Der Frauenstreik übertraf alle Erwartungen. Was kaum jemand weiss: Angezettelt haben ihn die Argentinierinnen! Itziar Marañón (42) weiss, wie das kam.
Die Spanierin lebt in Bern. Sie ist Mitglied des dortigen Streikkollektivs. Marañón ist aber auch Journalistin und hat in Argentinien gearbeitet, wo es eine erstarkte feministische Bewegung gibt. Der Grund dafür: die massive Gewalt an Frauen. «Ni una menos» («Nicht eine Einzige weniger») heisst eine ihrer Kampagnen. Tausende Argentinierinnen gehen regelmässig auf die Strasse, fordern ein Ende der Übergriffe, kämpfen gegen milde Gerichtsurteile bei Frauenmorden und Sexualdelikten und für legale Abtreibungen.
Aufruf zum weltweiten Frauenstreik
«Die Argentinierinnen sind so mutig!», sagt Marañón. Mit grosser Beharrlichkeit hätten sie bereits viele ihrer Themen in die Gesellschaft eingebracht, ihre Bewegung sei längst übergeschwappt in andere Länder Süd- und Zentralamerikas. 2017 dann riefen sie zu einem weltweiten Frauenstreik auf. Und Feministinnen in Spanien entschieden: Wir machen das!
Eine starke Frauenbewegung gab es damals auch dort nicht. Aber einzelne Gruppen und drei Faktoren, die sie anstiessen.
Zum Ersten das langjährige Engagement diverser Gruppierungen gegen Gewalt an Frauen. Marañón: «Wer sich Gedanken dazu macht, stellt sich auch Fragen zur Geschlechterrolle, zu Sexismus und kommt irgendwann zum System.»
Fünf Millionen Spanierinnen gingen auf die Strasse
Dann die Wirtschaftskrise 2008: Viele Frauen verloren ihre Stellen, mussten zurück zur unbezahlten Care-Arbeit. Die Arbeitsbedingungen in Jobs, die hauptsächlich Frauen ausüben, verschlechterten sich mit der Krise noch. Als dritten Faktor nennt Marañón die MeToo-Bewegung: Sie zeigte deutlich, dass Gewalt an Frauen und Sexismus alltäglich sind – und ein soziales Problem.
«Das alles hat eine Stimmung geschaffen, die dazu führte, dass am 8. März 2019 rund fünf Millionen Spanierinnen im ganzen Land auf die Strasse gingen.» Marañón erzählt von Freundinnen in Bilbao, Feministinnen, die seit Jahren immer wieder in kleinen Gruppen zusammenkamen, um sich für feministische Anliegen starkzumachen. Viel Zulauf hatten sie nicht.
Am 8. März, dem Tag der Frau, seien sie dann auf der Strasse gestanden und hätten nicht mehr aufhören können zu weinen. Denn «plötzlich standen dort 100'000 andere Frauen mit ihnen», berichtet Marañón, darunter viele junge Frauen. «Die Spanierinnen wollen nicht mehr warten. Sie haben die Nase voll. Vor allem von sexuellen Belästigungen.»
Kampf für eine gerechtere Welt
Die enorme Mobilisierung in Spanien inspirierte wiederum linke Feministinnen in der Schweiz. Sie begannen, Frauen zu mobilisieren. Ebenfalls mit Erfolg – wie sich am Freitag zeigte.
Was die Frauen in Argentinien, Spanien und der Schweiz eint: der Kampf für eine gerechtere Welt. Tage wie der Frauenstreik seien dafür enorm wichtig, sagt Marañón. «Wir Frauen brauchen unseren Raum, um uns zu finden, uns gegenseitig zu stärken, weil wir daran glauben müssen, dass wir die Kraft, den Willen und die Ideen haben, diese Gesellschaft zu verändern.»
Denn es werde Rückschläge geben, Frauen werden weiterhin Sexismus erleben und, wenn sie sich wehren, lächerlich gemacht: «Ah, die Feministin wieder.»
Aber Marañón weiss es von den Erfahrungen der Spanierinnen und Argentinierinnen: «Alle Frauen, die den Streik miterlebt haben, werden in solchen Situationen denken können: Wir waren Hunderttausende. Wir waren überall. Etwas passiert!»