Die Sonne streichelt das Grab. Ihr Licht reflektiert sich in der stahlblau schimmernden Urne. Lautlos sinkt diese in die ausgehobene Öffnung. Die kleine Gruppe von schwarz gekleideten Trauergästen steht Schulter an Schulter auf dem Dorffriedhof von Porza TI. Niemand spricht ein Wort. Nur der Dorfpriester hält eine kurze, persönliche Predigt. Der Blick der Trauergäste ist gesenkt. Tränen fliessen leise. Der Tessiner Herbst zeigt sich milde und warm, als wollte er trösten. Es sind gerade mal zwanzig Personen, die Steve Lee gestern Nachmittag, 15 Uhr, auf seinem letzten Gang begleiten. Nur der engste Freundes- und Familienkreis darf kommen, um den grössten Schweizer Rocksänger zu verabschieden. Steves Eltern aus Spanien, Schwester Karin und Familie, Lebensgefährtin Brigitte, die Gotthard-Bandmitglieder, eine Handvoll Freunde und Nachbarn sind gekommen. «Wir spüren, dass Steve bei uns ist», sagt Karin Nicholls (53), «schon die ganzen letzten Wochen.» Es ist der erste Moment, in dem Steves Schwester Luft holen kann, trauern darf: «Ich habe so viel zu tun mit dem Organisieren und der Bürokratie, dass ich kaum Ruhe finde, um meines Bruders zu gedenken.»
Nach einer halben Stunde löst sich die stille Gesellschaft auf. Zwei Friedhofsarbeiter schieben den weissen Stein aufs Grab, füllen ihn mit Kiesel. Ein kleiner Marmor-Engel wacht über den bernsteinfarbenen Rosenkranz und Steves Gitarrenplektron. Zwei rote Windlichter erleuchten die Inschriften «Ci manchi» (Du fehlst uns) und «See you in heaven, little brother». Weisse Rosen, weisse Gerbera, Lilien. Blumenduft weht über die Friedhofsmauer mit Blick auf den Luganersee. Es ist einer der schönsten Friedhöfe der Schweiz. Zehn Meter weiter das andere Grab eines berühmten Schweizers: die Ruhestätte von Formel-1-Legende Clay Regazzoni († 68). «Steve war hier zu Hause», sagt Nachbar Fabio Somazzi (57). «Hier ist seine eigentliche Welt: das Dorf, in dem er aufwuchs, das Elternhaus, die alten Freunde und die Nachbarn, die er schon als Kind kannte. Er war ein so normaler, feiner Mensch. Nie ausfallend, nie exzessiv. Immer korrekt, hilfsbereit. Ein Star, aber auch ein gutes Vorbild für die Jugend.»