«Eisbär schmeckt nach Rindfleisch»

Ein Gespräch mit Fotograf Markus Bühler-Rasom über seine Liebe zur Kälte, das Leben der Ureinwohner Nordgrönlands und die richtige Zubereitung von Eisbärenfleisch
Publiziert: 27.10.2007 um 16:59 Uhr
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Aktualisiert: 07.09.2018 um 10:40 Uhr
Text: Gabrielle Kleinert
SonntagsBlick Magazin: Frieren Sie gerne, Herr Bühler-Rasom?Markus Bühler-Rasom: Ich schwitze nicht gerne. Und gegen Kälte kann ich mich viel besser schützen als gegen Hitze. Aber irgendwann ist Kälte doch nicht mehr zum Aushalten, oder?Natürlich. Auch ich komme immer wieder an einen Punkt, an dem ich denke: So, jetzt ist fertig. Das überlebe ich nicht. Bei wie vielen Minusgraden ist es so weit?Es fängt bei etwa minus 30 Grad an. Einfach dann, wenn ich meine Füsse überhaupt nicht mehr spüre. Dann wird es richtig schmerzhaft.Schrecklich. Und warum gehen Sie trotzdem immer wieder zurück in die Eiswelt?Ich bin einfach fasziniert vom Leben in der Arktis und den riesigen Eiswüsten. Nichts und niemand lenkt mich in dieser Landschaft ab. Kein Baum, kein Haus, keine Strasse. Meine Gedanken sind so frei wie nirgendwo sonst. Darauf kann ich nicht mehr verzichten. Und natürlich auch nicht auf meine Freunde dort oben, die Inuit. Ein zäher Volksstamm.Sie meinen die Eskimo?Eskimo sagt heute keiner mehr, das Wort bedeutet übersetzt «Rohfleischesser» und ist politisch nicht korrekt. Inuit heisst «Mensch». Und so wollen die Einheimischen genannt werden.Grönland ist die grösste Insel der Erde mit rund 52-mal mehr Fläche als die Schweiz. Nur 15 Prozent dieses Gebiets sind eisfrei. Die Bevölkerungszahl ist dementsprechend niedrig: Sie liegt gerade mal bei 56 900 Einwohnern – die meisten davon sind Inuit, Ureinwohner und direkte Nachfahren der vor 4000 Jahren über die Beringstrasse und Nordamerika eingewanderten Nordasiaten. Der Süden Grönlands ist am stärksten besiedelt, dort liegt auch die Hauptstadt des Landes: Nuuk. Im Norden, in den weiten Eiswüsten, gibt es nur wenige Siedlungen; die liegen vor allem an den Küsten und werden von Jägern bewohnt. Es ist ein hartes Leben inmitten von Eisbergen, Schnee und Packeis. Während der Winterschneestürme können die Menschen manchmal tagelang ihre Häuser nicht verlassen.Haben Sie ein eigenes Iglu, Herr Bühler-Rasom?Das wäre schön. Aber die Inuit bewohnen kleine Holzhäuser oder Baracken. Bei meiner ersten Reise wurde ich bei einer einheimischen Familie einquartiert. Und dort wohne ich noch heute, wenn ich wieder einmal zu Besuch bin. Das Oberhaupt, Simon Eliassen, ist inzwischen ein guter Freund von mir. Er ist der beste Bärenjäger Grönlands. Eisbären sind vom Aussterben bedroht.Für die Inuit ist der Eisbär überlebensnotwendig – ohne Eisbär kein Leben. Der Inuit braucht alles von dem Tier, hinterlässt keine Abfälle. Das Fleisch isst er. Aus den Zähnen und Krallen macht er Werkzeuge oder Schmuck. Und das Fell schützt vor Kälte und Wasser besser als jede chemische Faser. Ich selbst trage auch nur Eisbärenfell, wenn ich in Grönland bin. Haben Sie etwa auch schon selbst einen Eisbären erlegt?Das würde ich nie tun! Aber ich fotografiere das Leben der Inuit, und da gehört die Eisbärenjagd nun mal dazu. Ich war letztes Jahr dabei, als ein Tier gejagt wurde – ein faszinierendes Erlebnis. Es ist nämlich schwer, einen Bären zu finden – die Tiere sind gut getarnt und legen riesige Strecken zurück. Nur ein guter Jäger spürt einen Eisbären auf. Es ist ein anstrengendes Abenteuer.War das Bärenfleisch lecker?Eigentlich schmeckt es nach Rindfleisch, ist aber viel fetthaltiger. Es hält den Körper über Stunden warm, und ohne dieses Fleisch hätte ich in der Kälte nicht überlebt. Ich habe zu Beginn meiner Reisen einmal einen Teller Spaghetti gegessen und bin danach hinaus ins Eis. Nach einer halben Stunde war mir schon bitterkalt und ich hatte keine Energiereserven mehr. Gibt es ein spezielles Rezept à la Eisbär? Das Fleisch muss sehr lange gekocht werden, wie Siedfleisch. Mindestens drei Stunden. Der Eisbär steht am Ende der Nahrungskette und sein Fleisch enthält ziemlich viele Parasiten. Und womit serviert man Eisbärensteak?Mit Eisbärensteak. Es gibt nichts dazu.In Nordgrönland leben viele der Raubtiere. Noch. Ihren Artgenossen in Nordamerika geht es bedeutend schlechter – ihnen schmilzt das Eis zurzeit unter den Tatzen weg. Doch auch die Eisbären im Norden Grönlands blicken einer unsicheren Zukunft entgegen: Die Eisdecke der Insel schmilzt heute massiv schneller als noch in den Vorjahren, seit 2004 um jährlich 240 Quadratkilometer. Klimaforscher haben ausgerechnet, dass der Wasserstand weltweit um sechs bis sieben Meter steigen würde, wenn das Inlandeis komplett wegschmilzt. Noch ist dieses Szenario weit weg. Aber die Auswirkungen auf Mensch und Tier, so warnen die Experten, sind schon heute verheerend.Sprechen Sie mit den Inuit über die Klimaveränderung? Vor ein paar Tagen habe ich mit meinem Freund Simon Eliassen telefoniert. Ende Oktober sollten die Eisschollen längst zu einer dicken, festen Eisfläche zusammengewachsen sein. Er hat mir aber erzählt, dass noch keine Eisdecke in Sicht ist. Es sei zu warm. Das sind tragische Neuigkeiten.Welche Auswirkungen haben sie auf das Leben des Jägers?Das ganze Leben verändert sich. Manchmal muss der Inuit wochenlang mit den Huskys durch das Eis ziehen, bis er Beute entdeckt. Die Bären ziehen immer weiter weg. Und Seehunde gibt es auch immer weniger. Sterben die etwa auch aus?Ohne Eis bleiben die Seehunde weg. Die Tiere brauchen das Eis, um sich darauf auszuruhen und ihre Jungen zur Welt zu bringen. Wenn sich keine Eisschollen zu einer Fläche zusammenschliessen, können sie dies nicht tun. Sie sind aber das Grundnahrungsmittel der Eisbären – und der Inuit. Und wenn die Erwärmung in diesem Masse weitergeht wie bisher?Dann gibt es die Kultur der Inuit nicht mehr lange.
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