«Verplempern!»
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Peter Schneider macht Schluss:«Das ist ein Erwachsenen-Mythos»

Peter Schneider, was tun Sie nun mit der freien Zeit?
«Verplempern!»

Psychoanalytiker Peter Schneider (63) ist einer der bekannteste Satiriker des Landes. Drei Jahrzehnte kommentierte er beim Radio das Weltgeschehen in seiner täglichen Presseschau. Nun ist Schluss.
Publiziert: 17.07.2021 um 15:04 Uhr
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Psychoanalytiker Peter Schneider (63) in seiner Praxis in Zürich.
Foto: Nathalie Taiana
Aline Wüst

Wir treffen Psychoanalytiker Peter Schneider (63) in seiner Praxis in Zürich. Er legt sich nicht auf die Couch. In seinem Sessel sitzend gibt er Auskunft über seine Schlafgewohnheiten und den Abschied im Radiostudio. Nach über drei Jahrzehnten hat er Schluss gemacht mit seiner täglichen «Die andere Presseschau» auf SRF. Am stärksten allerdings beschäftigt ihn die Transgender-Community. Immer wieder kommt er darauf zu sprechen. Und während er so redet, liegt er irgendwann mehr in seinem Stuhl als zu sitzen. Bestimmt ein gutes Zeichen bei einem Psychoanalytiker.

Blick: «Winke, winke, fertig», so haben Sie sich nach 30 Jahren von Ihren Zuhörern verabschiedet. Tat es weh?
Peter Schneider: Nein. Ich bin kein Zirkuspferd, das traurig ist, wenn es sein Kunststück nicht mehr vorführen kann.

Warum haben Sie gerade jetzt aufgehört?
Mir fällt da nichts Tiefsinniges ein. Nächstes Jahr werde ich 65, und ich habe mir nur den Luxus gegönnt, ein Jahr vorher aufzuhören.

Das SRF hat in kurzer Zeit viele bekannte Namen verloren. Hatten Sie kein Mitleid?
Als ich das geplant habe, wusste ich das nicht. Nur ein Jahr zu bleiben, damit die Leute nichts Falsches denken, wäre blöd.

Welche Rückmeldung auf Ihre Frühpensionierung war besonders schön?
Eigentlich alle. Und der Abschied im Radiostudio war rührend. Obwohl ich nicht gern im Mittelpunkt stehe.

Sie kokettieren.
Nein, es stimmt. Aber ich habe das jetzt schon so häufig gesagt, dass es nun tatsächlich fast peinlich wirkt.

Kann man die Vergangenheit hinter sich lassen?
Die Zeit vergeht, die Geschichte formt einen, man kann nichts rückgängig machen, aber doch wenigstens im Rückblick darauf zurückkommen. Es gibt keine reine Vergangenheit, so wie es keine reine Gegenwart gibt.

Im Hier und Jetzt zu leben soll glücklich machen.
Angeblich. Kinder könnten ein Schnecklein drei Stunden beobachten, sagt man. Wer schon mal richtige Kinder gesehen hat, der weiss, dass ein Kind das noch so herzigste Schnecklein nicht länger als 30 Sekunden anschaut. Diese versunkenen Kinder, die nur im Hier und Jetzt leben, das ist ein Erwachsenen-Mythos. Kinder freuen sich auf den Geburtstag, auf den Kindergarten, darauf, zum ersten Mal legal Zigaretten zu kaufen. Sie orientieren sich ständig an der Zukunft.

Was macht Sie zufrieden?
Ich bin kein Fan von Geburtstagen, von irgendwelchen Ritualen. Ich mag einfach das kontinuierliche Leben. Die Arbeit in meiner Praxis habe ich ja auf drei Tage reduziert. An diesen Tagen aber bin ich in der Regel von 9.00 bis 20.00 Uhr dort. Da kommt einer nach dem anderen; es ist weder aufregend noch anstrengend, wenn ich für die zehn Minuten Pause genug zu essen dabeihabe, damit mir der Hunger nicht die Laune verdirbt. Am Abend bin ich müde, aber nicht erschlagen.

Was tun Sie nun mit der frei gewordenen Zeit?
Verplempern.

Etwas genauer.
Mir hat mal jemand gesagt, dass Fettabsaugen bei Männern gefährlicher sei als bei Frauen, weil das Fett mehr mit dem Gewebe verwachsen ist. So ist es mit der «Presseschau» gewesen. Als ich beispielsweise die Professur an der Uni aufgab, gab es dadurch freie Tage und Wochenenden. Die «Presseschau» zog sich immer durch alle meine Tage. Jetzt gibt es mehr Luft.

Wofür?
Auch für Twitter.

Wie oft nutzen Sie es pro Tag?
Immer wieder, wenn ich nichts Gescheites zu tun habe. Dann denke ich, ich sollte was Gescheites machen und hänge trotzdem wieder auf Twitter.

Was ist die grösste Zeitverschwendung?
Vielleicht sich ständig Gedanken darüber zu machen, wie man die Zeit sinnvoll nutzt.

Sie haben als Psychoanalytiker in viele Leben reingesehen. Was geben Sie einem jungen Menschen für einen Rat?
Nix, keinen.

Gar nichts?
Nun, was soll ich sagen, dass es nicht so klingt, als ob ich hundert Jahre alt wär? Ich denke, ich kann lernen von den jüngeren Menschen. Und zwar auf eine bestimmte Art: Man bleibt dadurch in Diskursen drin und hat Kontakt zu Erfahrungen, die nicht mehr die eigenen sind. Ich war kürzlich in Bern an einer Diskussion zu einer Queer-Ausstellung. Es ging um Identitätspolitik. Eine 24-jährige non-binäre Person hat mir gesagt, dass die lesbische Community der etwa 20-jährigen Frauen alles schon viel entspannter sieht als sie selber. Mit jungen Menschen zu reden und ihnen zuzuhören, gibt mir ein Gespür dafür, wie sich Dinge ändern.

Identitätspolitik beschäftigt Sie stark.
Das ist ein neues Thema, das mich interessiert. Bei Transgender wird häufig darüber berichtet, dass es solche gibt, die sich wieder detransitionieren lassen (Geschlechtsangleichung rückgängig machen, Anmerkung d. Red.). Das läuft meist nur auf einer polemischen Ebene. Ich fände es schön, wenn man sich diese Community mal anschauen würde. Man sollte einfach mal interessiert zuhören, statt immer nur bizarre Beispiele zu sammeln.

Sie kritisieren die Polarisierung.
Mir ist eine Journalistin lieber, die selber kenntnisreich über etwas berichtet und nicht immer noch den Gegenpart zu irgendetwas einlädt, um es interessanter oder angeblich objektiv zu machen. Man nennt das falsche Balance. Die interessanten Diskussionen bewegen sich ohnehin in kleinen Differenzen.

Wie lange schlafen Sie eigentlich? Acht Stunden?
Mindestens! Heute waren es nur sieben, ich spüre es.

Schlaf ist Ihnen wichtig.
Mein Hobby.

Ich gebe Ihnen das letzte Wort.
Ich mag keine Schlussworte.

Na dann: Winke, winke, fertig.

Satirischer Psychoanalytiker

Peter Schneider (63) ist der Erzähler in der Hörspielserie «Philip Maloney». Noch bekannter ist seine Stimme aus seinem satirischen Blick auf die deutschsprachige Presselandschaft. 30 Jahre lang tat er das jeden Tag in «Die andere Presseschau» auf SRF. Schneider ist Psychoanalytiker mit eigener Praxis, war Privatdozent an der deutschen Uni Bremen, veröffentlichte Bücher über Ehe, Erziehung, das Älterwerden und die Wissenschaft und schreibt als Kolumnist für verschiedene Zeitungen.

Peter Schneider (63) ist der Erzähler in der Hörspielserie «Philip Maloney». Noch bekannter ist seine Stimme aus seinem satirischen Blick auf die deutschsprachige Presselandschaft. 30 Jahre lang tat er das jeden Tag in «Die andere Presseschau» auf SRF. Schneider ist Psychoanalytiker mit eigener Praxis, war Privatdozent an der deutschen Uni Bremen, veröffentlichte Bücher über Ehe, Erziehung, das Älterwerden und die Wissenschaft und schreibt als Kolumnist für verschiedene Zeitungen.


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