Sabine Timoteo

Publiziert: 03.11.2006 um 14:05 Uhr
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Aktualisiert: 06.09.2018 um 21:09 Uhr
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Die Bernerin Sabine Timoteo hängte Ballettschuhe und Kochlöffel an den Nagel und wurde Schauspielerin. In Deutschland ist sie längst mehr als ein Geheimtipp. Jetzt erobert sie auch ihre Heimat

Text: Sabine Eva Wittwer

Wie kommt ihr denn ausgerechnet auf mich?» Sie fragt das tatsächlich. Und man sucht, einigermassen überrumpelt, nach einem Zwinkern in ihrem Blick, einem ironischen Zucken im Mundwinkel – irgendeinem Hinweis, dass sie nur kokettiert. Doch Sabine Timoteo kokettiert nicht. Von ihr gebe es nicht allzu viel zu erzählen, erklärt sie mit Bestimmtheit – von ihrer Arbeit schon eher.

Es ist früher Nachmittag, Sabine Timoteo sitzt in einer Bar in Zürich, den Rücken durchgestreckt, die Arme verschränkt, und blickt ihrem Gegenüber aufmerksam in die Augen – und ein wenig skeptisch. Sie findet es immer noch absurd, Fremden von sich selber zu erzählen. Sie wird sich dran gewöhnen müssen.

Allein in den vergangenen drei Jahren hat die 31-jährige Bernerin acht Spielfilme abgedreht, davon drei fürs Schweizer Fernsehen. Die werden in den nächsten Monaten ausgestrahlt – und Sabine Timoteo endlich auch in der Heimat so bekannt machen wie in Deutschland, wo sich die Medien um die zierliche Schweizerin reissen. Vom
Modemagazin «Madame» bis zur FAZ: Alle wollen sie interviewen, sie fotografieren. Ihre ernste, kompromisslose Art kommt an – zumal sie mit einer Verletzlichkeit gepaart ist, die man im Showbusiness selten sieht. Das ist sexy.

Im Lorraine-Quartier in Bern hingegen, wo sie mit ihrem Mann und ihren zwei Töchtern in einer einfachen Dreizimmerwohnung lebt, kennt man sie nicht als Schauspielerin. Dort ist sie einfach «d Sabine». Man hütet sich gegenseitig die Kinder und sitzt abends bei einem Glas Wein. Kürzlich sagte jemand auf dem Spielplatz zu ihr: «Ich glaub, ich hab dich am Fernsehen gesehen. Bist du die Sabine Timoteo?»

In Deutschland ist Sabine Timoteo derzeit gleich in zwei Kinofilmen zu sehen: dem aufwühlenden Beziehungsdrama «Der freie Wille» und der herzergreifenden Komödie «Ein Freund von mir», die nächste Woche auch bei uns in die Kinos kommt. Darin spielt sie an der Seite von Jürgen Vogel und Daniel Brühl zwar nur eine Nebenrolle – und ist doch der strahlende Mittelpunkt des Films. Sie spielt Stelle, eine junge Frau im Geflecht einer höchst turbulenten Männerfreundschaft. Für einmal keine so extreme Rolle, auf die sie normalerweise gebucht ist: kein Strichmädchen wie in ihrem allerersten Film vor zehn Jahren, kein gehetztes Stadtdschungelwesen wie in dem preisgekrönten «Gespenster». Und keine psychisch Verwundete, die sich in einen Vergewaltiger verliebt wie in «Der freie Wille».

«Deshalb hab ich Stelle so gern», sagt Sabine
Timoteo. «Weil sie jemand ist, der sich selber in Ruhe lässt. Die hat es einfach gut mit sich.» Vielleicht hat sie es auch deshalb so genossen, die Figur zu spielen, weil sie sich ihr nahe fühlt: «Ich muss auch nicht mehr immer so
extrem sein wie früher, um überhaupt etwas zu spüren. Jetzt erforsche ich die Zwischentöne. Das ist genauso
interessant.»

Das war nicht immer so. Aufgewachsen als ältestes von vier Kindern in New Mexico (USA) und Lausanne beginnt Sabine Timoteo mit fünf zu tanzen. Sie ist 17, als sie den Prix de Lausanne als beste Schweizer Balletttänzerin gewinnt und 18, als sie zu Heinz Spoerli ins Ensemble der Deutschen Oper in Düsseldorf kommt – der Traum einer jeden klassischen Tänzerin. Doch Sabine Timoteo, die damals noch Hagenbüchle heisst – ein altes Thurgauer Geschlecht –, kündigt zwei Monate später und geht mit der berühmten japanischen Ausdruckstänzerin Carlotta Ikeda auf Welttournee – ein Befreiungsschlag: «Wenn man so lange klassisch getanzt hat wie ich, ist man geformt, man ist konditioniert – auch im Kopf. Und wenn die Diskrepanz zwischen dem, wie man gegen aussen scheint und dem, wie man sich fühlt, zu gross wird, geht es irgendwann nicht mehr.» So begründet sie viele ihrer Entscheidungen: «Es ging einfach nicht mehr.» Oder: «Ich konnte nicht anders.»

Bei einem Schauspiel-Workshop in München (D) bittet sie der Regisseur Philip Gröning, die Hauptrolle in seinem Jugenddrama «L’amour, l’argent, l’amour» zu übernehmen: die kindliche Prostituierte Marie. Sabine Timoteo erinnert sich: «Da war ich gerade mal 19. Bisher hatte ich nur getanzt. Ich dachte, der Regisseur weiss gar nicht, wovon er redet, der kennt mich doch gar nicht. Ich würde ihn ganz bestimmt entäuschen.» Sie spielt die Rolle der Marie trotzdem – und wird für ihre Leistung prompt mit dem bronzenen Löwen in Locarno ausgezeichnet, ein Jahr später folgt der Schweizer Filmpreis. Doch die intensiven Dreharbeiten zu Grönings Film hatten sie körperlich und seelisch ausgelaugt. «Ich musste wieder Boden unter den Füssen kriegen.» Zum Zeitpunkt der Preisverleihung hat sie ihr Leben daher bereits wieder radikal umgekrempelt: Sie ist von Berlin, wo sie inzwischen wohnte, in ihre Geburtsstadt Bern umgezogen – und hat eine Kochlehre absolviert: «Ich musste einfach etwas Handfestes machen.»

Noch während der Lehre lernt sie ihren Mann kennen – einen Peruaner mit dem wunderschönen Nachnamen Timoteo: «Er joggte am Restaurant vorbei, in dem ich arbeitete, und ich wusste: Das ist er. Das wird der Vater meiner Kinder.» Sie ist 23, als sie schwanger wird – und wieder zur Schauspielerei zurückkehrt.
Bis heute sucht sie sich Rollen aus, die sie immer wieder hart an ihre Grenzen treiben. Sie braucht das, «sonst machts keinen Sinn». Und dabei hat sie nach wie vor das Gefühl, sie sei keine echte Schauspielerin, sie würde alle nur täuschen. Und irgendwann fliegt alles auf.

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