Sie waren eines der beliebtesten Themen der Wahlen: gewalttätige Jugendliche. Im Nationalrats-Wahlkampf im Herbst vertraten Hardliner in der Schweizer Politik dieselbe Meinung wie zuletzt der CDU-Ministerpräsident Roland Koch im deutschen Bundesland Hessen. Ihre Forderung: Härte im Umgang mit jugendlichen Kriminellen.
Einsicht in sibirischer Kälte
Was sich die rechten Politiker wünschen, hat das Jugendamt des hessischen Landkreises Giessen umgesetzt. Es hatte einen 16-Jährigen zur Besserung nach Sibirien geschickt.
«Der Junge wird ein dreiviertel Jahr unter einfachsten Verhältnissen im russischen Dorf Sedelnikowo verbringen», bestätigte Jugend- und Sozialdezernent Stefan Becker letzte Woche vor den Medien. Der Teenager war durch seine hohe Gewalttätigkeit aufgefallen und hatte auch seine Mutter angegriffen.
Der Junge wird bei bis zu minus 40 Grad Holz hacken. Sein Geschäft wird er auf einem Plumpsklo im Freien verrichten. Die 2,5 Kilometer zur Schule wird der junge Deutsche bei Wind und Wetter zu Fuss gehen. Diese Umstände erinnern an Stalin, der Dissidenten zur Zwangsarbeit nach Sibirien geschickt hatte.
Militärischer Drill
Doch ob solche Massnahmen geeignet sind, um Jugendliche zur Vernunft zu bringen, bleibt fraglich. Studien in den USA, dem Mutterland der Drill-Erziehungsmassnahmen, zeichnen ein düsteres Bild.
Seit zwanzig Jahren versuchen dort Eltern und Behörden mit militärischen Methoden ihre auf die schiefe Bahn geratenen Teens auf den rechten Weg zu bringen. Bootcamps heissen die Erziehungslager, die nach dem Vorbild der 13-wöchigen militärischen Grundausbildung der US-Marines aufgebaut sind.
Das Programm: die Jugendlichen demütigen, ihren Willen brechen und sie dann wieder aufbauen. Nun zeigen erste Langzeitstudien, dass Zweifel an dieser Erziehungsmethode angebracht sind.
Langfristig wenig erfolgreich
Zwar führten laut einer Studie des US-Justizministeriums die Camps zu «kurzfristigen positiven Erfolgen», langfristig brächten die Camps allerdings wenig. Die Regierungsstudie spricht von einer Rückfallquote von 55 Prozent.
Eine Untersuchung in Florida geht einen Schritt weiter: Sheriff Jim Coats untersuchte die Rückfallquote bei Jugendlichen, die zwischen 2003 und 2005 in einem Bootcamp im Pinall County einsassen. Das Resultat ist niederschmetternd: 90 Prozent kamen nach ihrer Entlassung wieder mit dem Gesetz in Konflikt.
Misshandelt bis zum Tod
Immer wieder gerieten die Camps auch wegen schweren Fällen von Misshandlung in Verruf. Laut einem Bericht des US-Kongresses gab es im Jahr 2005 mehr als 1600 solcher Fälle. «Kinder werden gezwungen, ihr Erbrochenes zu essen, in Urin oder Kot zu liegen.
Sie werden geschlagen und zu Boden geworfen», berichtete Gregory Kutz, ein Ermittler des US-Kongresses, dem US-Magazin «Time».
Mit tödlichen Folgen: Mindestens 30 Jugendliche kamen laut Recherchen der «New York Times» in den vergangenen zwanzig Jahren in Bootcamps ums Leben.
Einer dieser tragischen Fälle war im Herbst 2004 der 15-jährige Roberto Reyes.
Zwei Wochen, nachdem die Eltern den notorischen Schulschwänzer und Ausreisser in ein Camp in Missouri gebrachten hatten, starb er. Die durch einen Spinnenbiss ausgelösten Schwächeanfälle und das Muskelversagen taten die Camp-Leiter als Simulation ab. Je schwächer der Junge wurde, desto mehr forderten sie von ihm – bis sein Herz versagte.