Geburtstag
Der poetische Kosmos von Klaus Merz in drei Gedichten

Der Autor Klaus Merz hat zu seinem 80. Geburtstag am (heutigen) 3. Oktober drei Gedichte ausgewählt, die ihm wichtig sind. Sie repräsentieren sein lyrisches Werk über 40 Jahre. Gedanken dazu situieren die Gedichte in seinem poetischen Kosmos.
Publiziert: 06:36 Uhr
Teilen
Anhören
Kommentieren
Der Autor Klaus Merz gehört mit seiner Lyrik und seinen Prosa-Texten zu den wichtigsten Stimmen der schweizerischen Literatur. Auch international wir er gehört, spätestens seit er 1997 "Jakob schläft" veröffentlichte. Heute wird er 80 Jahre alt. (Archivbild)
Foto: GAETAN BALLY
KEYSTONE-SDA_Quadrat_pos.jpg
Keystone-SDADie Schweizer Nachrichtenagentur

Milchstrasse (1991)

Die Nachricht vom auf-rechten Gangverbreitet sich langsamim All.Du legst den Kopfins Genickin der Küche löschtdie Tochter das Licht.

 

Der Blick ins All verliert sich leicht im Ungewissen, doch wer ihm beharrlich nachgeht, richtet den Rücken und verschafft sich Aufklärung - Kants Licht der Vernunft. Aus dem All wird der Blick erwidert. Die Milchstrasse leuchtet geradewegs in die Küche, wenn nachts das Licht gelöscht ist. Die Kinder helfen dem Durchblick auf die Sprünge.

Innen und aussen, hell und dunkel sind geläufige Gegensätze, die Klaus Merz in seinen Gedichten immer wieder variiert. Er liebt es, wenn sich Innen- und Aussenraum durchdringen, und wenn Licht und Schatten im Kontrast einander bedingen. Die Sterne leuchten erst in der gähnenden Schwärze des Alls, und die Unendlichkeit findet Trost zu Hause, wo vertraute Menschen anwesend sind. Auf das lyrische Ich kommt es dabei gar nicht an.

Das Gedicht «Milchstrasse» entstammt dem Band «Nachricht vom aufrechten Gang», dem siebten mit Gedichten von Klaus Merz, der mit den Zeilen endet: «Wahrnehmen, was / durch Vorzeigen nicht / sichtbar wird». Das ist die geheime Losung der Merz'schen Poesie, dafür hat sie ein besonderes Sensorium. Als der Band 1991 erschien, war Klaus Merz erst wenigen bekannt. Sechs Jahre später erklomm er mit «Jakob schläft» den Olymp der literarischen Anerkennung und Berühmtheit.

Licht (2010)

Es gibt Sätzedie heilenund Tageleichter als Luft.Es gibt eine Stimmedie ich wiedererkennenoch bevor siemich ruft. Für S.

 

Da ist es wieder, das Licht, im Band «Aus dem Staub» von 2010. Woher die Zuversicht in diesen sorgfältig hingetupften Zeilen rührt, der Überschwang leichter als Luft, ist wohl in der Stimme zu suchen, die unvernehmlich anwesend ist. Allein die Ahnung ihrer Worte trägt. Und mit der Stimme kommt auch ein Licht ins verschattet Unheile, das von trüben Gedanken oder finsteren Tagen herrührt. Im Schein des Lichts wird die Welt bewohnbar, verletzlich, ahnungsvoll.

«Licht» nimmt einen Faden auf, der in einem anderen Gedicht des besagten Bands unter dem Titel «Zusammen» ausgelegt wird: «Und wie jeden Morgen / die Einsamkeiten / neu vertäut». Das vertraute Du hebt die Einsamkeit nicht auf, aber es lichtet sie. Der Grund für diese intime Zuversicht steht kleingedruckt am Ende: «Für S.». «Licht» ist eine poetische Liebeserklärung an seine Frau Selma. Diese Liebeserklärung vertraut ganz dem Unausgesprochenen.

«Der Widerstand / gegen die Ausführlichkeit / wächst weiter», heisst es ebenfalls in «Aus dem Staub». Es braucht nicht viele Worte, wenn dazwischen die Lücken flüstern. In einem Gespräch mit Markus Bundi im Band 8 der Werkausgabe bestätigt Merz seine Vorliebe für die «poetische Lakonie, vibrierende Knappheit und Anschaulichkeit zugleich»: Sie sind sein Markenzeichen.

Von weitem umzingelt (2023)

Schaute dem Nachbarn von weitembeim Häuten eines Kaninchens zu.Der bLutenD engeL stehtals Legende unter der vergilbtenKinderzeichnung, sie hängt hintermeinem Rücken am Bücherbrett:Aus einem Flügelwesen fallenrote Tropfen. Als fielen Bombendurch den hohen Himmelins kurze grüne Gras.Schwere Einschläge in Kiew,meldet aus der Küche das Radio.

 

Sind es gewöhnlich Begrenzungen, die einhegen, ist es hier das Weite, von der sich das schauende Ich umstellt fühlt; zugleich fängt sein Blick den Nachbarn ein. Doch hier ist kein aufrechter Gang mehr, der Mensch duckt sich unter dem (Sünden-)Fall von roten Tropfen oder unter Bomben, die vom Himmel fallen. Im Spiel der Ambivalenzen hält die Gewalt Einzug, im Kleinen wie im Grossen. Schon das Kind hat sie untrüglich erahnt, nun erfährt das lyrische Ich das reale Echo in den täglichen Nachrichten.

Im Gespräch mit Markus Bundi sagt Klaus Merz: Wir «staunen über Wetter und Welt, die uns natürlich via Medien auch in unserem Rücken umstellen: Von Weitem umzingelt eben». Doch sein «Licht»- Gedicht wäre keines, fände der Dichter nicht eine subtile Sprache für das Helldunkel der gewaltsamen Kontraste. Die Nachrichten holen das Ich nicht ganz ein, sie halten mediale Distanz und werden in einem feinen Gespinst von Anklängen und Bildern poetisch gebannt.

«Von weitem umzingelt» entstammt dem Band «Noch Licht im Haus» von 2023. Im Titelgedicht bleiben selbst die Bücherregale stumm ("eine Urnenwand"), doch noch brennt das Licht. Hält es in finster werdenden Zeiten die Hoffnung wach, oder flackert es bloss in Demut vor dem Verlöschen? In dieser Ambivalenz behauptet sich der Dichter Klaus Merz zwischen dem bejahenden Dasein und der Schwermut des Vergänglichen.

Zur Person: 

Klaus Merz ist am 3. Oktober 1945 in Aarau geboren und in Menziken im Wynental aufgewachsen. Nach einer Ausbildung zum Sekundarlehrer unterrichtete er viele Jahre im Teilpensum Sprache & Kultur an der Schweizer Bauschule in Aarau.

1967 erschien im kleinen Tschudy-Verlag sein erstes Gedicht-Heft «Mit gesammelter Blindheit». Darin ist die «vibrierende Knappheit» seines Dichtens, wie er selbst sagt, bereits angelegt. Seither sind um die 30 Bände mit Lyrik, Kurzprosa, Erzählungen, feuilletonistischen und essayistischen Texten erschienen.

Der Durchbruch gelang ihm 1997 mit «Jakob schläft», im Untertitel «Eigentlich ein Roman». Das Buch fand auch international grosse Beachtung, die bis heute anhält.

Für sein poetisches und erzählerisches Werk ist Klaus Merz vielfach ausgezeichnet worden, unter anderem mit dem Solothurner Literaturpreis (1996), dem Hermann-Hesse-Preis (1997), dem Gottfried-Keller-Preis (2004), dem Aargauer Kulturpreis (2005), dem Hölderlin-Preis (2012) und zuletzt dem Schweizer Grand Prix Literatur (2024).

Heinz Bütler widmete ihm und seinen Texten 2015 den Film «Merzluft». Klaus Merz lebt als freier Autor im aargauischen Unterkulm, wo ihm und seiner Frau Selma Merz das Ehrenbürgerrecht verliehen worden ist.*

*Dieser Text von Beat Mazenauer, Keystone-SDA, wurde mithilfe der Gottlieb und Hans Vogt-Stiftung realisiert.

Teilen
Fehler gefunden? Jetzt melden
Was sagst du dazu?
Heiss diskutiert
    Meistgelesen
      Meistgelesen