KESB-Chef über Frömmler als Pflege-Familien
«Wir haben keine andere Wahl»

Aus Mangel an Alternativen platziert die KESB immer mehr Kinder bei Frömmlern. «Es brennt an vielen Ecken», sagt KESB-Präsident Ruedi Winet im Interview.
Publiziert: 14.10.2014 um 00:00 Uhr
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Aktualisiert: 01.10.2018 um 02:47 Uhr
Von Romina Lenzlinger

Die Kindes- und Erwachsenenschutzbehörde (KESB) gerät immer mehr unter Beschuss. Die Fallzahlen steigen, Kosten explodieren. Gestern berichtete BLICK über eine Grossmutter, die aus gesundheitlichen Gründen ihre zwei Enkelkinder vorübergehend in eine Pflegefamilie gab – und bis heute nicht zurückbekam. Die neuen Eltern gehören einer Freikirche an. Jetzt nimmt Ruedi Winet (52), Präsident der Zürcher KESB-Präsidien-Vereinigung, Stellung.

BLICK: Herr Winet, warum greift die KESB auf Frömmler zurück?
Ruedi Winet:
Ja, es sind überdurchschnittlich viele Kinder bei Freikirchlern platziert. Die Situation macht uns nicht glücklich, doch wir haben keine Wahl. Es stellen sich nicht genügend andere Familien zur Verfügung. Die Gesellschaft hat sich verändert.

Warum bieten sich ausgerechnet Freikirchler an?
Diese Familien sind kinderreich. Da spielt es keine Rolle, ob noch ein weiteres mit am Tisch sitzt. Zudem sind sie hilfsbereit und sehr traditionell, was die Betreuung vereinfacht. Das heisst: Der Vater arbeitet. Die Mutter ist Hausfrau.

Ruedi Winet, Zürcher Kesb-Präsident.
Foto: Joseph Khakshouri
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Die Familien werden fürstlich entlohnt?
Fürstlich ist übertrieben. Pro Pflegeplatz gibt es im Schnitt 1900 Franken pro Monat, inklusive Kost und Logis. Aber klar spielt das Geld eine Rolle. Dank dem Zubrot können viele ihre Traditionen wahren und sich ganz um die Familie kümmern.

Können Sie verhindern, dass sich die religiösen Gepflogenheiten negativ auf die Kinder auswirken?
Das ist ein grosses Problem. Nehmen wir das Mittagsgebet. Ein Pflegekind muss nicht mitmachen, das ist sein Recht. Kommt es deshalb zu Konflikten, gehen wir der Sache nach.

Wie radikal dürfen Pflegeeltern sein?
Die Situtation muss für ein Kind zumutbar sein. Gut wäre, wenn seine soziale Struktur möglichst ähnlich bleibt. Nach den Vorstellungen und dem Glauben seiner leiblichen Eltern.

Laut Sektenexperte gibt es Pflegekinder, die ihre leiblichen Eltern für schlechte Christen halten.
Solche Fälle kamen leider wiederholt vor. Um dies zu vermeiden, überprüft das Amt für Jugend und Berufsberatung, welches für die Pflegefamilien zuständig ist, die Familien regelmässig. Betroffene können Beschwerde einreichen. Aber weil es an Pflegeplätzen mangelt, ist oft eine Heimplatzierung der letzte Ausweg. Den Pflegeplatz wählen aber nicht wir, sondern das Amt für Jugend.

Aber die Kinder- und Erwachsenenschutzbehörde erteilt die Bewilligung?
Es brennt an vielen Ecken. Die Problematik mit den Freikirchlern ist ein Dauerbrenner, aber wir sehen keine rasche Lösung. Viel mehr beschäftigt uns derzeit das Thema mit den Kosten für die Familienbegleitungen und Platzierungen.

Was läuft schief?
Die KESB gibt es seit 22 Monaten. Sicher, es gibt noch viele Baustellen. Die Zusammenarbeit mit den Gemeinden ist zu kompliziert.

Sollte man die KESB abschaffen?
Die Rückkehr zum alten System würde bedeuten, dass wieder Politiker über das Wohl der Kinder entscheiden und keine Fachkräfte.

Wäre das günstiger?
Günstiger, aber nicht professionell. Nehmen wir das Problem mit den Freikirchlern. Manche Gemeinden haben solche Platzierungen toleriert. Auch weil es sie günstiger kam.

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