Nadja Herz zum 30-Jahr-Jubiläum der Lesbenorganisation
«Damals ging es vielen Lesben schlecht»

Im Dezember feiert die Lesbenorganisation LOS ihr 30-jähriges Bestehen. Wir haben Co-Präsidentin Nadja Herz gefragt: Was hat sich seither verändert?
Publiziert: 30.11.2019 um 23:25 Uhr
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Nadja Herz am Jubiläumsfest der Lesbenorganisation am 30. November. Sie posiert mit Co-Präsidentin Salomé Zimmermann (links) und der Zürcher Stadtpräsidentin Corinne Mauch.
Foto: Sabine Wunderlin
Interview: Dana Liechti

SonntagsBlick: Nadja Herz, vor 30 Jahren haben Sie die Lesbenorganisation LOS mitbegründet. Was war Ihr Antrieb?
Nadja Herz: Damals ging es vielen Lesben schlecht. Sie waren isoliert und unsichtbar. Auch die gesellschaftliche Anerkennung fehlte, und wir hatten keine Rechte. Wir wollten die Situation der Lesben verbessern und politisch Einfluss nehmen.

Das haben Sie geschafft. Momentan wird über die «Ehe für alle» diskutiert.
Ja, da hat sich viel getan. Als wir 1994 die Petition «Gleiche Rechte für gleichgeschlechtliche Paare» lancierten, mussten wir den Leuten beim Unterschriftensammeln zuerst mal erklären, was wir damit meinen.

Mit der aktuellen Vor- lage sind Sie aber auch noch nicht zufrieden.
Weil sie den Zugang zu gemeinschaftlicher Elternschaft ab Geburt und den Zugang zur Samenspende für Frauenpaare nicht vorsieht. Das ist nicht das, was wir möchten. Wir wollen die umfassende Ehe mit gleichen Rechten und Pflichten.

Ist es nicht ermüdend, so lange für etwas zu kämpfen?
Natürlich. Aber man muss auch sehen, dass die Situation lesbischer und queerer Frauen heute viel besser ist als vor 30 Jahren.

Was war der grösste Erfolg?
Das Partnerschaftsgesetz von 2005. Die Abstimmung war weltweit die erste zum Thema. Dass wir sie gewinnen konnten, obwohl gleichgeschlechtliche Paare zehn Jahre zuvor noch praktisch unsichtbar waren, war ein riesiger Erfolg.

Waren Schwule und Lesben gleichermassen unsichtbar?
Schwule treten in den Medien bis heute häufig stellvertretend für die ganze Community in Erscheinung – wir leben in einer patriarchalen Gesellschaft. Lesben bleiben oft unsichtbar und sind als Frauen doppelt von Diskriminierung betroffen.

Wieso?
Gerade Lesben meiner Generation haben oft viel weniger Geld, weil sie weniger verdienen. Bei zwei Frauen kumuliert sich das. Hinzu kommt: Mehr als die Hälfte aller lesbischen Frauen ist am Arbeitsplatz nicht geoutet. Die Angst davor ist bei ihnen oft grösser, weil sie als Frauen sowieso schon exponierter sind. Aber das ist noch nicht alles.

Sondern?
Man nimmt uns auch weniger ernst und negiert unsere Anliegen. Erst kürzlich hat zum Beispiel eine Zeitung getitelt: «Schwule sind den Hass leid.» Wir haben dann reagiert und geschrieben: «Auch wir Lesben sind ihn leid!»

Wie war das eigentlich in den 1980ern als junge, lesbische Frau?
Lesbisch sein war etwas Unsagbares, und es gab keine Informationen. Ich kannte als Teenagerin jahrelang keine anderen lesbischen Frauen. Ich fand sie schlicht nicht.

Nadja Herz persönlich

Nadja Herz (55) ist Rechtsanwältin und Co-Präsidentin der Lesben­organisation LOS, an deren Gründung sie 1989 beteiligt war. Seit mittlerweile 30 Jahren steht die LOS für lesbische, bisexuelle und queere Frauen sowie deren Anliegen in Gesellschaft und Politik ein. Herz setzt sich auch beruflich seit vielen Jahren für die Rechte von gleichgeschlechtlichen Paaren ein. Sie wohnt mit ihrer Partnerin in Zürich.

Nadja Herz (55) ist Rechtsanwältin und Co-Präsidentin der Lesben­organisation LOS, an deren Gründung sie 1989 beteiligt war. Seit mittlerweile 30 Jahren steht die LOS für lesbische, bisexuelle und queere Frauen sowie deren Anliegen in Gesellschaft und Politik ein. Herz setzt sich auch beruflich seit vielen Jahren für die Rechte von gleichgeschlechtlichen Paaren ein. Sie wohnt mit ihrer Partnerin in Zürich.

Ist es heute einfacher, lesbisch zu sein?
Viel, viel einfacher. Es muss niemand mehr isoliert sein, man hat die Möglichkeit, Gleichgesinnte zu finden, Hilfe zu holen, die Gesellschaft ist aufgeschlossener. Das Coming-out ist für viele aber trotzdem noch schwierig. Und dadurch, dass wir sichtbarer sind, begegnen wir manchenorts auch mehr Ablehnung.

Was macht das mit Ihnen?
Es tut weh. Angriffe pas-sieren nicht nur im Internet, sondern auch, wenn man beispielsweise im Ausgang erkennbar als Paar auftritt.

Raten Sie Lesben davon ab, sich als Paar zu zeigen?
Grundsätzlich finde ich es sehr wichtig, in der Öffentlichkeit sichtbar zu sein. Sonst kann sich nichts verändern. Man spürt sehr gut, wo man einigermassen sicher ist und wo nicht. Wenn ich mich an einem Ort bewege, an dem ich mich nicht sicher fühle, dann halte ich die Hand meiner Partnerin nicht.

Das muss einschränkend sein.
Klar, aber wir sind uns das leider gewöhnt. Sich als Lesbe total frei zu bewegen, geht auch 2019 noch nicht. Und das Erschreckende ist ja, dass Hass und Attacken gegenüber LGBTI zunehmen. Auch in der Schweiz.

Da kommt die Erweiterung der Antirassismusstrafnorm ins Spiel.
Genau, und die ist sehr wichtig. Sie wäre ein klares Zeichen der Schweizer Bevölkerung, dass sie öffentlichen Hass gegen Lesben, Schwule und Bisexuelle nicht duldet und die Betroffenen schützt.

Gegner sprechen von einer Einschränkung der Meinungsfreiheit.
Meinungsfreiheit hat Grenzen, und die sind dort, wo sie dazu missbraucht wird, die Menschenwürde zu verletzen und gegen Minderheiten zu hetzen. Sowieso: Hass ist keine Meinung.

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