Sie telefonierte mit ihrer Mutter, sagte, dass sie bald nach Hause komme. Doch Migros-Lehrtochter Elida Osmani kam am Abend des 6. November 2017 nie zuhause an. Auf dem Zebrastreifen der Hendschikerstrasse in Lenzburg AG erfasste sie das Auto von Zahnarzt K. S.* (81) – ungebremst.
Die junge Frau wurde weggeschleudert, erlag später ihren tödlichen Kopfverletzungen. Jetzt ist der 81-jährige wegen fahrlässiger Tötung angeklagt. Die Staatsanwaltschaft beantragt eine unbedingte Freiheitsstrafe von 15 Monaten.
«Er hat sich nicht persönlich bei uns entschuldigt»
Elidas Cousin Bedri Asani (36) sagt zu BLICK: «Wir sind von den lediglich beantragten 15 Monaten nicht gerade fasziniert, aber es ist wie es ist.» Die Familie hätte sich eine härtere Anklage gewünscht. «Aber egal, was für eine Strafe er kriegen wird – Elida kommt so oder so nicht zurück.»
Das Verhalten des Unfallfahrers stösst ihm sauer auf. «Er hat sich nicht persönlich bei uns entschuldigt. Er blieb gefühllos und hat seine Chance verpasst, er muss sich nie mehr bei uns melden!»
Der Unfallfahrer war ein notorischer Verkehrssünder. Wie BLICK-Recherchen zeigten, fuhr K. S. ohne Billett – nicht zum ersten Mal: Er musste den Führerausweis schon im 2010 wegen eines mittelschweren Vergehens für einen Monat abgeben. Aber K. S. blieb unbelehrbar: Im 2011 wurde er innerorts mit 80 km/h erwischt! Zwar kämpfte er gegen den erneuten Billett-Entzug durch alle Instanzen, blieb aber ohne Erfolg. Er musste den Ausweis länger abgeben.
Mit 58 km/h erfasst
Die Staatsanwaltschaft Lenzburg-Aarau wirft dem 81-jährigen Schweizer vor, beim Unfall mit Elida seine Aufmerksamkeit nicht ausreichend auf den Bereich um den Fussgängerstreifen, sondern hauptsächlich auf die 250 Meter weiter entfernte Lichtsignalanlage gerichtet und so die junge Frau auf dem Fussgängerstreifen übersehen zu haben.
K. S. sagte damals: «Es war dunkel und es regnete. Ich sah die Frau nicht. Ich bremste erst, als es knallte.» Die junge Frau war zuvor an der Haltestelle Neuhofstrasse aus dem Bus gestiegen und war dabei, den durch eine Verkehrsinsel unterteilten Fussgängerstreifen Richtung Schloss zu überqueren, als sie vom Fahrzeug des Beschuldigten erfasst wurde.
Familie zog wegen Unfall weg
Das von der Staatsanwaltschaft in Auftrag gegebene verkehrstechnische Gutachten kommt zum Schluss, dass der Beschuldigte die Fussgängerin mit einer Geschwindigkeit von mindestens 58 km/h erfasst hatte. Neben fahrlässiger Tötung wirft die Staatsanwaltschaft Lenzburg-Aarau dem Beschuldigten Führen eines Motorfahrzeuges trotz Entzugs des Führerausweises sowie Missachtung der signalisierten Höchstgeschwindigkeit vor. Die Anklage ist am Bezirksgericht Lenzburg hängig.
Die Familie von Elida zog laut ihrem Cousin nach dem Unfall von Lenzburg weg – sie wohnten unweit der Unfallstelle, ertrugen es nicht, jeden Tag an den Unfall erinnert zu werden. Laut dem Cousin leiden sich immer noch sehr. «Bei jedem Schreiben vom Anwalt fühlen sie sich, als wäre der Unfall vor zehn Minuten passiert. Sie vermissen Elida sehr.»
* Name der Red. bekannt