Moderne Form von Rechtgläubigkeit
Warum wir alle politisch korrekt sind

Alle motzen über Political Correctness. Dabei sind wir längst schon alle politisch korrekt.
Publiziert: 14.02.2016 um 20:11 Uhr
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Aktualisiert: 11.09.2018 um 03:05 Uhr
Philippe Pfister

Wer eine ruhig dahinplätschernde Abendgesellschaft auf Touren bringen will, wirft am besten das Thema Political Correctness in die Runde. Ein Aufheulen ist garantiert. Nichts dürfe man mehr sagen! Und keiner am Tisch will selbst politisch korrekt sein. Humbug sei das.

Die Wahrheit ist freilich subtiler. Keiner weiss das besser als der Werber und Autor Frank Baumann (58), der oft und mit Hochgenuss gegen die politische Korrektheit verstösst. Kürzlich baten ihn ein paar Jungs – darunter ein Schwarzer – von ihnen ein Foto im Schnee zu schiessen. Auf Anhieb gelang Baumann das nicht – «alles schwarz hier», meinte er. Die Jungs grölten lauthals. Dabei hatte Baumann keine Anspielung auf den dunkelhäutigen Jugendlichen machen wollen – er hatte einfach den Finger vor der Linse.

Die Wissenschaft würde dazu sagen: Die Politische Korrektheit ist tief in die Gesellschaft eingedrungen. Sie übernimmt die Rolle, die früher der Religion zukam, «öffentliche Sündhaftigkeit im Auftreten und Sprechen zurückzudrängen», wie der deutsche Historiker Volker Reinhardt (61) sagt. Political Correctness sei die säkularisierte Form von Rechtgläubigkeit. Und die Verteidiger dieser Rechtgläubigkeit sind heute zahlreich.

Nur ein Beispiel: Für manche ist schon die Bezeichnung Stewardess eine Beleidigung, weil sie die Flugbegleiterin zur Dienerin herabwürdige. Kein Wunder ist die Frage, ob Political Correctness mehr schadet als nützt, seit Jahrzehnten umstritten. Fakt ist: Sie schützt einer­seits manche Gruppen vor Diskriminierungen – zum Beispiel Menschen mit Behinderungen. Andererseits bedroht sie die Meinungsfreiheit – dann beispielsweise, wenn Islamkritiker vor notorisch beleidigten Muslimen kuschen, wie beim Streit um die Mohammed-Karikaturen.

Wichtig sei, sagt Baumann, intelligent politisch inkorrekt zu sein – und nicht mit dumpfer Provokation. Nicht immer sei ihm das selbst gelungen. Vor Jahren erschoss er vor laufender Kamera ein ausgestopftes Kaninchen. Der damalige TV-Direktor Peter Schellenberg (75) war aufgebracht. Verrat am Publikum sei das. Wenn schon, hätte er ein richtiges Kaninchen erschiessen müssen.

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