Unruhestifter Joachim Son-Forget will französischer Präsident werden
Genie oder Spinner?

Joachim Son-Forget, neues Wunderkind der französischen Politik, stolperte im Dezember über einen sexistischen Tweet. Nun hat der ­Vertreter der in der Schweiz lebenden Franzosen seine eigene Partei gegründet. Sein Ziel: die Präsidentschaft. Genie oder Spinner?
Publiziert: 04.02.2019 um 11:51 Uhr
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Aktualisiert: 13.02.2019 um 10:38 Uhr
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Ein Mann mit Plänen: Joachim Son-Forget im französischen Parlament in Paris.
Foto: P. Normand/Opale/Leemage/laif
Anna Miller

Er werde seltener provozieren, ab sofort, sagt Joachim Son-Forget, zumindest werde er sich Mühe geben. Vielleicht brauche es die Provokation ja gar nicht mehr, vielleicht reiche es auch so, für den Aufstieg in der ­Politik, für den nächsten grossen Wurf.

Ein kalter Tag im Januar, an der Rue de l’Université in Paris, Ge­bäude der Assemblée Nationale. ­Joachim Son-Forget, 35 Jahre alt, Vertreter der Auslandfranzosen in der Schweiz und im Fürstentum Liechtenstein, sitzt in seinem kleinen Büro im vierten Stock und ­
redet mit leiser Stimme, während seine beiden Handys auf dem Tisch Nachrichten ausspucken. Er ist klein und zierlich, Brille, Strickpullover mit Fuchskopf darauf, kein Anzug, keine Krawatte, dafür ein Stück trockenes Baguette neben dem Bildschirm, Schweizer Franken auf dem Tisch, Foie gras im Glas und zwei weisse Kopfkissen auf dem Ledersofa an der Wand. Son-Forget schläft an drei Tagen pro Woche in seinem Büro, den Rest der Woche verbringt er im Ausland oder an seinem Wohnort in Genf, gibt Klavierkonzerte, arbeitet als Radiologe, 
ist Familienvater, Politiker, Arzt.

2017 hatten die 130 000 Auslandfranzosen in der Schweiz und Liechtenstein Joachim Son-Forget mit überragendem Resultat in die Nationalversammlung gewählt. Er galt für viele als neue Hoffnung in ­Frankreich, als eines der Aushängeschilder von Emmanuel Macrons 
La République en Marche. Er hatte alles: eine traurige Kindheits­geschichte, Brillanz und viel Trubel. 1983 in Süd­korea geboren und von seinen Eltern auf der Strasse ausgesetzt, wird er ein paar Monate später von einem französischen Paar adoptiert. Er wächst auf dem Land auf, mit drei Geschwistern, studiert in Dijon, ­Paris und Lausanne, spielt semi­professionell Klavier, wird mit 22 das erste Mal Vater, hält Konzerte, wird Radiologe an verschiedenen Spitälern in der Schweiz, sagt, er sei Experte in kognitiver Psychologie.

Provokationen über Twitter führten zum Austritt

Der Schweizer Öffentlichkeit war 
er bis vor Dezember 2018 kaum ­bekannt. Die Bekanntheit kam dann in Form eines Skandals, eines Karriereknicks. Weil er auf seiner Twitter-Bühne rabiat wurde, direkt, angriffig, sexistisch. Zuerst fiel er mit direkten Beleidigungen gegen Donald Trump auf, dann griff er eine französische Politikerin an, indem er sagte, sie sei in einen Topf voller Schminke gefallen. Er hatte wiederholt die feine Linie zwischen humoris­tischer Provokation und rassistisch-sexistischem Inhalt überschritten, zumindest in den Augen der Politik und der Öffentlichkeit. Macrons Partei legte ihm den Rücktritt nahe. Und Son-Forget trat aus der Partei aus.

In Langres, im Osten Frankreichs, auf dem Land, wo Son-Forget aufwuchs, war das Leben einsam. Der Junge wird zu Hause unterrichtet, hat kaum Kontakt zur Aussenwelt. Er lernt für sich selbst, Dinge eigentümlich anzugehen, ein bisschen ausserhalb des Systems. Vielleicht sei er deshalb wie ein Chamäleon, einer, der sich an jeden und alle Umstände anpassen könne, er habe Freunde auf der ganzen Welt, sei in verschiedenen Kulturen zu Hause, er wisse, was die Menschen beschäftige. Vielleicht kommt es daher, dass Son-Forget das etablierte politische System nicht akzeptieren will.


Son-Forgets Handy-Bildschirmhintergrund ist eine Collage seines eigenen Gesichts, Weggefährten beschreiben ihn trotzdem als schüchtern und reserviert. Andere sagen von ihm, er sei jemand, der immer alles erreicht hat. Der bekam, was er wollte. Gegner kritisieren ihn für seine vermeintliche Oberflächlichkeit und dafür, dass er in Paris faktisch politisch nichts erreicht habe, nur am Handy, die ganze Zeit, aber in der Nationalversammlung kaum bemerkbar. Er selbst sieht das anders. «Ich spreche direkt zu den Bürgern, ohne Zwischenschritte. Ich beantworte den ganzen Tag und in der Nacht Anfragen von Menschen, die mir über die sozialen Medien schreiben. So erreiche ich das Volk.»

Und so stellt er Videos ins Netz, in denen er mit einem Lichtschwert hantiert oder setzt Fäkalsprache ein, arbeitet mit Memes und GIFs, mit Humor, Satire und Provokation. Jeder, der mit den sozialen Medien aufgewachsen sei, verstehe diese Sprache und verstehe: Das ist ein Code, unter uns, die im Internet zu Hause sind. «Wir lachen online über die gleichen Sachen, aber am Ende, wenn sie physisch aufeinandertreffen, sind diese Menschen an echter Politik interessiert und an der wirklichen politischen Debatte.» Es sei ein Missverständnis, dass man inhaltslos sei, nur weil man sich im Netz der Satire bediene. Diese Tweets seien durchdacht, sie würden teils über Stunden in seiner Kammer ausgegoren.

Viele junge Franzosen fühlen sich verstanden und endlich von ­jemandem vertreten, der ist wie 
sie selbst: jung, unkonventionell, direkt, angriffig, satirisch. «Ich will die Absurdität von politischer Korrektheit zeigen und damit Menschen erreichen, die sich sonst nicht für Politik interessieren.» Er vereint eine Art parteilose Partei in sich selbst. Manchmal vertritt er eine linke Ansicht, manchmal eine konservative, er möchte Flüchtlingen Asyl geben, zeigt sich auf Twitter aber beim Schiessen mit der Waffe, er ist für Atomenergie, aber für ein Gesundheitssystem, das alle mit einschliesst. Er ist ein bisschen von allem, die Person an der Front statt eines Parteiprogramms, Glauben an den Einzelnen statt an das System. Zeitgeist, eben.


Ein bisschen wie Donald Trump. «Trumps Stärke ist seine Ehrlichkeit. Er hat die richtige Waffe und die richtige Strategie», sagt Son-Forget. Er teile dessen Ansichten nicht, aber sei mit ihm einig, wenn es um ungefilterte Kommunikation gehe. Oder Information, die als Provokation verkauft wird: Seit Juni 2018 ist Son-Forget Bürger des Kosovo – das Gesuch hatte er aus Solidarität mit den Schweizer Fussballspielern eingereicht, als die Doppeladler-Affäre die Runde machte. Das richtige Gesuch zum richtigen Zeitpunkt. Was sich im Internet gut verkauft, gründet aber in einer jahrelangen engen Bindung an die Republik Kosovo. Er hat dort gelebt und als Arzt ge­arbeitet. «Ich wurde im Kosovo ­politisiert. Ich habe das Land nach dem Krieg erlebt, diese Leere, junge Leute ohne Hoffnung auf Arbeit oder Ausbildung», sagt er. Doch er habe im Kosovo politisch nicht ­genug Einfluss gehabt – also sei er nach Frankreich gekommen. «Ich dachte: Es gibt genug Probleme vor deiner eigenen Haustür, packen wir also diese an.»

Son-Forget möchte bald 
Schweizer werden

Jetzt ist er nun also in Frankreich Politiker – Privatperson bleibt er aber in der Schweiz. «Ich schätze das Leben hier, die Freiheit, die Höflichkeit der Menschen», sagt Son-Forget. Seit zehn Jahren lebt er hier, hat hier seine Familie, Freunde. Er hat die Schweiz während seines Studiums kennengelernt und möchte sie nun nicht mehr missen. Es sind die üblichen Gründe: Ruhe, Natur, ein funktionierendes poli­tisches System. «Das Schweizer ­Modell kann ein Vorbild für Frankreich sein, wenn es um den sozialen Zusammenhalt der Bürger geht.» Auch auf seiner Wunschliste: die Schweizer Einbürgerung.

Bis 2014 war Son-Forget Mitglied der sozialistischen Partei gewesen, danach der Partei Macrons, La République en Marche. Ende Dezember hat er nun innerhalb von wenigen Stunden seine eigene Partei lanciert und sie, unbescheiden und gradlinig, «Je suis Français et Européen» (JSFEE) genannt, die Abkürzung entspricht den Initialen seines Namens. Sein Vorbild: ­Emmanuel Macron. Son-Forget sagt von sich, er könne nicht lügen, und politische Korrektheit sei nun 
mal eine Lüge. «Jetzt bin ich endlich ich selbst. Um etwas wirklich Herausragendes zu schaffen, um anzuführen, musst du dich selbst sein. Die Anpassung loslassen.» Sein Ziel: der nächste Macron werden, der bessere.

Er sei authentisch und narzisstisch zugleich, gibt er zu, aber was solls, «so sind sie doch alle, in der Politik». Er hätte sich einen Porsche kaufen können, mit dem Geld, das er an Kliniken verdienen würde, in der Schweiz, seine Frau hätte wohl nicht mal was dagegen. «Aber das langweilt mich, diese Kategorien – zeigen, wer man ist und zu welcher Schicht man gehört», sagt er. Dann zuckt er mit den Schultern, wirft sich seinen Kaschmirmantel über seinen Fuchspullover, Handy in 
die Tasche, die Assistentin drängt schon, Treffen mit einer Gruppe junger Leute in einem Café, er hat ein neues Programm gestartet, er findet, die Enkel sollen sich mehr um die Grosseltern kümmern, die Alten gingen vor die Hunde, in Frankreich, aber darüber, dass er echte Politik mache, darüber schreibe ja niemand. 

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