument, ziehe es raus und rieche dann daran.
Sie riechen daran?
Ja, um festzustellen, ob es Bakterien drin hat oder nicht. Es ekelt mich nicht. Ich weiss, es riecht jetzt unangenehm. Aber ich weiss auch, was es ist.
Freut sich ein Zahnarzt über richtig kaputte Zähne?
Für mich sind die spannenden Fälle die ästhetischen. Wenn jemand kommt und sagt, ich schäme mich zu lachen. Und ich dieser Person ein neues Lachen schenken kann.
Bei Löchern ist das anders.
Wenn jemand ein Loch bohren muss, das ihm nicht wehtut, und es ihn trotzdem viel Geld kostet, hat er wenig Lust, zu mir zu kommen. Ich versuche es trotzdem angenehm zu machen.
Wie macht ein Zahnarzt es angenehm?
Mich interessieren die Menschen. Ihre Leben, ihre Berufe, ihre Reisen. Ich rede gern mit meinen Patienten. Das ist wahnsinnig spannend. Und auch unser Motto: Keine Schmerzen bei der Behandlung.
Die Patientin auf dem Schragen kann nicht viel sagen.
Klar, in diesem Moment rede ich auch nicht. Ich rede vorher und nachher. Währenddessen sage ich einfach, was ich mache, stelle eine Verbindung her, versuche auf Augenhöhe zu kommen. Das schätzen die Patienten, glaube ich zumindest.
Augen offen oder zu?
Ich gebe meinen Patienten eine Sonnenbrille.
Weil Sie nicht angestarrt werden wollen?
Ich habe sowieso meine Lupenbrille auf, damit sehe ich zwei Zähne und konzentriere mich darauf. Viele finden die Sonnenbrille angenehm. Dann blendet das Licht auch nicht.
Was war das Überraschendste, was Sie je entdeckten?
Ein Patient war Flüchtling und hat sich die Schaufel ausgeschlagen. Er war bei einem anderen Zahnarzt, der flickte ihm das aber nicht. Der Patient dachte, das bleibt nun immer so, weil er kein Geld hat. Er suchte sich darum im Garten einen weissen Stein, schliff ihn so, dass er genau vorne reinpasste, und steckte ihn rein. So kam er zu mir. Wirklich herzig. Ich konnte ihm dann etwas Neues machen.
Wer ist wehleidiger, Männer oder Frauen?
Männer.
Weshalb?
Es gibt Frauen, die sagen: Ich habe zwei Kinder geboren. Das, was Sie in meinem Mund machen, ist nichts dagegen.
Weinen Menschen hier?
Selten. Und wenn, dann aus Angst. Niemals wegen der Schmerzen. Tut es weh, arbeite ich nicht weiter.
Ist es ein schönes Gefühl, Weisheitszähne zu ziehen?
Ja.
Dann ist es ja zumindest für jemanden schön.
Manchmal ist es seltsam, ich schneide und fräse am Knochen, und der Patient liegt gemütlich auf dem Stuhl. Manchmal denke ich: «Zum Glück müssen Sie nicht sehen, wie es gerade in Ihren Mund aussieht.» Aber der Patient spürt ja nichts. Im Ernst: Mit einer guten Planung sind die meisten Weisheitszähne schnell gezogen.
Was finden Sie schön?
Weisse Flecken auf dem Zahn, das finde ich mega schön. Viele wollen es weghaben. Mir gefällt, wenn nicht alles perfekt ist. Sonst sieht es schnell künstlich aus.
Was ist das Schlimmste für die Zähne?
Den ganzen Tag an einem Süssgetränk zu nuckeln.
Wie entsteht eigentlich ein Loch?
Sie waren in der Dentalhygiene, und ab diesem Moment kommen wieder Bakterien auf die Zähne. Diese Bakterien machen einen Biofilm. Das sind etwa zweitausend Schichten von Bakterien. Der Biofilm braucht 24 Stunden, um zu reifen. Das kann er, wenn er in dieser Zeit nie mechanisch berührt wurde. Geschieht das nicht und Sie essen Zucker, isst dieser Biofilm auch Zucker. Nachher scheidet er Säure aus. Und diese Säure löst Mineralstoffe aus dem Zahn raus. So wird der Zahn weich, bricht zusammen – das Loch ist da.
Wir kämpfen mit unserer Zahnbürste also gegen Biofilm.
Genau. Ist der weg, können wir so viel Schokolade essen, wie wir wollen.
Machen Sie auch Steinchen auf Zähne?
Mache ich. Aber ich sage dem Patienten ehrlich, dass ich das nicht schön finde. Ab und zu machen wir Goldkronen, das ist wieder im Trend. Es gibt solche, die kommen ohne einen einzigen kaputten Zahn und sagen: ich will eine Goldkrone. Aber ich kann doch nicht einen gesunden Zahn abschleifen, nur um eine Goldkrone zu machen. Das entspricht nicht der Ethik eines Zahnarztes.
Wer will Goldkronen?
Junge Männer. Wobei, einen goldigen Eckzahn finde ich noch cool, wenn es zum Typ passt.
Was ist sonst noch im Trend?
Weiss. Ganz weiss. Ästhetik. Bleaching und Veneers (Keramikschalen a. d. R). Das nimmt wohl auch wegen Instagram zu. Wir haben immer mehr Patienten und Patientinnen, die ihre Zähne verschönern und Veneers möchten. Viele Junge und auch viele Frauen zwischen 40 und 60, frisch verliebt. Oder kürzlich kam ein 88-jähriger Mann, er wollte «alles schön machen» für 10'000 Franken. Sein Zahnarzt sagte ihm, dass das nicht nötig sei. Ich fand, wenn er das will, mache ich es. Er hatte so Freude, sagte strahlend: Ich lache nun ständig. Er erzählte mir dann, dass er eine neue, 30-jährige Nachbarin hat. (lacht)
Viele Menschen haben Angst vor Ihnen. Weshalb?
Weil sie schlechte Erfahrungen machten.
Dann ist Ihre Berufsgattung also selber schuld.
Nicht immer. Der Mund ist sehr intim. Ich habe schon gehört, dass es weniger intim sei, zur Gynäkologin zu gehen als zum Zahnarzt. Viele schämen sich auch.
Was hilft gegen Scham?
Ich sage jeweils: Ist doch egal, ist doch normal. Oder dass ich viel Schlimmeres sehe. Ich gebe Ihnen das Gefühl, dass alles in Ordnung ist.
Und wenn jemand wirklich Panik hat?
Dann versuche ich rauszufinden, weshalb er Angst hat. Ist es die Spritze? Manche haben Angst vor dem Geräusch des Bohrers. Andere, dass sie nicht richtig atmen können oder dass sie sich verschlucken.
Was tun Sie dann konkret?
Ich sage: Schauen wir mal rein. Ich habe nur einen Spiegel, ich bohre nicht. Ich sage, dass wir genug Zeit haben, dass sie jederzeit Stopp sagen können. Es gibt Patienten, die müssen alle 30 Sekunden spucken. Nun, dann ist das halt so. Ich brauche so mehr Zeit und verdiene vielleicht nicht mehr. Aber es ist doch mein Job zu helfen. Klar bringt man die Angst nicht bei allen weg. Aber bei den meisten.
Macht es etwas mit einem als Mensch, wenn die eigenen Kunden einen lieber nicht sehen wollen?
Es gibt Zahnärzte, die darüber frustriert werden, immer Menschen um sich zu haben, die eigentlich nicht da sein wollen. Man muss einen Weg finden, um es für sich selber spannend zu machen. Sonst wird man frustriert. Zahnärzte haben eine der höchsten Suizidraten.
Weshalb sind Sie Zahnarzt geworden?
Ich bastle gern.
Das zerstört jetzt alles Vertrauen, dass Sie in der letzten Stunde aufgebaut haben.
(Lacht) Also etwas präziser: Ich mag dieses Handwerk, und ich mag Menschen.
Eine letzte Frage: Handzahnbürste oder elektrische Zahnbürste?
Egal. Was zählt, ist die Technik. Der Zahn muss überall berührt werden.
Cedric Regez ist im Aargau aufgewachsen und lebt heute in Zürich. Er hat an der Universität Zürich studiert und führt seit diesem Jahr zusammen mit Jan Munzinger die Zahnarztpraxis «Style your smile» in Zürich. In seinem Leben kümmert er sich allerdings nicht nur um die Zähne von anderen Menschen, sondern lässt sie auch gern tanzen. Denn der 30-Jährige ist nicht nur Dr. med. dent. Regez, sondern auch DJ Sandhog.
Cedric Regez ist im Aargau aufgewachsen und lebt heute in Zürich. Er hat an der Universität Zürich studiert und führt seit diesem Jahr zusammen mit Jan Munzinger die Zahnarztpraxis «Style your smile» in Zürich. In seinem Leben kümmert er sich allerdings nicht nur um die Zähne von anderen Menschen, sondern lässt sie auch gern tanzen. Denn der 30-Jährige ist nicht nur Dr. med. dent. Regez, sondern auch DJ Sandhog.