Krank oder schwanger? Der Gesetzgeber hat eine klare Haltung: Schwanger ist eine Frau rechtlich erst ab der 13. Woche. Denn erst ab diesem Zeitpunkt gilt für sie die sogenannte Kostenbefreiung. Die Krankenkasse darf also weder Franchise noch Selbstbehalt für Behandlungen verlangen, die im Zusammenhang mit der Schwangerschaft stehen.
Verliert eine werdende Mutter ihr Kind aber vor der 13. Woche – in der Schweiz sind dies 20'000 Fälle pro Jahr oder jede fünfte Schwangerschaft –, bleibt sie neben dem psychologischen Leid auch noch auf den Kosten für die Fehlgeburt sitzen. Ist eine Curettage nötig, also eine Ausschabung, wird die Rechnung schnell vierstellig.
Schon seit langem ein Thema
Die Unterscheidung gilt offiziell seit 2014. Zuvor hatte das 1996 eingeführte Krankenversicherungsgesetz für eine ungewollte Entwicklung gesorgt. Zwar hielt dieses fest, dass Krankenkassen auf Leistungen bei der Mutterschaft keine Kostenbeteiligung erheben. Doch das Eidgenössische Versicherungsgericht kam in mehreren Präzedenzurteilen zum Schluss, dass sich Frauen bei Schwangerschaftskomplikationen an den Kosten beteiligen müssen.
2005 reichten gleich mehrere Politikerinnen Vorstösse ein, um die Ungerechtigkeit zu beenden. Die heute geltende Unterscheidung stand schon 2010 im Rahmen der Managed-Care-Vorlage zur Debatte. «Es war eine sehr komplexe Frage», erinnert sich die frühere CVP-Nationalrätin Thérèse Meyer-Kaelin (70), welche die Gesundheitskommission präsidierte. Mit der Fristenregelung war vorher der Schwangerschaftsabbruch bis zur 12. Woche entkriminalisiert worden. Daher wurde auch diese Grenze zum Thema. Die Managed-Care-Vorlage scheiterte dann aber 2012 aus anderen Gründen an der Urne.
Egerszegi: «Auch ich habe ein Kind in der achten Woche verloren»
Kurz darauf nahm das Parlament einen neuen Anlauf, um die Frage separat ins Gesetz zu giessen. Alt FDP-Ständerätin Christine Egerszegi (70) erinnert sich an die Debatte von damals – und an schwierige Sitzungen der Gesundheitskommission, deren Präsidentin sie war. «Der Druck der Krankenkassenvertreter war gross. Sie verlangten, dass man die Schwangeren erst ab der 13. Woche von den Kosten befreit. Wir mussten nachgeben, sonst hätten wir am Ende gar keine Entlastung für Schwangere gehabt», sagt sie. Von 13 Kommissionsmitgliedern waren sieben laut Egerszegi Kassenvertreter.
Das Tabu Frühgeburt bewegt Egerszegi auch persönlich. Sie sei tief beeindruckt von Andrea Keller (48), die im BLICK das Tabu brach und über ihre Fehlgeburten sprach. Egerszegi: «Auch ich habe ein Kind in der achten Woche verloren, da war ich 26 Jahre alt. Ein solcher Verlust tut lange weh.»
Egerszegis Nachfolger sollen dem Druck der Krankenkassenverbände standhalten
Darum verstehe sie nicht, wieso «die Schweiz Frauen noch mit Kosten bestraft, die gerade eine Fehlgeburt hatten». Sie betont: «Juristisch mag es vielleicht irgendwie verständlich klingen, weil ein Embryo bei der Fristenregelung erst ab der 13. Woche als lebensfähig bezeichnet wird. Aber menschlich ist es grausam. Für jede Frau ist das einfach klar: Die Schwangerschaft beginnt ab dem Zeitpunkt, da ein Leben in uns wächst.»
Und so hofft Egerszegi jetzt, dass ihre Nachfolger in der Gesundheitskommission dem Druck der Krankenkassenverbände nicht nachgeben und dem Vorstoss von Nationalrätin Irène Kälin zustimmen. «Schwangerschaft ist keine Krankheit. Deshalb darf es auch keinen Selbstbehalt geben», so Egerszegi. «Wir diskriminieren sonst jene Frauen, die ein Kind verloren haben. Und das nur, weil man ein paar Franken spart.»