Die Grünen Schweiz luden am Donnerstag in Zürich zur Europa-Debatte. Mit dabei: Katharina Schulze (33), Fraktionschefin der bayerischen Grünen. Im Herbst 2018 führte sie ihre Partei zu einem historischen Wahlsieg. Im Interview mit SonntagsBlick spricht sie über die Auseinandersetzung mit der AfD, den aktuellen grünen Höhenflug – und Dirndlkleider.
BLICK: Frau Schulze, wie sind Sie nach Zürich gekommen?
Katharina Schulze: Im Zug.
Kürzlich wurden Sie wegen eines Ferienflugs nach Kalifornien scharf kritisiert.
Ich habe in San Diego studiert und mich total gefreut, wieder einmal dort zu sein. Anders als mit dem Flugzeug kommt man nicht in die USA.
Auch wenn man sich die Schülerstreiks anschaut: Im Moment läuft es gut für Ihre Partei.
Ich finde das grossartig, dass junge Menschen für ihre Zukunft auf die Strassen gehen. Seit ich Politik mache, höre ich, dass sie sich anscheinend nicht für Politik interessieren und ich ja eine Ausnahme sei. Aber so ist es nicht. Ich ziehe den Hut vor allen Demonstranten.
Während des Wahlkampfs in Bayern haben Sie mit traditionellen Symbolen operiert. Geht es in Ihrer Heimat nicht ohne Dirndl und Brezel, wenn man politisch Erfolg haben will?
Das Dirndl gehört uns allen und nicht der CSU! Ich trage es bei Stadelfesten, seit ich denken kann.
Stadelfesten?
Das ist ein Fest im Stadel, in einer Scheune. Schlechte Musik und ganz viel Spass! Kennen Sie vielleicht.
Steht der entkrampfte Umgang mit der Heimat auch für einen Generationenwechsel bei den Grünen? Ihre Gründergeneration rekrutierte sich noch aus der 68er-Bewegung.
Alle Mitglieder der Grünen in Europa eint, dass wir klare Werte haben. Derzeit findet eine Verschiebung in der Debatte statt. Demokratie, Toleranz, ein weltoffenes Europa: Diese Werte werden angegriffen.
Und Sie verteidigen sie?
Ja. Mit der AfD sitzt in allen deutschen Landtagen eine rechtsextreme Partei. Wir machen das Spiel der Rechten nicht mit, wir bieten konkrete Lösungen an.
Die Leute wollen wissen, warum wir an vielen
Orten noch kein schnelles Internet haben. Sie wollen einen Krippenplatz. Sie fragen: Warum wird der Afghane abgeschoben, wenn wir doch Fachkräfte brauchen?
Weil er keine Fachkraft ist?
In Bayern fehlen Pflegekräfte und die Handwerker suchen händeringend Auszubildende!
Aber es war doch auch in Bayern, als während der Flüchtlingskrise bei der Bevölkerung in den Grenzregionen die Stimmung 2015 kippte...
Ich war im Sommer 2015 am Münchner Hauptbahnhof. Die Bevölkerung hat Grosses geleistet und möchte jetzt die Integration gestaltet sehen.
Wäre der Unmut nicht real, würde die AfD kaum gewählt.
Dafür gibt es nicht den einen, simplen Grund. Wenn ich in einem Ort wohne, wo der Supermarkt schliesst, der letzte Bus am Nachmittag fährt und ich am Abend nicht einmal störungsfrei Netflix schauen kann, dann fragen sich die Menschen halt, ob sich noch irgendjemand für sie interessiert. Da muss gute Politik ins Spiel kommen.
17,6 Prozent der Stimmen erzielten die Grünen bei der bayerischen Landtagswahl im Herbst. Als eine von zwei Spitzenkandidaten hatte Katharina Schulze grossen Anteil daran, dass ihre Partei nun als zweitstärkste Fraktion im Parlament des Freistaats vertreten ist. Die 33-Jährige wuchs im beschaulichen Herrsching am Ammersee auf.
17,6 Prozent der Stimmen erzielten die Grünen bei der bayerischen Landtagswahl im Herbst. Als eine von zwei Spitzenkandidaten hatte Katharina Schulze grossen Anteil daran, dass ihre Partei nun als zweitstärkste Fraktion im Parlament des Freistaats vertreten ist. Die 33-Jährige wuchs im beschaulichen Herrsching am Ammersee auf.
Netflix für alle?
Gleiche Chancen für alle! Jeder Ort muss zum Beispiel vom öffentlichen Verkehr erschlossen sein.
Die Schweizer Grünen sind nicht so stark wie Ihre Partei in Bayern. Was
raten Sie den Kollegen?
Die Umfrage-Werte zeigen doch nach oben. Die Partei hat viel erreicht. Früher wurden wir in der Schweiz und in Deutschland für den Klimaschutz verlacht, heute zweifelt keiner mit gesundem Verstand am menschengemachten Klimawandel.
In Deutschland wandern Wähler von den Sozialdemokraten zu den Grünen. Kannibalisieren Sie da nicht Ihren natürlichen Bündnispartner?
Wir sind eigenständig. Die Bevölkerung wählt keine Koalitionen. Mein Ziel sind starke Grüne, die mit ihrem jeweiligen Partner viel realisieren können.
Werden die Grünen mit diesem pragmatischen Kurs nicht allmählich zu einer bürgerlichen Partei?
Was ist denn das genau, bürgerlich? Diese alten Pole, links und rechts, bürgerlich versus radikal, sind nicht mehr entscheidend. Wir sind das Gegenstück zum Nationalismus, stehen für Vielfalt und Toleranz. Da tun sich die SPD und CDU viel schwerer. Die Grünen vertreten genau die Leute, die eben keine Grosse Koalition wollen, die nur um sich selber kreist.
Die Wähler der AfD würden diese Ablehnung des Etablierten genauso für sich reklamieren.
Nee – die AfD hat eine klar antidemokratische und menschenfeindliche Haltung, da sind wir der Gegenpol. Die Leute merken jetzt: «Ich muss was tun!» Sie werden politischer, das ist doch gut.
Deutschland scheint nur darauf zu warten, dass Angela Merkel fällt. Wird diese Regierung das Ende der Legislaturperiode erreichen?
Ja. Die SPD hat in ihrem Zustand kein Interesse an Neuwahlen. 2021 gibt es eine neue Chance auf andere Mehrheiten.