Funkverkehr erschüttert Pilotenwitwe

Publiziert: 25.05.2007 um 17:09 Uhr
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Aktualisiert: 06.09.2018 um 19:43 Uhr
Von Sandro Brotz
Jetzt kann die ganze Welt hören, wie ihr Mann in den Tod fliegt. Die Witwe des Captains von Swissair-Flug 111 über ihre Gefühle, als der Funkverkehr aus der Absturznacht veröffentlicht wurde.

«Swissair eins-elf, wenn Sie Zeit haben, könnte ich die Zahl der Menschen an Bord und Ihren Treibstoff an Bord haben, bitte, für die Notfalldienste» (Halifax Kontrollturm, 22.21 Uhr)

Jetzt sind sie wieder da. Die schrecklichen Bilder vom 2. September 1998. Wrackteile im aufgewühlten Meer. Suchboote mit flackernden Scheinwerfern. Der markante Leuchtturm von Peggy’s Cove, dem kanadischen Fischerdorf vor Halifax. Dort, wo um 22.31 Uhr eine MD-11 der Swissar beinahe senkrecht in den Atlantik gestürzt war.

«Es kommt alles wieder hoch», sagt Priska Zimmermann (53) zu SonntagsBlick. In jener Nacht verlor sie ihren Mann Urs (†49), den Vater der heute erwachsenen Kinder Andrea, Linda und Michel. Er war Captain der MD-11, neben ihm sass Kopilot Stephan Löw (†36). Löws Stimme ist in den Aufzeichnungen des Funkverkehrs zu hören, die jetzt vom obersten kanadischen Gericht in Ottawa freigegeben wurden.

«Zurzeit hat es zwei-drei-null Tonnen Benzin an Bord. Wir müssen einigen Treibstoff ablassen. Können wir das in
diesem Gebiet während des Sinkflugs tun?»
(SR-111, 22.21 Uhr)


Quälende vier Minuten und 36 Sekunden lang ist das Tondokument. Priska Zimmermann hörte es sich am Mittwoch im Internet an. «Das ist ein beklemmendes Gefühl.» Vor bald neun Jahren – direkt nach dem Absturz – wurde es ihr schon einmal vorgespielt. «Viel Zeit ist vergangen, aber jetzt wühlt es mich wieder auf. Es ist voll da. Ganz tief in mir drin.»

«Wir drehen nach links, und in dem Fall sinken wir vorerst nur auf zehntausend Fuss, um Treibstoff abzulassen» (SR-111, 22.22 Uhr)

Die Witwe erzählt, wie man ihr zeigte, was die Retter aus dem Wasser geholt hatten. «Da war ein Foto von meinem Mann und mir dabei. Urs hatte es in seiner Brieftasche.» Sie macht eine Pause. «Der Anblick des Fotos hat mich erschüttert.»

«Swissar eins-elf schwer* erklärt den Notfall»
(SR-111, 22.24 Uhr)


Viele Male war sie im Simulator dabei, wenn ihr Mann, der auch Fluglehrer war, Notfälle an Bord durchspielte. «Mir war klar, wie das am Funk abläuft», sagt sie, «umso schlimmer, dass es Realität wurde.»

«Elf schwer*, wir beginnen nun, Treibstoff abzulassen, wir müssen sofort landen» (SR-111, 10.24 Uhr)

Die Piloten gingen vermutlich davon aus, dass sie es bis nach Halifax schaffen würden, 70 Meilen von Peggy’s Cove entfernt. Darauf deutet auch der Funkverkehr hin. «Sie haben alles getan, um die Maschine und die Menschen zu retten», sagt Zimmermann.

Dann muss sie den Koffer packen. Sie arbeitet aushilfsweise als Flight Attendant bei der Swiss. In ein paar Stunden geht ihr Flug nach Los Angeles (USA). Priska Zimmermann kann heute wieder nach vorne schauen.

* schwer = vollgetankt

Wortlaut des Funkverkehrs
Nachstehend das Protokoll der vier Minuten und 36 Sekunden dauernden Aufzeichnung der Funkgespräche zwischen den Piloten des Swissair-Fluges 111, der in der Nacht zum 3. September 1998 mit 229 Flugzeuginsassen bei Halifax in den Nordatlantik abgestürzt ist. Sie wurden von der kanadischen Nachrichtenagentur Canadian Press ins Internet gestellt. Das Protokoll stützt sich in AP-Übersetzung auf ein Transkript von Kanadas Verkehrssicherheitsbehörde TSB vom September 1998, von der auch die Zeitangaben stammen. Auslassungen sind mit (...) markiert.

Halifax Kontrollturm (Zeit: 10:21:23.1 abends): Swissair eins-elf, wenn Sie Zeit haben, könnte ich die Zahl der Menschen an Bord und Ihren Treibstoff an Bord haben bitte, für die Notfalldienste.

SR-111 (10:21:30.1): Verstanden. Zurzeit hat es zwei-drei-null Tonnen Benzin an Bord. Wir müssen einigen Treibstoff ablassen. Können wir das in diesem Gebiet während des Sinkflugs tun?

(...)

Halifax Kontrollturm: (10:22:04.2): Swissair eins-elf, verstanden, drehen Sie nach links Kurs zwei-null-null Grad und geben Sie Bescheid, wenn Sie zum Ablassen bereit sind. Es sind etwa zehn Meilen, bis Sie von der Küste weg sind. Sie sind immer noch innerhalb von rund 25 Meilen vom Flughafen.

SR-111 (10:22:20.3): Verstanden, wir drehen nach links, und in dem Fall sinken wir vorerst nur auf zehntausend Fuss, um Treibstoff abzulassen.

Halifax Kontrollturm (10:22:29.6): OK, halten Sie eins-null-tausend. Ich werde Ihnen Bescheid geben, wenn Sie über dem Wasser sind, und das wird sehr bald sein.

SR-111 (10:22:34.4): Verstanden.

SR-111 (10:22:36.2): (Gespräch zwischen den beiden Piloten, das unbeabsichtigt über Funk geht) Du bisch i dr emergency checklist für air conditioning smoke.

Halifax Kontrollturm (10:22:42.9): Swissair eins-elf, sagen Sie das noch einmal bitte.

SR-111 (10:22:45.3): Entschuldigung, das war nicht für Sie. Swissair eins-elf hat sich intern erkundigt. Es war mein Fehler, Entschuldigung dafür.

(...)

SR-111 (10:24:28.1): Swissair eins-elf. Zurzeit müssen wir manuell fliegen. Sind wir berechtigt, zwischen zehn-, elf tausend und neuntausend Fuss zu fliegen.

Halifax Kontrollturm (10:24:28.1): Sie können sich zwischen fünftausend und zwölftausend Fuss aufhalten, wenn Sie das wünschen.

SR-111 (10:24:45.1): Swissair eins-elf schwer erklärt den Notfall (10:24:46.4 das Gespräch wird von einer zweiten Stimme übertönt) Verstanden, wir sind zwischen zwölf und zehntausend Fuss. Wir erklären den Notstand um null-eins-zwei-vier (Zeitangabe).

Halifax Kontrollturm (10:24:56.0): Verstanden.

(...)

SR-111 (10:24:56.5): Elf schwer, wir beginnen nun, Treibstoff abzulassen. Wir müssen sofort landen.

Halifax Kontrollturm (10:25:00.7): Swissair eins-elf, nur noch einige Meilen. Ich werde gleich bei Ihnen sein.

(...)

Halifax Kontrollturm (10:25:19.2): Swissair eins-elf, Sie haben nun die Erlaubnis, auf dieser Route mit dem Ablassen des Treibstoffs zu beginnen. Und geben Sie Bescheid, wenn das Ablassen fertig ist.

Halifax Kontrollturm (10:25:43.0): Swissair eins-elf, check, Sie haben die Erlaubnis, den Treibstoff abzulassen.»

Nach einer letzten, kurzen und unverständlichen Durchsage von SR-111 ertönen nur noch die Stimmen von Fluglotsen. Swissair-111 stürzt mit allen 229 Insassen in den Nordatlantik. Niemand überlebt.
«Es kommt alles wieder hoch» – das Funkprotokoll lässt bei Priska Zimmermann, der Witwe des Swissair-Piloten, alte Wunden aufbrechen.
«Es kommt alles wieder hoch» – das Funkprotokoll lässt bei Priska Zimmermann, der Witwe des Swissair-Piloten, alte Wunden aufbrechen.
Foto: Dick Vredenbregt
Nachstehend das Protokoll der vier Minuten und 36 Sekunden dauernden Aufzeichnung der Funkgespräche zwischen den Piloten des Swissair-Fluges 111, der in der Nacht zum 3. September 1998 mit 229 Flugzeuginsassen bei Halifax in den Nordatlantik abgestürzt ist. Sie wurden von der kanadischen Nachrichtenagentur Canadian Press ins Internet gestellt. Das Protokoll stützt sich in AP-Übersetzung auf ein Transkript von Kanadas Verkehrssicherheitsbehörde TSB vom September 1998, von der auch die Zeitangaben stammen. Auslassungen sind mit (...) markiert.

Halifax Kontrollturm (Zeit: 10:21:23.1 abends): Swissair eins-elf, wenn Sie Zeit haben, könnte ich die Zahl der Menschen an Bord und Ihren Treibstoff an Bord haben bitte, für die Notfalldienste.

SR-111 (10:21:30.1): Verstanden. Zurzeit hat es zwei-drei-null Tonnen Benzin an Bord. Wir müssen einigen Treibstoff ablassen. Können wir das in diesem Gebiet während des Sinkflugs tun?

(...)

Halifax Kontrollturm: (10:22:04.2): Swissair eins-elf, verstanden, drehen Sie nach links Kurs zwei-null-null Grad und geben Sie Bescheid, wenn Sie zum Ablassen bereit sind. Es sind etwa zehn Meilen, bis Sie von der Küste weg sind. Sie sind immer noch innerhalb von rund 25 Meilen vom Flughafen.

SR-111 (10:22:20.3): Verstanden, wir drehen nach links, und in dem Fall sinken wir vorerst nur auf zehntausend Fuss, um Treibstoff abzulassen.

Halifax Kontrollturm (10:22:29.6): OK, halten Sie eins-null-tausend. Ich werde Ihnen Bescheid geben, wenn Sie über dem Wasser sind, und das wird sehr bald sein.

SR-111 (10:22:34.4): Verstanden.

SR-111 (10:22:36.2): (Gespräch zwischen den beiden Piloten, das unbeabsichtigt über Funk geht) Du bisch i dr emergency checklist für air conditioning smoke.

Halifax Kontrollturm (10:22:42.9): Swissair eins-elf, sagen Sie das noch einmal bitte.

SR-111 (10:22:45.3): Entschuldigung, das war nicht für Sie. Swissair eins-elf hat sich intern erkundigt. Es war mein Fehler, Entschuldigung dafür.

(...)

SR-111 (10:24:28.1): Swissair eins-elf. Zurzeit müssen wir manuell fliegen. Sind wir berechtigt, zwischen zehn-, elf tausend und neuntausend Fuss zu fliegen.

Halifax Kontrollturm (10:24:28.1): Sie können sich zwischen fünftausend und zwölftausend Fuss aufhalten, wenn Sie das wünschen.

SR-111 (10:24:45.1): Swissair eins-elf schwer erklärt den Notfall (10:24:46.4 das Gespräch wird von einer zweiten Stimme übertönt) Verstanden, wir sind zwischen zwölf und zehntausend Fuss. Wir erklären den Notstand um null-eins-zwei-vier (Zeitangabe).

Halifax Kontrollturm (10:24:56.0): Verstanden.

(...)

SR-111 (10:24:56.5): Elf schwer, wir beginnen nun, Treibstoff abzulassen. Wir müssen sofort landen.

Halifax Kontrollturm (10:25:00.7): Swissair eins-elf, nur noch einige Meilen. Ich werde gleich bei Ihnen sein.

(...)

Halifax Kontrollturm (10:25:19.2): Swissair eins-elf, Sie haben nun die Erlaubnis, auf dieser Route mit dem Ablassen des Treibstoffs zu beginnen. Und geben Sie Bescheid, wenn das Ablassen fertig ist.

Halifax Kontrollturm (10:25:43.0): Swissair eins-elf, check, Sie haben die Erlaubnis, den Treibstoff abzulassen.»

Nach einer letzten, kurzen und unverständlichen Durchsage von SR-111 ertönen nur noch die Stimmen von Fluglotsen. Swissair-111 stürzt mit allen 229 Insassen in den Nordatlantik. Niemand überlebt.
Der Fall
229 Menschen verloren ihr Leben, als Swissair-Flug 111 am 2. September 1998 vor Peggy’s Cove in Nova Scotia (Kanada) abstürzte. Die MD-11 war unterwegs von New York (USA) nach Genf. Wahrscheinlich hatte ein Kurzschluss in der Verkabelung des Bordunterhaltungssystems ein Feuer ausgelöst.

Fast neun Jahre nach der Katastrophe hat die Nachrichtenagentur Canadian Press jetzt die Veröffentlichung des Funkverkehrs erwirkt.
«Es kommt alles wieder hoch» – das Funkprotokoll lässt bei Priska Zimmermann, der Witwe des Swissair-Piloten, alte Wunden aufbrechen.
«Es kommt alles wieder hoch» – das Funkprotokoll lässt bei Priska Zimmermann, der Witwe des Swissair-Piloten, alte Wunden aufbrechen.
Foto: Dick Vredenbregt
229 Menschen verloren ihr Leben, als Swissair-Flug 111 am 2. September 1998 vor Peggy’s Cove in Nova Scotia (Kanada) abstürzte. Die MD-11 war unterwegs von New York (USA) nach Genf. Wahrscheinlich hatte ein Kurzschluss in der Verkabelung des Bordunterhaltungssystems ein Feuer ausgelöst.

Fast neun Jahre nach der Katastrophe hat die Nachrichtenagentur Canadian Press jetzt die Veröffentlichung des Funkverkehrs erwirkt.
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