Darum gehts
- «NZZ» verkauft Zurich Film Festival. Direktor Christian Jungen kauft es zurück
- ZFF wurde für «NZZ» ein teures Hobby mit steigenden Subventionen
- Besucherzahlen des ZFF sind umstritten, maximal 98'187 Kino-Zuschauer möglich
«Ja, das hat wehgetan.» Der Direktor des Zurich Film Festivals (ZFF), Christian Jungen (52), spricht gegenüber Blick unverblümt von «Trennungsschmerz». Die «NZZ» hatte das Filmfestival 2016 gekauft. Damals hiess der NZZ-Verwaltungsratspräsident Etienne Jornod (72), CEO war der Österreicher Veit Dengler (56). Beide wollten die alte Tante «NZZ» jünger und frischer machen. Mehr Events, mehr Partys, weniger Bleisatz lautete das Rezept gegen die Medienkrise. Doch für die «NZZ» wurde das ZFF vor allem eines: ein teures Hobby.
«Wir führen keine harmonische Beziehung mehr»
Letzten Herbst gab «NZZ»-CEO Felix Graf (58) intern bekannt, dass er das Filmfestival verkaufen wolle: «Er meinte, dass die ‹NZZ› nicht mehr die ideale Besitzerin ist. Das hat mich aufgeregt», sagt Christian Jungen. «Im Laufe der Zeit haben wir aber gemerkt, dass wir keine harmonische Beziehung mehr führen. Die Liebe ist noch da, aber es war einfach für beide zu anstrengend. Jetzt bleiben wir sehr gute Freunde.»
Das ZFF schrieb jahrelang rote Zahlen, bevor man letztes Jahr eine schwarze Null erreicht hat. Sponsoren sprangen ab, dafür stiegen die Subventionen. Das Filmfestival wurde zum inkarnierten liberalen Paradox, zum Fremdkörper der Falkenstrasse:
- Subventionitis: Die «NZZ» kämpft in ihren Leitartikeln für einen schlanken Staat und kritisiert steigende Subventionen. Für das eigene Filmfestival hingegen machte das liberale Haus die Hand auf: Die Subventionen bei Stadt, Kanton und Bund sind seit dem «NZZ»-Kauf um mehr als 80 Prozent gestiegen – Tendenz steigend: «Wir sind in Zukunft auf mehr Entgegenkommen der öffentlichen Hand angewiesen», kündigt Christian Jungen an.
- «Cüpli-Festival»: Während das «NZZ»-Feuilleton cineastisch herausragende Filme bespricht, geht es beim ZFF vor allem um Stars. So kam es zum Spitznamen «Cüpli-Festival». Jungen sagt, er trinke während des ZFF keinen Champagner. Aber er gibt zu: «Wenn Kate Winslet und Richard Gere kommen, sind die Säle ausgebucht und sie ziehen das Festival wie eine Lokomotive weiter.» Während der Boulevard sich über Stars und Sternchen freute, haderte die «NZZ»-Filmkritik mit der Selbstbeweihräucherung vom «Hollywood an der Limmat».
- Anti-Wokeness: Das Kino gilt als linkes Bollwerk gegen die Trumps, Putins und Erdogans dieser Welt. Hollywood-Verleiher, aber auch Konzerne wie Amazon und Disney setzen auf vielfältige Besetzungen mit queeren Darstellern und People of Color. Der «NZZ» hingegen sind woke Gedanken fremd – auch wenn die Filmstars auf dem eigenen Festival genau diese propagieren.
- Cancel Culture: Als liberales Haus wehrt sich die «NZZ» regelmässig gegen eine angebliche Cancel Culture und verschweigt dabei, dass dahinter vor allem ein rechter Kampfbegriff steht. Wenns darauf ankam, blieb das ZFF nicht sonderlich standhaft: Als letztes Jahr ein angeblich prorussischer Film gezeigt werden sollte, knickte das ZFF nach Kritik ein und sagte die öffentlichen Vorführungen ab. Als eine Partnerschaft mit der konservativen Schoggi-Familie Läderach zu einem Shitstorm führte, machte das ZFF ebenfalls einen Rückzieher. Die NZZ-Gruppe wurde von der Kritikerin plötzlich zur Akteurin der herbeigeschriebenen Cancel Culture.
Seit dieser Woche steht fest: Christian Jungen kauft mit Mitstreitern, darunter Felix E. Müller, der «NZZ» das ZFF ab – andere Käufer haben sich nicht gefunden, was für die «NZZ» eine herbe finanzielle Niederlage darstellt.
Jungen räumt ein, der Name «NZZ» habe dem Festival nicht immer geholfen. «Es gab Sponsoren, die sich über die publizistischen Positionen der ‹NZZ› aufgeregt haben und mit mir lieber darüber sprechen wollten als über das Festival», sagt Jungen. «Viele Stiftungen schrieben uns reflexartig, sie könnten uns nicht unterstützen, weil wir einem Medienhaus angehören.»
«Die Gründer hätten heute die gleichen Probleme»
Jungen wehrt sich gegen die Erzählung, dass die Festival-Gründer Nadja Schildknecht (51) und Karl Spoerri (52) das Festival erfolgreicher geführt hätten als seine Equipe. «Die Gründer hätten heute die gleichen Probleme wie wir. Das Business ist härter geworden, die Margen sind kleiner, die Marketing-Budgets werden überall zusammengestrichen.»
Ein Problem, das Jungen von seinen Vorgängern geerbt hat, sind geschönte Zahlen. Anders als die Filmfestivals in Solothurn und Locarno gibt das ZFF nicht die Zahl der tatsächlichen Kinobesucher bekannt, sondern kommuniziert eine Gesamtbesucherzahl. Letztes Jahr kam das ZFF auf 140’000 Menschen – ein neuer Rekord. Recherchen von Blick zeigen: 140’000 Besucher hätten gar nicht in alle Filmsäle gepasst. Wären alle 439 Screenings ausverkauft, käme das ZFF nach Blick-Berechnungen auf maximal 98’187 Zuschauer. Das ZFF spricht von einer Auslastung von 85 Prozent – die tatsächliche Zuschauerzahl dürfte also darunter liegen.
Die wahren ZFF-Zahlen sind unter Verschluss
Die geschönten ZFF-Zahlen sorgen bei anderen Festivals für Argwohn. Die schweizweite «Conférence des festivals», zu der auch das ZFF gehört, hat sich dazu verpflichtet, bei den Zahlen klar zwischen bezahlten Kinokarten und Gratis-Tickets zu differenzieren. Gegenüber dem Bundesamt für Kultur (BAK) muss das ZFF angeben, wer tatsächlich für einen Kinobesuch etwas bezahlt hat. Die wahren ZFF-Zahlen sind unter Verschluss – das BAK begründet die Geheimhaltung mit den Geschäftsinteressen der «NZZ».
Warum plustert sich das ZFF so auf? Christian Jungen kritisiert die «Conférence des festivals» als «wohlbehütete Truppe, in der man über alles Mögliche spricht, nur nicht über das Wichtigste: Wie erreichen wir mit der Filmkunst ein breites Publikum?». Das ZFF lebe nicht nur vom Filmprogramm, sondern von einem grossen Rahmenprogramm. «Unsere Sponsoren interessiert nicht nur, ob jemand einen Film gesehen hat oder zur Opening Night kam. Es geht darum, wie viele eine Veranstaltung besucht haben – deshalb kommunizieren wir die Gesamt-Besucherzahl», sagt Jungen. «Wenn wir uns künstlich kleinmachen, sägen wir auf dem Ast, auf dem wir sitzen.»
Zum Zeitpunkt des ZFF-Kaufs war nicht Felix E. Müller, sondern Etienne Jornod Präsident des Verwaltungsrats der NZZ. Die im Text zuerst genannte Zahl von 332 Screenings ist laut NZZ nicht korrekt – beim letzten ZFF fanden insgesamt 439 Screenings statt. Wir haben den Artikel entsprechend angepasst.