Die Rekrutenschule macht in der Regel junge Männer reifer und lässt sie ab und zu etwas alt aussehen. Bei Rentner-Rekrut Robert Lüssi (62) passierte das Gegenteil: Auf ihn wirkten die sechs Wochen RS wie eine Verjüngungskur! Mit roten Backen und «um einige überflüssige Kilos leichter» empfängt er BLICK in der Fliegerkaserne in Payerne VD. Und stellt gleich zu Beginn klar: «Ich würde es wieder machen!»
Der Mann wusste, auf was er sich einliess. Schliesslich war Robert Lüssi als Oberst ausser Dienst mit 1550 Diensttagen am 14. Januar zu seiner sechsten RS angetreten! Freiwillig, für eine Feldstudie: Der frühere Vizedirektor der Zollverwaltung wollte sich ein Bild machen, wie sich Ausbildung, Material und Organisation im Vergleich zu seiner ersten RS 1976 in Payerne verändert haben.
Einmaliges Experiment
Die Armee öffnete dem Berner für dieses Experiment seine alte Kaserne. Lüssi durfte als «embedded soldier» – als eingebetteter, kontrollierter Fliegersoldat – eine RS ohne Sonderbehandlung absolvieren. «Jede Grossorganisation müsse sich mit Kritik konfrontieren und infrage stellen, wenn sie sich verbessern will», erklärt Schulkommandant Simone Rossi (48). Für den Tessiner ist aber auch klar: «Lüssi durfte nie der Spion des Kommandanten sein, sonst wäre diese Feldstudie für nichts gewesen.»
Lüssi hat auch sportlich überrascht
Tatsächlich kam Lüssi dem Alltag der Rekruten so nah wie sonst kein hoher Vorgesetzter. «Den Oberst hat er nie rausgehängt», erzählt sein junger Kollege Silvan Schrag (20). Er teilt mit Lüssi noch bis heute Abend einen 16er-Schlag und muss es wissen: «Er war einfach einer von uns.» Nur weitermachen wolle Lüssi partout nicht, auch wenn die Oberen ständig fragten, witzelt der Betriebssoldat.
Nichts zu klagen hat auch Kompaniekommandant Dario Urheim (24). «Lüssi hat alles mitgemacht und uns auch sportlich überrascht.» Das ganze Kader sei gespannt auf seine Auswertung. Denn was wir von ihm an Tipps hörten, war sehr interessant.»
Digitalisierung ist allgegenwärtig
Eine erste Bilanz zog Lüssi am Donnerstag vor den Medien. Klar war der Unterschied zur RS 1976 frappant. Haarschnitte sind kein Thema mehr, die Verpflegung und das Material um Welten besser, die Handys dafür allgegenwärtig.
Vor allem aber scheint Lüssi seine Vorurteile gegenüber den jüngeren Generationen korrigiert zu haben. «Natürlich ist die RS nach dem Elternhaus und den Schulen immer noch die letzte grössere Erziehungsphase. Und es gibt immer irgendwelche Leute, die unverbesserlich sind, und Vorgesetzte, die nicht die besten Vorbilder sind.» Aber die heutige Generation Y sei zur gleichen Disziplin fähig wie wir früher. «Kameradschaft, Motivation, Hilfsbereitschaft: unverändert.»
Lüssi musste oft übersetzen und Krawatten binden
Für die heutige RS-Organisation wird Lüssi in seinem Bericht viel Lob finden. Was er bemängelt: Die fehlenden Kenntnisse der Landessprachen, auch orthografisch. Aber das ist kein Kernproblem der Armee. Ebenso wenig, dass laut Lüssi 80 Prozent seiner RS-Kollegen keine Krawatte für den Ausgang binden können.
Robert Lüssi (62) hat total sechs Rekrutenschulen hinter sich und so einiges erlebt. Möchten auch Sie uns Ihre skurrilen RS-Erlebnisse erzählen? Dann melden Sie sich per Mail an community@blick.ch.
Robert Lüssi (62) hat total sechs Rekrutenschulen hinter sich und so einiges erlebt. Möchten auch Sie uns Ihre skurrilen RS-Erlebnisse erzählen? Dann melden Sie sich per Mail an community@blick.ch.