Doppelmord in Muotathal — Überlebende Schwester:
«Ich hörte die Todesschreie meines Bruders»

Ein 15-jähriger Bub wird zum Mörder. Mit einem Küchenmesser ersticht er seinen zwei Jahre jüngeren Stiefbruder und seine Stiefmutter. Die Bluttat im Muothatal SZ schockt die ganze Schweiz.
Publiziert: 13.04.2008 um 23:30 Uhr
|
Aktualisiert: 30.09.2018 um 15:37 Uhr
Von Niklaus Wächter und Karin Baltisberger

Der 13-Jährige vor der Dorf-Konditorei blickt ernst. In der Familie seiner Schulkollegin Sybille geschah am Wochenende ein unfassbares Drama: Sybilles Stiefbruder Michael erstach seinen Stiefbruder und seine Stiefmutter.

«Ich habe Sybille geschrieben, ob sie am Montag wieder zur Schule komme», sagt der 13-Jährige. «Sie antwortete, dass sie komme. Und sie schrieb auch, es stimme nicht, dass Michael seine Stiefmutter und seinen Stiefbruder Pascal im Schlaf erstochen habe, wie überall berichtet wird.»

Sie habe Pascal schreien hören. Als Familienmitglieder in sein Zimmer stürmten, sei er schon tot gewesen. Die Mutter habe versucht, Michael das Messer wegzunehmen. Da habe er auch sie niedergestochen.

Zu dieser Version sagt der Schwyzer Kripochef Stephan Grieder (43): «Gemäss dem bisherigen Stand der Ermittlungen wurden alle drei Opfer im Schlaf überrascht.» Allerdings könne sich dieser Ermittlungs- stand jederzeit ändern.

Sicher ist bis jetzt: Die Messerattacke des 15-jährigen Michael um Mitternacht auf den Samstag kostete seine Stiefmutter Irene (39) und seinen Stiefbruder Pascal (13) das Leben. Sein Vater kam mit leichten Verletzungen davon.

Die Familie von Stefan R. Seine drei eigenen Kinder Bianca (14) und die Zwillinge Anja und Michael (15) stammen aus einer früheren Ehe mit einer Jugoslawin. 1998 wurde die Ehe geschieden. Mit ihrer Mutter haben die drei Kinder offenbar keinen Kontakt mehr.

«Von ihr hat Michael fast nie erzählt. Er hat nur einmal erwähnt, dass sie aus dem Balkan stamme», sagt sein ehemaliger bester Freund.

Nach der Trennung lernt der alleinerziehende Vater die kinderlose Muotathalerin Monika F. kennen. Und zügelt mit ihr ein halbes Jahr später von Rheinfelden BL ins Muotatal. Dort – zwischen Ried und dem Hauptort Muotathal – ziehen sie ins Elternhaus von Monika F. Im alten dreistöckigen Holzhaus ist genug Platz für alle.
Doch nach zwei Jahren kommt es erneut zur Trennung. Monika F. zieht aus und zu einem neuen Partner nach Muotathal.

Der Lastwagenchauffeur bleibt mit seinen drei Kindern. Die Eltern von Monika F. kümmern sich wie Grosseltern um die drei Kinder. Schon bald findet der Vater eine neue Partnerin – er heiratet die Schweizerin Irene. Sie hat ebenfalls Kinder: Sibylle und Pascal, beide 13.

Fortan leben die fünf Kinder aus zwei Ehen mit den zwei
Eltern und den Eltern der Ex-Freundin des Vaters unter einem Dach.

Die Patchwork-Familie fällt nicht weiter auf. Der Vater fährt Stückgut, die Mutter arbeitet im Volg in Muotathal. Die Kinder gehen zur Schule. Eine fast normale Familie.
«Ja gut, er hat manchmal die Lehrerin genervt. Und trug zuweilen ein Armband mit Nieten. Aber er war nicht wirklich auffällig. Und auch nicht gewalttätig», berichten Mitschüler von Michael. «Er hatte viele Freunde, war kein Einzelgänger», sagt einer seiner Freunde. In letzter Zeit habe Michael viel Zeit vor dem Computer verbracht.

Eine Schulkameradin sagt sogar: «Er war total süchtig nach Gewalt-Games.» Der Leiter der Jugendriege bestätigt: «Er hatte komische Ideen und immer nur den Computer im Kopf.»

«Sibylle glaubt, dass ihn Eifersucht zur Tat trieb. Pascal soll das Lieblingskind der Familie gewesen sein», sagt der 13-Jährige, der nach dem Drama Kontakt mit Michaels Stiefschwester aufnahm.

Vor allem die älteren Muotathaler sprechen ungern über das Familiendrama. «Das sind keine Muotathaler. Sondern Zugezogene», betonen sie. Niemand habe mit der zusammengewürfelten Familie Kontakt gehabt. Auch Gemeindepräsident Ernst Betschart kennt sie nicht. «Und ich kenne alle Muotathaler», sagt er. Heute Montag berät der Gemeinderat darüber, wie man der Familie helfen will.

Um den Täter kümmern sich Psychologen und die Polizei. Er soll im Kanton Bern untergebracht sein. «Er ist angesichts seiner psychischen Belastung unter polizeilicher Aufsicht im Spital», erklärt Kripo-Chef Grieder dazu.

Noch weiss niemand, was Michael dazu trieb, seine Mutter und seinen Bruder zu töten.

Tötungs-Fantasien haben viele
Warum wird ein 15-Jähriger zum Mörder?
Psychologe Allan Guggenbühl (Bild) sucht nach Erklärungen.

BLICK: Herr Guggenbühl, was treibt einen 15-Jährigen zu solch einer Tat?
Allan Guggenbühl: Es ist sicher ein aussergewöhnlicher Fall. Dafür kann es mehrere Gründe geben. Jeder Mensch hat Aggressionen in sich. Viele auch Tötungsfantasien. Aber 99 Prozent setzen diese nicht um. Da spielt die persönliche Situation eine wichtige Rolle.

Die Polizei hält es für möglich, dass der Täter seine Opfer im Schlaf überraschte. Lässt das Rückschlüsse zu?
Es ist schwer zu sagen, warum er es auf diese Weise getan haben könnte. Vielleicht war es eine taktische Überlegung. Es scheint keine Affekthandlung gewesen zu sein, höchstens eine zeitlich verschobene. Vielleicht ist er aber auch psychotisch.

Die Tatwaffe ist ein Küchenmesser.
Meistens wird das zur Tatwaffe, was gerade zur Verfügung steht. Wenn er eine Pistole gehabt hätte, hätte er wohl diese genommen.

Spielt die Pubertät bei einer solchen Tat eine Rolle?
In der Pubertät sind Jugendliche allgemein aggressiver und man muss dies sicher miteinbeziehen. Doch es kann nicht der Grund für die Tat gewesen sein.
Warum wird ein 15-Jähriger zum Mörder?
Psychologe Allan Guggenbühl (Bild) sucht nach Erklärungen.

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Die Polizei hält es für möglich, dass der Täter seine Opfer im Schlaf überraschte. Lässt das Rückschlüsse zu?
Es ist schwer zu sagen, warum er es auf diese Weise getan haben könnte. Vielleicht war es eine taktische Überlegung. Es scheint keine Affekthandlung gewesen zu sein, höchstens eine zeitlich verschobene. Vielleicht ist er aber auch psychotisch.

Die Tatwaffe ist ein Küchenmesser.
Meistens wird das zur Tatwaffe, was gerade zur Verfügung steht. Wenn er eine Pistole gehabt hätte, hätte er wohl diese genommen.

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Eher «Massnahme» als Gefängnis
Für Jugendliche, die im Alter zwischen 15 und 16 Jahren eine Straftat begehen, können gemäss dem Jugendstrafgesetz erzieherische oder therapeutische Massnahmen und/oder eine Freiheitsstrafe von bis zu einem Jahr angeordnet werden. Für den 15-jährigen mutmasslichen Täter im Familiendrama von Muotathal SZ vom Wochenende stehe wohl eine Massnahme im Vordergrund, sagte der Zürcher Strafrechtler Daniel Jositsch. Die Massnahme dürfte nach seiner Einschätzung «eher in geschlossenem Rahmen» stattfinden. Voraussetzung für eine Massnahme ist laut Jositsch, dass der Jugendliche entsprechende Defizite hat. Freiheitsstrafen von bis zu einem Jahr Dauer könnten für 15-Jährige dagegen nur verhängt werden, wenn diese zur Tatzeit zurechnungsfähig gewesen seien, sagte Jositsch. (SDA)
Für Jugendliche, die im Alter zwischen 15 und 16 Jahren eine Straftat begehen, können gemäss dem Jugendstrafgesetz erzieherische oder therapeutische Massnahmen und/oder eine Freiheitsstrafe von bis zu einem Jahr angeordnet werden. Für den 15-jährigen mutmasslichen Täter im Familiendrama von Muotathal SZ vom Wochenende stehe wohl eine Massnahme im Vordergrund, sagte der Zürcher Strafrechtler Daniel Jositsch. Die Massnahme dürfte nach seiner Einschätzung «eher in geschlossenem Rahmen» stattfinden. Voraussetzung für eine Massnahme ist laut Jositsch, dass der Jugendliche entsprechende Defizite hat. Freiheitsstrafen von bis zu einem Jahr Dauer könnten für 15-Jährige dagegen nur verhängt werden, wenn diese zur Tatzeit zurechnungsfähig gewesen seien, sagte Jositsch. (SDA)
Immer wieder werden Kinder zu Mördern
Ein 14-Jähriger prügelt im deutschen Wiesenbad in Sachsen auf ein um ein Jahr jüngeres Mädchen ein. «Bis es nicht mehr zappelte und sich rührte», so Polizei und Staatsanwaltschaft. Grund der schrecklichen Tat vor rund zwei Jahren: Streit um einen MP3-Player.

Anfang 2008 ersticht ein 15-Jähriger im deutschen Grevenbroich seine gleichaltrige Freundin. Die Tatwaffe: Ein Küchenmesser mit einer 20 Zentimeter langen Klinge. Den Ermittlern sagt er: «Ich wollte sie umbringen, damit sie kein anderer haben kann.»
Februar 2008: Im US-Staat Maryland erschiesst ein 15-Jähriger seine Eltern und seine beiden 11- und 13-jährigen Brüder. Er habe sich mit dem Vater nicht verstanden.

Im März dieses Jahres erschiesst ein 15-Jähriger aus Arizona seinen Vater. Grund: Wegen schlechten Schulnoten durfte er nicht mehr ins Internet.
Ein 14-Jähriger prügelt im deutschen Wiesenbad in Sachsen auf ein um ein Jahr jüngeres Mädchen ein. «Bis es nicht mehr zappelte und sich rührte», so Polizei und Staatsanwaltschaft. Grund der schrecklichen Tat vor rund zwei Jahren: Streit um einen MP3-Player.

Anfang 2008 ersticht ein 15-Jähriger im deutschen Grevenbroich seine gleichaltrige Freundin. Die Tatwaffe: Ein Küchenmesser mit einer 20 Zentimeter langen Klinge. Den Ermittlern sagt er: «Ich wollte sie umbringen, damit sie kein anderer haben kann.»
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