Die Panzer-Bräute

Publiziert: 16.08.2007 um 15:04 Uhr
|
Aktualisiert: 07.09.2018 um 10:30 Uhr
Drei Frauen stehen ihren Mann: Alexandra, Jeanine und Sabrina sind bei den Panzertruppen in Thun in die Rekrutenschule eingerückt – freiwillig. Sie schiessen scharf, und kämpfen beinhart um ihre Rolle in der Männerwelt der Militärs. Ein Augenschein bei drei weiblichen Rekruten, die wissen, was sie tun«Als elfjähriges Mädchen sass ich zum ersten Mal in einem Panzer», erzählt Jeanine. «Mein Onkel arbeitete bei der Ruag in Thun. Er hat mir beigebracht, stolz auf die Schweiz zu sein.» So zackig wie die Thurgauerin spricht, so zielstrebig plant sie ihre Karriere: «Ich will Leutnant werden und später in die Militärakademie – wenn es klappt!»Jeanine Maurer, 21, ist Rekrut. In der Panzerstabskompanie in Thun. Sie ist nicht das einzige Mädchen in der Kompanie. Auch Alexandra Müller, 22, und Sabrina Scherer, 19, absolvieren freiwillig die RS. So viele Frauen gab es bei den «Panzern» noch nie.Erste Woche, Kasernenhof. Dunkelgrün ragt das gewaltige Bergdreieck des Niesens in die Morgendämmerung, das Stockhorn ist von Nebelschwaden umhüllt, rosa beleuchten die ersten Sonnenstrahlen die Wolken über den Voralpen. «Zweierkolonne, marsch!», schrill durchschneidet der militärische Befehl die Morgenstille. Es ist 5.30 Uhr. 27 Rekruten des zweiten Zugs der Panzerstabskompanie marschieren in Gleichschritt über den regennassen Asphalt.Mittendrin Rekrut Müller und Rekrut Maurer. Vornamen: Alexandra und Jeanine. Sie tragen Kampfanzug, Béret, Militärschuhe und Waffen – wie die Männer. Auch Liegestützen, 30-km-Marsch, Kampfübungen im Feld machen sie – wie die Männer.Die Zeiten des unbewaffneten weiblichen Hilfsdienstes sind lange vorbei: 1995 wurde der MFD (Militärischer Frauendienst) abgeschafft und die gemischten Rekrutenschulen eingeführt. Seit drei Jahren ist das Schweizer Militär modern: Frauen sind gleichberechtigt, ihnen steht jede Funktion und jeder Grad offen. Ein weiblicher Armeechef und weibliche Gebirgsgrenadiere – das ist unsere Zukunft. Aber: «Soldatin» oder «Rekrutinnen» existieren im Wortschatz der Schweizer Armee nicht. Das VBS hat eine geschlechtsneutrale Bezeichnung ausgetüftelt: «Angehörige der Armee», kurz: «AdA», heissen Soldaten und Rekruten neu.Jeanines Eltern sind stolz, dass ihre Tochter «etwas Rächts» macht. Wenigstens sie. Denn ihr älterer Bruder absolviert Zivildienst: «Er mag das Militär nicht!», erzählt Jeanine. Viel Zeit zum Plaudern hat sie nicht, der Tagesablauf ist straff organisiert: Uniformen fassen, medizinische Kontrollen, Theorie büffeln. Dazwischen wird exerziert: Grüssen, Anmelden, Abmelden, Ruhestellung, Gleichschritt.Der erste Tag: alles neu und vieles komisch: Jeanine kichert in der Achtungsstellung, Alexandra verzieht beim Anmelden «Hauptmann, Rekrut Müller» jedesmal grinsend den Mund.Noch ist korrektes Salutieren Glückssache und die Gradabzeichen ein Rätselraten – und schon erhalten sie ihr wichtigstes Utensil: das Sturmgewehr.Das gute alte Zeughaus, vom VBS in die neudeutsche Wortkreation «Logistik Center» umgetauft, riecht heimelig nach Holz. Mit ernster Miene hält Hauptfeldweibel Rothen – Vorname: Chantal – die riesige Schweizerfahne in die Vertikale. Neben ihr Hauptmann Kübler. Der «Kadi» überreicht den Rekruten ihr Gewehr. 962 Sturmgewehre werden in Thun verteilt, für jeden Soldaten eines.Alexandra ist aufgeregt, hofft, keinen Fehler zu machen. Die junge Frau mit der filigranen Brille und den braunen langen Haaren tritt nach vorne, grüsst, so gut sie kann und nimmt ihr Gewehr entgegen. Kaum hat sie das vier Kilogramm schwere Teil in der Hand, verschwindet ihre Unsicherheit. Die Jungschützin kennt sich mit Gewehren aus.«Wer mich erst seit kurzem kennt, sagt: Spinnst du?! Was, du machst die RS?», erzählt Alexandra, «du bist doch weltoffen und gegen den Krieg!» Sie meint dann: «Das Verrückte ist: Sie haben recht.» Die Badenerin, die als Sekretärin und Detailhandelsangestellte gearbeitet hat, liest in ihrer Freizeit die jüdische Tora, den Koran und Abhandlungen über den Buddhismus. Die RS ist ihr Teenagertraum. Vor vier Jahren meldete sie sich an, im letzten Mai ging sie dann – endlich – an die Aushebung. «Ich hatte zwar plötzlich Zweifel, ob es das Richtige für mich ist», sagt sie. Und würde es aber sicher bereuen, hätte sie es nicht getan. Hat ihr Vater, Berufssoldat, sie fürs Militär überzeugt? Nein, er war überrascht – und zuerst gar nicht erfreut. Er, der das Treiben und die Saufgelage der Soldaten nur zu gut kennt, ermahnte seine Tochter: «Mädchen, trink nicht zu viel! Lass dich nicht mit einem Rekruten ein!»Sorgen machen muss sich der Berufsmilitär jedoch keineswegs. Die Thuner Panzer-RS hat das Verhalten zwischen weiblichen und männlichen AdA nämlich klar geregelt. Im entsprechenden Befehl steht, dass:«zwischen uniformierten AdA während ihrer Dienstzeit kein Liebesverhältnis toleriert wird»,«zwischen weiblichen und männlichen AdA kein Körperkontakt stattfinden darf – ausser bei Fällen von höherer Gewalt»,«keine unschicklichen Ausdrucksweisen getätigt werden sollen».Elf Uhr abends. Vor siebzehn Stunden sind Alexandra und Jeanine im Morgengrauen auf dem Kasernenhof auf und ab marschiert, fahl leuchtet nun das Neonlicht von der hohen Decke des Schlafraums. Die beiden sind zusammen in einem Zimmer untergebracht. Alexandra verarztet ihre Füsse. Sie hat zu kleine Kampfstiefel gekriegt, falsch ausgemessen. Ihr zweites Paar ist grösser, passt. Doch anziehen darf sie diese erst, wenn die Vorgesetzten es gutheissen. Sabrina aus dem anliegenden Zimmer schaut vorbei. «Wie war der Tag? Gut?», fragt sie. «Das ganze Salutieren finde ich noch ein bisschen komisch», meint Alexandra, «und manche Dinge sind nicht ganz logisch.» Das stört Jeanine nicht. Das ist hier einfach so.«Mühsam finde ich, dass man nie weiss, was als Nächstes kommt», sagt Sabrina, «manchmal gelangen die Infos nicht bis zu uns.» Ihre Zimmer befinden sich am hintersten Ende des Korridors, gut separiert von den Unterkünften der Männer.Die gross gewachsene Aargauerin ist gegen den Willen ihrer Liebsten in die RS gegangen. Ihre Freunde versuchten, ihr das Ganze auszureden. Das hat ihr erst recht den Ansporn gegeben. «Das Militär war in meinem Kopf – und ich bin stur.» Nach der RS gehts – vielleicht – zur Polizei.An die weiblichen Rekruten müssen sich auch Soldaten auf dem Thuner Kasernenhof noch gewöhnen. «Immer wieder machen uns Männer mit primitiven Sprüchen an», sagt Sabrina. Sie gaffen, pfeifen, fragen: «Kommst du heute mit mir in den Ausgang?» Das nervt.Frauen in der Armee, das ist nach wie vor eine Seltenheit. Letztes Jahr schlossen 18688 Rekruten die RS ab, davon waren ganze 132 Soldaten weiblich.«Wir brauchen Frauen in der Armee», sagt Wachtmeister Gertsch, «sie bringen Vorteile.» Vor allem im Kader. Denn: Männer gehorchen besser, wenn eine Frau befiehlt. Und sie benehmen sich besser: bei weiblichen Vorgesetzten pöbeln sie nicht, halten ihre freche Klappe. Hat es Frauen im Zug, sind auch die Rekruten anständiger und hilfsbereiter.«Frauen haben meistens mehr Biss», sagt Gertsch, «die körperliche Unterlegenheit gleichen sie mit Intelligenz und eisernem Willen aus.»Hauptfeldweibel Chantal Rothen ist eine dieser Frauen. «Frauen dürfen einfach noch weniger jammern», sagt sie, «sie sind schliesslich freiwillig hier.» Extrawürste für das weibliche Geschlecht gibt es nicht. Wer sich schminken will, soll dies mit Tarnfarbe tun.Eine Woche später, Thuner Allmend. Es ist Abend. Statt Nachtessen in der überfüllten Kantine, wo die Luft heiss und stickig ist und es penetrant nach Bouillon riecht, gibt es die erste Nachtübung im Gelände.Erdwälle, Betonmäuerchen, zwei Schützengräben, eine dichte Hecke, dahinter eine weite Wiese. Die Wolken hängen tief und düster, kalter Wind, es regnet. Hier probt das Militär den Ernstfall.«Der Feind kommt aus dem Norden», erklärt der Adjutant, «es ist ein terroristischer Angriff in der Nacht.» «Endlich läuft etwas!», freut sich Alexandra. Ihr Rücken schmerzt. Egal. Sie hat am Wochenende zu wenig geschlafen, Party mit Kollegen. Egal. Sie hockt mit ihrer Truppe im Schützengraben, Vollmontur, grün-braun-schwarze Tarnfarbe im Gesicht. Es ist eng und kalt. Die Spaziergänger schauen amüsiert zu, wie die Rekruten aus den Schützengräben krabbeln, aus den Hecken hervorstechen und über das nasse Gras robben, das Sturmgewehr mit beiden Armen vor sich in die Luft gestreckt. Später, beim Patrouillenlauf quer über die Allmend hat es keine Zuschauer mehr. Es ist dunkel, kalt und bisig. Die Ausrüstung ist schwer. Alexandras Truppe motiviert sich mit spontan erfundenen Schunkelliedern. Trotz aller Kameradschaft, sie schaffen es nicht unter die Besten. Es ist finstere Nacht, als sie endlich müde und erschöpft zurück in die Kaserne kommen. Was Jeanine und Alexandra noch nicht wissen: Schon vier Stunden später werden sie brutal aus dem Schlaf gerissen. Nach der Nachtübung gibt es zur Überraschung um 4.30 Uhr Frühsport.
Fehler gefunden? Jetzt melden