Gewalt-Experte Allan Guggenbühl
«Ich sage ihnen, dass es jämmerlich und feige ist»

Der Jugendpsychologe hat mit Teenagern zu tun, die davon träumen, Attentäter zu werden. Er sagt, wie man sie davon abbringt.
Publiziert: 20.08.2017 um 11:40 Uhr
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Aktualisiert: 29.10.2018 um 15:13 Uhr
Interview: Aline Wüst

Die Attentäter von Barcelona sind teilweise noch minderjährig. Sagen Sie uns, was im Kopf eines pubertierenden Gewalttäters vorgeht?
Allan Guggenbühl: Jugendliche sind in einer Umbruchphase, lösen sich vom Elternhaus, suchen nach einer eigenen Identität, sagen zur Welt: So, jetzt komme ich!

Und was macht sie zu Attentätern?
Die Vorstellung, durch ihre Aktion einen bleibenden Eindruck zu hinterlassen, ist für einzelne Jugendliche sehr attraktiv. Sie sind fasziniert von der Idee, die Welt für einen Moment aus den Fugen zu bringen, etwas Grossartiges zu machen.

Kennen Sie Teenager mit solchen Fantasien?
Ich habe mit Nordafrikanern zusammengearbeitet, die solche Vorstellungen geäussert haben.

Welche?
Leute zu töten bei einem Selbstmordanschlag.

Aus welchem Umfeld kamen diese Jugendlichen?
Verrückt ist, dass die unmittelbare Umgebung dieser Teenager zum Teil völlig normal war. Die Eltern waren assimiliert; sie selber kamen oft schon sehr jung in die Schweiz.

Man spricht davon, dass sich solche Jugendliche gesellschaftlich ausgegrenzt fühlen. Wie sehen Sie das?
Das ist ein Klischee. Nicht alle sind arme, von allen übergangene Jugendliche. Es gibt auch solche, die von ihrem Umfeld akzeptiert werden und sich in eine grandiose pseudo-religiöse Vorstellung hineinsteigern, die sie glauben, ausleben zu müssen. Sie wissen genau, was man tun muss und wieso die Welt schlecht ist.

Wie reagieren Sie darauf als Therapeut?
Ich signalisiere Empörung und Unverständnis. Sage ihnen, dass das jämmerlich und feige ist. Sie meinen ja, dass sie Helden sind. Wichtig ist es, immer authentisch zu bleiben. Ich sage: Natürlich habe ich mir auch schon vorgestellt, wie es wäre, mit ­einem Auto in eine Menschenmenge zu rasen. Auch ich habe Gewaltfantasien. Ich würde das aber niemals tun. Überlege dir doch mal, was mit den Opfern ist.

Sie appellieren an die Empathie.
Empathie funktioniert meist nicht, die anderen Menschen wurden längst entmenschlicht. Für sie sind das Kapitalisten oder Ungläubige, die getötet werden müssen. Sie umzubringen, gehört zum Opfer, das sie selber bringen. Eine besonders perverse Argumentation.

Und wie werden sie die Idee, Menschen zu töten, wieder los?
Die meisten wenden sich mit der Zeit ab, werden besonnener. Konsumobjekte werden wichtig, ein schönes Auto, eine berufliche Herausforderung – oder sie wollen eine Freundin.

Vom Attentäter zum Autobesitzer? So einfach?
Einer begann, davon zu schwärmen, ein Motorrad zu besitzen und durchs Toggenburg zu fahren. Die Attentäter-Fantasie rückte in den Hintergrund. Es sind oft simple Dinge. Wichtig ist, Alternativen anzubieten und immer in Beziehung zu bleiben, sonst erzählen sie nicht mehr, was in ihrem Kopf vorgeht.

Hätten Ihre jungen Nordafrikaner zu Attentätern werden können, wären sie Ideologen des IS begegnet?
Vielleicht, ich weiss es nicht.

Sind Sie oft mit Gewaltfantasien konfrontiert?
Gewalttätige Ideologien üben auf die überwiegenden Mehrheit der Jugendlichen keine Anziehungskraft aus. Es braucht andere Faktoren, wie Entfremdung, bestimmte soziale Hintergründe oder auch religiösen Fanatismus, damit solche Gedanken entstehen. Jugend allein ist also keine Erklärung.

Aber Jugendlichkeit macht anfällig?
Die Jugend ist verführbar. Der Wille, alles anders zu machen, gehört dazu und kann zugleich zum Problem werden.

Glauben Sie, dass der IS künftig speziell auf Jugendliche setzen wird?
Das kann ich mir gut vorstellen. Der IS wird schon merken, wer besonders ansprechbar ist für seine Ideologie und diese Jugendlichen dann auch angehen.

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