Religion
Jesus – Ein Kind der Schande?

Publiziert: 20.12.2005 um 15:09 Uhr
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Aktualisiert: 04.10.2018 um 20:28 Uhr
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Franz Sabo

Text: Franz Sabo
Foto: Gaëtan Bally

In einer Weihnachtspredigt, die Franz Sabo für das SonntagsBlick-Magazin SIE+ER geschrieben hat, greift der Röschenzer Pfarrer die Kirche frontal an. Für Sabo ist Papst Benedikt XVI. der «oberste Fensterverriegler».


Die Geburt Jesu, von der uns die Weihnachtsgeschichte erzählt, hat natürlich eine Vorgeschichte.

Im ersten Kapitel des Matthäusevangeliums lesen wir: «Mit der Geburt Jesu Christi war es so: Maria, seine Mutter, war mit Josef verlobt. Noch bevor sie zusammengekommen waren, zeigte sich, dass sie ein Kind erwartete – durch das Wirken des Heiligen Geistes. Josef, ihr Mann, der gerecht war und sie nicht blossstellen wollte, beschloss, sich in aller Stille von ihr zu trennen.»

In der heutigen Sprache heisst das: Maria hat ein uneheliches Kind erwartet! Gott war sich nicht zu schade, diesen Weg zu wählen! Doch was haben die Menschen – und allen voran die Kirche – daraus gemacht?

Jahrhundertelang wurden Frauen, die ein uneheliches Kind hatten, beschimpft und diskriminiert. Jahrhundertelang wurden uneheliche Kinder als «Bastarde» bezeichnet und entsprechend behandelt! Jahrhundertelang wurden tausende und abertausende uneheliche Kinder entweder vor oder nach der Geburt getötet – aus Angst vor der «Schande», aus Angst, als Mutter eines nichtehelichen Kindes von den eigenen Eltern davongejagt zu werden!

Wer hat solche Gesetze gemacht? Ob geschriebene oder ungeschriebene, spielt keine Rolle.

Menschen haben sie gemacht – vor allem Männer der Kirche. Sicher ist auf jeden Fall: Gott hat sie nicht gemacht! Aber man hat sie IHM sozusagen in die Schuhe geschoben. Man hat sich auf ihn berufen, und so die Massen der Menschen so weit gebracht, dass sie selber überzeugt waren, es sei Gottes Wille. Genauso wie immer wieder Massen davon überzeugt werden, es sei Gottes Wille, Krieg gegen sogenannte «Ungläubige» zu führen.

Tatsache aber bleibt, dass Gottes Sohn als uneheliches Kind in diese Welt geboren wurde – so jedenfalls steht es in der Bibel. Noch einmal: Gott war sich nicht zu schade, diesen Weg zu wählen. Doch die Menschen in ihrer Verblendung haben das Zeichen nicht verstanden – oder wollten es nicht verstehen. Keineswegs alle der kirchlichen Gesetze «dienen» dem Zusammenleben der Menschen und dem Schutz sowie der Würde des Einzelnen. Es gibt Gesetze, die das Zusammenleben mehr erschweren, als dass sie es erleichtern. Viele schaden ganzen Gruppen oder Minderheiten, und es stellt sich sogar die Frage, ob das eine oder andere «Gesetz» der Kirche mit den Menschenrechten vereinbar ist. Doch so lange die grosse Mehrheit der Menschen von diesen diskriminierenden Gesetzen nicht selber betroffen ist, sieht sie grosszügig darüber hinweg.

Papst Johannes XXIII. hat die Fenster des Vatikans geöffnet. Eine grosse Chance hat sich für die römisch-katholische Kirche aufgetan, sich endlich auf das Heute hin zu bewegen. Er hat das gemacht, was ein Kalenderspruch so formuliert: «Wer alles Alte schützen will, vergisst, dass auch das Alte einmal neu war. Altes loslassen und Neues schaffen hat mit Vorwärtskommen zu tun.»

Aber dann schloss Kardinal Ratzinger, während seiner Zeit als Chef der römischen Glaubenskongregation, ein geöffnetes Fenster nach dem anderen. Auch auch als Benedikt XVI. bleibt er sich als oberster Fensterverriegler treu.

Und so sägen die Hohen Priester der römisch-katholischen Kirche munter weiter an dem Ast, auf dem sie sitzen.

Wenn all jene Priester nicht mehr als Priester tätig sein würden, die entweder ein Verhältnis mit einer Frau oder mit einem Mann haben, dann könnte die römisch-katholische Kirche ihren Laden dichtmachen.

Die Kirche ist ohnehin auf dem besten Weg – zumindest in unseren Breiten – ihren Charakter als Volkskirche zu verlieren. Sie droht mehr und mehr zu einer fundamentalistischen Sekte à la Opus Dei zu degenerieren.

Der Pflichtzölibat verhindert Priesterberufungen. Der Pflichtzölibat hat Scharen von Priestern dazu bewogen, ihren Beruf und ihre Kirche zu verlassen. Der Pflichtzölibat bringt zahllose Priester in schwerste Gewissenskonflikte, wenn sie sich einerseits ihrem Beruf und ihrer Berufung verpflichtet fühlen, andererseits aber den Zölibat nicht einhalten können.

Warum wird es immer wieder hingenommen, dass Priester, die zu ihrer Partnerschaft stehen, entlassen und rausgeschmissen werden? Schuld daran sind nicht nur «die da oben», also der Machtapparat der Kirche, der den Priester an die Luft setzt.

Mitverantwortlich sind auch «die da unten», das Kirchenvolk wie auch die Kirchenräte, die solches Vorgehen letztlich immer wieder über sich ergehen lassen. Man hört dann zwar: «Ach, das war doch so ein netter und guter Pfarrer ..., so menschlich ..., und verstanden hat man ihn ..., und überhaupt ist es furchtbar schade!» Aber, das wars dann in der Regel auch. Nach ein paar Wochen und Monaten ist Gras über die Sache gewachsen. Man kann ja eh nichts machen.

Man kann schon! Wenn man will! Röschenz hats gezeigt.

Manchmal sind unkonventionelle Wege geboten, um vorwärts zu kommen. Manchmal tun «Zeichen», mit denen niemand gerechnet hat, Not, um wachzurütteln.

Gott selbst hat ein solch unkonventionelles Zeichen gesetzt. Nicht nur, «dass» er in Jesus Mensch geworden ist, sondern auch «wie»!

Gott war sich nicht zu schade, quasi als uneheliches Kind in ärmsten Verhältnissen zu uns Menschen zu kommen. Er scheute sich nicht, einen neuen, einen anderen Weg zu wählen.

Wann wird dieses Zeichen auch von Rom verstanden? Und wann finden wir alle den Mut, die alten, ausgetretenen Pfade zu verlassen und neue zu beschreiten?

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