Jetzt live! So geht es mit dem EU-Rahmenvertrag weiter
Lohnschutz bleibt rote Linie – vorerst

Der Bundesrat hat heute erneut über das heisseste Polit-Thema gestritten: Das Rahmenabkommen mit der EU. Aussenminister Ignazio Cassis bekam vom Bundesrat aber keine rotes Licht, um mit der EU über den Schweizer Lohnschutz zu verhandeln. Zuerst wird nun im Inland sondiert.
Publiziert: 04.07.2018 um 12:30 Uhr
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Aktualisiert: 17.10.2018 um 13:55 Uhr
Andrea Willimann

Im Kanton Tessin hat es besonders viele Grenzgänger, und entsprechend nervös verfolgen die Tessiner die Diskussionen über die flankierenden Massnahmen und das Rahmenabkommen mit der EU. Unter strenger Beobachtung steht auch «ihr» Bundesrat Ignazio Cassis (57).

«Wer das Tessin kennt, weiss, dass die flankierenden Massnahmen wie ein Pflaster auf eine Blutung gewirkt haben», sagt der SVP-Nationalrat Marco Chiesa (43). Für ihn – wie für alle anderen Tessiner Bundesparlamentarier, die auf eine Umfrage von BLICK geantwortet haben – darf an diesem Schutz vor dem freien Personenverkehr nicht gerüttelt werden. «Sie können nicht nach Belieben gelöscht oder geändert werden, um der EU zu gefallen oder ihren Interessen zu dienen.»

Ausgerechnet ein Tessiner ...

SP-Nationalrätin Marina Carobbio (52) findet es ebenfalls inakzeptabel, die flankierenden Massnahmen in Frage zu stellen. Sie irritiert, dass eine Aufweichung ausgerechnet von einem Bundesrat aus dem Tessin aufgegriffen wird, einem Kanton, in dem Lohndumping und Lohndruck «eine traurige Realität» seien. «Ich finde es sehr bedenklich, dass Bundesrat Cassis die flankierenden Massnahmen in Frage gestellt hat. Denn sie sollten nicht nur erhalten, sondern sogar gestärkt werden», so Carobbio.

Auch für CVP-Nationalrat Marco Romano (35) sind die flankierenden Massnahmen keine Verhandlungsmasse in Brüssel. «Die Schweiz bestimmt diese unabhängig und souverän.» Der Schutz für die eigene Wirtschaft dürfe nicht in Frage gestellt werden, sondern müsse im Gegenteil ständig an die Entwicklung der Situation, vorab auf dem Arbeitsmarkt, angepasst werden.

Allerdings «mittel- bis langfristig», ergänzt CVP-Nationalrat Fabio Regazzi (56). Kein Abkommen sei schliesslich tabu, wenn sich der wirtschaftliche und politische Kontext ändere.

Mit Cassis vom Regen in die Traufe

Überhaupt erhält Cassis von Tessiner Politikern sein Fett ab. «Mein Kanton erwartete, dass Ignazio Cassis etwas Tessin in den Bundesrat bringt», schimpft SVP-Nationalrat Chiesa. Im Süden der Alpen habe man an den berühmten Reset-Knopf geglaubt und auf diesen gehofft. «Jetzt hat man das Gefühl, man kommt vom Regen in die Traufe.»

Auch CVP-Nationalrat Romano ist skeptisch: Der Stil von Cassis sei zwar dynamisch und proaktiv, aber vielleicht auch zu provozierend. Er wünscht sich auch, dass der Aussenminister sich stärker auf die bilateralen Beziehungen mit den wichtigsten EU-Nachbarn – Berlin, Paris, Rom – konzentriert, statt auf Brüssel, wo die «Schweizer Frage» eh keine Priorität habe.

CVP-Nationalrat Regazzi mahnt zudem, es sei «verfrüht und vielleicht sogar etwas leichtsinnig», von einer Entspannung mit der EU bei den Verhandlungen zum Rahmenabkommen zu sprechen, bevor man wisse, was die EU im Gegenzug auf den Tisch legen wolle.

Cassis habe halt nichts von seinem Vorgänger gelernt, wettert schliesslich Lega-Nationalrat Lorenzo Quadri (43). «Cassis’ Ansatz unterscheidet sich inhaltlich nicht von dem seines Vorgängers Didier Burkhalter und ist insofern falsch, als er der EU zu sehr nachgibt.»

Applaus gibt es nur von der Tessiner FDP

So richtig in Schutz nimmt Cassis einzig sein FDP-Kollege Giovanni Merlini (56). Mit dem neuen Aussenminister bewege sich wenigstens Bern etwas, was richtig sei.

Aber auch seine Rahmenbedingung fürs Rahmenabkommen ist: Die Souveränität und Rechte des Schweizer Volks sowie die flankierenden Massnahmen seien zu wahren.

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