Er war einer der ganz grossen Pianisten und gilt als einer der bedeutendsten Musiker des 20. und 21. Jahrhunderts: Alfred Brendel ist tot. Vom Konzertbetrieb hatte er sich schon vor Jahren zurückgezogen. Doch immer wieder machte er mit seinen Büchern von sich reden – mit hintersinnigem Humor. Selbst über den Tod konnte er sich lustig machen. Am Dienstag starb Brendel im Alter von 94 Jahren in seiner Wahlheimat London, wo er mehr als 50 Jahre gelebt hatte.
«Ich bin dankbar dafür, dass ich mich über 60 Jahre hinweg ohne Überstürzung entwickeln konnte», sagte der renommierte Pianist und Autor anlässlich seines 90. Geburtstages vor rund vier Jahren der Deutschen Presse-Agentur.
Im Dezember 2008 hatte Brendel sich endgültig vom Konzertpodium verabschiedet. «Es wäre schön, wenn die eine oder andere meiner eigenen Aufnahmen auch in Zukunft ihre Hörer fände», wünschte er sich damals fast zu bescheiden.
«Als ich mich von der Konzertbühne zurückzog, habe ich gedacht, alle würden mich vergessen», sagte er auch einmal. «Es ist sehr schön zu erleben, dass das Gegenteil der Fall ist.»
Zweitberuf Autor
Pianisten, die Bücher schreiben, und dann noch mit Humor, sind eine Rarität. Brendel veröffentliche in seinem «Zweitberuf» skurril-groteske Gedichte, in denen Musik und das Piano natürlich eine Rolle spielten.
«Ein Finger zuviel» hiess der erste Band, in dem es unter anderem um den imaginären dritten Zeigefinger geht, den der Pianist nutzt – um schwierige Passagen anzukündigen oder den Huster im Saal zu tadeln. In einem anderen Gedichte wird erzählt, wie der Verpackungskünstler Christo die «Drei Tenöre» um den Balkon des Mailänder Opernhauses La Scala wickelt.
Lieblingskomponisten Beethoven, Schubert und Haydn
Brendels Klavier-Karriere dauerte über fünf Jahrzehnte. Seine Lieblingskomponisten, die er immer wieder spielte, waren Beethoven, Schubert und Haydn. Er war der erste Pianist, der Beethovens Klavierwerke komplett aufnahm. Aber auch als Liedbegleiter fungierte er, etwa für Dietrich Fischer-Dieskau.
Der 1931 im nordmährischen Wiesenberg (heute in Tschechien) Geborene hat Deutsche, Österreicher sowie Italiener und Slawen als Vorfahren. Als er drei war, zogen die Eltern an die kroatische Adriaküste.
Brendel, dessen Eltern keine Musiker waren, sieht sich nicht als Wunderkind. Seine erste Begegnung mit der Musik habe er mit drei Jahren gehabt, erzählte er im Rückblick: Als er im Hotel seines Vaters für die Gäste Schallplatten auflegte.
1970 ging er nach London
Später besuchte er die Schule in Zagreb, wo er mit sechs Jahren den ersten Klavierunterricht bekam. Es folgte ein Studium am Konservatorium in Graz, später in Wien. Im Alter von 17 Jahren gab Brendel in Graz sein erstes öffentliches Konzert. Seine internationale Karriere begann 1949. 1950 zog er endgültig nach Wien, 1970 übersiedelte er nach London.
«Ich bin nicht jemand, der Wurzeln sucht oder braucht. Ich möchte so kosmopolitisch wie möglich sein. Ich ziehe es vor, zahlender Gast zu sein. Das ist eine Lektion, die ich im Krieg gelernt habe.» Brendel war ein Wanderer zwischen den Welten.
Eine weitere Besonderheit: Zeit seines Lebens galt Brendel als ausgesprochen uneitler Musiker. Allüren waren ihm fremd, grossmächtige Selbstdarsteller auf der Bühne waren ihm ein Graus. Auch damit hob er sich wohltuend ab.
Keine Lust auf Verdi
Gross und hager, ein wenig nach vorne gebeugt, stets die altmodische dicke Brille auf der Nase – so kannte ihn sein Publikum. Kritiker lobten, er habe niemals extrem gespielt, immer mit dem rechten Mass.
Trotz aller Seriosität am Piano – sein Humor als Autor war bemerkenswert. Und machte selbst vor dem Tod nicht halt. «Falls man im Paradies immerzu Verdi hören muss», schrieb er, «dann würde ich um Urlaub und um einen gelegentlichen Besuch in der Hölle bitten.»