Die wahre Geschichte der Gilberte de Courgenay
Schätzli der Nation

Gilberte Montavon heisst sie, ist 18 Jahre alt und Wirtstochter im Bahnhofshotel von Courgenay.
Publiziert: 02.02.2014 um 22:14 Uhr
|
Aktualisiert: 07.10.2018 um 13:18 Uhr
1/6
Das Original: Gilberte Montavon (1896–1957) 1944 bei einem Spaziergang.
Foto: KEYSTONE
Von Walter Keller

Das Dörfchen liegt bei Pruntrut im Jura, an der Grenze zu Frankreich. Dorthin entsendet die Armeeführung 1914 viele Soldaten. Sie sollen die Grenzen befestigen. In den Pausen trifft sich das Soldatenvolk bei Gilberte. Die war schon in der Deutschschweiz und kann sich mit den Männern auf Schweizerdeutsch unterhalten.

«Keine Soldatenmutter, eher eine Kameradin, Schwester oder virtuelle Geliebte», so beschreibt sie der Historiker Georg Kreis. Besonders schön soll sie nicht gewesen sein. Dafür schlagfertig, keck, warm, herzlich und den Soldaten gegenüber gar nicht schüchtern. Das zählt mehr als das bisschen Schönheit.

Rund um die Schweiz tobt der Erste Weltkrieg, bei dem rund ­ 17 Millionen Menschen sterben werden. In Courgenay hört Gilberte unter­dessen den Soldaten zu, flickt ein kleines Loch in der Uniform oder tröstet Heimwehgeplagte. Immer weiter verbreitet sich der Ruf der Serviertochter. Auch Hanns In der Gand hört von ihr, der von General Ulrich Wille zum Soldatensänger ernannte Urner Musiker. Er gilt als Komponist des Liedes von der kleinen Gilberte de Courgenay.

Der schweizerdeutsche Ohrwurm mit französischem Refrain wird 1917 zur Hymne der einfachen Soldaten, zum Kitt zwischen den Landesteilen: «C’est la petite Gilberte, Gilbert’ de Courgenay, elle connaît trois cent mille soldats et tous les officiers. C’est la petite Gilberte, Gilbert’ de Courgenay, on la connaît dans toute la Suisse et toute l’armée.» 1941 – wieder ist Krieg und die Grenzen wollen befestigt sein. «Geistige Landesverteidigung» soll den Willen von Armee und Nation stärken. Man erinnert sich an die Wirtstochter aus dem Jura. Die Idee für einen Film über sie entsteht.

Gespielt von der jungen Schauspielerin Anne-Marie Blanc wird die kleine Gilberte zur Kult­figur des nach ihr benannten Streifens, der in der Zeit des Ersten Weltkriegs spielt. Seine Story: 1915 bezieht die Artilleriebatterie 38 in Courgenay Stellung. Weihnachts- und Silvesterurlaub sind gestrichen. Gilbertes Lächeln heitert die Stimmung auf, und sie bereitet ­allen ein unvergessliches Weihnachtsfest. Insgeheim liebt Gil­berte Kanonier Hasler aus Bern. Der aber liebt eine andere. Also verzichtet Gilberte am Ende des Films selbstlos auf Hasler. Als die Soldaten abziehen, steht Gilberte mit Tränen in den Augen am Fenster.

Nur einmal konfrontiert der Film die Schweizer Kinobesucher mit dem Grauen in Europa. Ein Telegramm kündigt an: «Kriegsverwundetenzug unterwegs. Hat kurzen Aufenthalt in Courgenay. Erbitten Zwischenverpflegung. Rotes Kreuz.» Als Gilberte und die Soldaten den Zug betreten, fällt kein Wort. Gilberte und Kanonier Hasler können kaum hinschauen und erkennen: So sieht der Krieg wirklich aus. Keine fröhlichen Soldatenlieder, sondern Tod, Verstümmelung, Amputation und Traumatisierung. Der Film mit seinem Hauch von Hollywood funktioniert heute noch. Wieder sind wir, sagt die politisch rechte Hälfte der Schweiz, von fremden Richtern und Mächten bedroht. Diesmal nicht militärisch, dafür politisch und wirtschaftlich.

«Stimmt nicht», beruhigt der Bundesrat – allerdings in gleich trockenem Ton wie jener der Armeeführung im Ersten Weltkrieg autoritär war. Die Schweiz ist in der Frage der «Überfremdung» in zwei Hälften gespalten. Vielleicht bräuchten wir auch heute eine ­«petite Gilberte»: eine Ikone für Herz und Seele, die die Schweiz zusammenschweisst. Wie müsste sie sein? Wer könnte sie erfinden? Apropos Hollywood: Vielleicht könnte der Bundesrat ja einfach Marc Forster fragen.

C’est la petite Gilberte

By Prunterut im Jura,

da hät en Wirt es Huus.

da luegt es Meitschi alli Stund

dreimaal zum Fenschter uus.

Und fragsch du denn d’Soldate,

wer ächt das Meitschi sei,

so lupft es jedem Schwyzerbueb

sys Herz und au sys Bei.

C’est la petite Gilberte,

Gilbert’ de Courgenay;

Elle connaît trois cent mille soldats

et tous les officiers.

C’est la petite Gilberte

Gilbert’ de Courgenay;

on la connaît dans toute la Suisse

et toute l’armée.

By Prunterut im Jura,

da hät en Wirt es Huus.

da luegt es Meitschi alli Stund

dreimaal zum Fenschter uus.

Und fragsch du denn d’Soldate,

wer ächt das Meitschi sei,

so lupft es jedem Schwyzerbueb

sys Herz und au sys Bei.

C’est la petite Gilberte,

Gilbert’ de Courgenay;

Elle connaît trois cent mille soldats

et tous les officiers.

C’est la petite Gilberte

Gilbert’ de Courgenay;

on la connaît dans toute la Suisse

et toute l’armée.

Fehler gefunden? Jetzt melden
Was sagst du dazu?