«Dicke sind am Dicksein selber schuld»

Publiziert: 19.05.2007 um 21:39 Uhr
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Aktualisiert: 06.09.2018 um 19:36 Uhr
Von Peter Röthlisberger
CVP-Nationalrätin Ruth Humbel Näf (49) sagt allen Übergewichtigen den Kampf an. Ihre Vorwürfe: Dicke handeln fahrlässig, unsolidarisch und disziplinlos. Ihre Forderung: Sie sollen mehr bezahlen und endlich Sport treiben.

Übergewicht ist wahrlich nicht ihr Problem. Ruth Humbel Näf, fünffache Schweizer Meisterin im Orientierungslauf, schlank, wie ihre Sportlerkarriere sie schuf, verlangt nun die selbe Disziplin und Genügsamkeit von Dicken. Spuren diese nicht, sollen sie wenigstens blechen.

«Wenn sie ihre schlechten Gewohnheiten nicht ändern, müssen sie für ihren entsprechend höheren Medikamentenbedarf einen höheren Selbstbehalt zahlen», fordert die CVP-Nationalrätin im neusten Magazin der Krankenkasse CSS. Auch übergewichtige Bewegungsmuffel sollen leben dürfen wie sie möchten, jedoch nicht die Folgekosten auf die Gesellschaft abwälzen.

Will Humbel Dicke diskriminieren? Die traditionelle Gleichberechtigung unter den Grundversicherten in Frage stellen? Zumal neuste Studien zeigen (siehe Interview mit dem Übergewichtsspezialisten Fritz Horber auf Seite 5), dass mindestens ein Viertel aller Dicken völlig unschuldig durch ihr Erbgut aufs Dicksein programmiert sind?

Humbel: «Man sagt damit, dass sie nichts dafür können. Aber die Menschen kommen nicht als Süchtige zur Welt, sondern werden erst nach einer längeren Phase süchtig, während der sie ihre Eigenverantwortung nicht wahrnehmen und fahrlässig handeln. Es ist wie bei den Kettenrauchern: Soll die soziale Grundversicherung sogar die vierte Herzoperation noch voll bezahlen, wenn einer unvermindert weiterraucht? Für die Zusatzversicherungen bezahlen schliesslich Frauen oder ältere Menschen heute schon höhere Prämien. Es wäre mindestens so gerecht, als Kriterium auch den Body-Mass-Index zu benutzen.»

Und das sagen die grossen Krankenkassen zu Ruth Humbels Vorschlag:

Christian Beusch, Sprecher der Visana: «Wer sich gesundheitlich wohlverhält, soll belohnt werden. Juristisch ist dies leider nicht möglich.»

Yves Seydoux, Groupe Mutuel: «Ich glaube nicht, dass eine Bestrafung der richtige Weg ist. Man sollte Übergewicht eher mit Prävention in den Griff kriegen. Am besten bereits im Kindesalter, da sind die Eltern gefragt.»

Rob Hartmans, Helsana: «Wir sind gegen eine Bestrafung, machen uns aber Gedanken darüber, gesundheitsbewusstes Verhalten zu honorieren.»

Beinahe unbestritten: Schlanke Menschen, die sich viel bewegen, müssen seltener zum Arzt und ins Spital, benötigen weniger Medikamente, erleiden seltener Herzinfarkte, Krebs oder Arthritis. Und leben im Schnitt zehn Jahre länger.

Ruth Humbel fordert deshalb von den Dicken, dass sie sich mehr bewegen und Salat statt Pommes frites essen. Kinder sollen im Umkreis von zwei Kilometern um die Schule keine Motorfahrzeuge benutzen dürfen. Werbung für Hamburger und Süssigkeiten will Humbel in der Umgebung von Schulen wie im Umfeld von TV-Kindersendungen verbieten.

Lebensmittel sollen mit roten, gelben und grünen Punkten gekennzeichnet werden – gemäss ihrem Fettgehalt.
Wie aber lässt sich kontrollieren, ob Übergewichtige genügend Bewegung haben?

Humbel: «Mit Belastungstests könnten Ärzte das feststellen. Nur fehlen den Kassen leider schlicht die Informationen über ihre Mitglieder. Die Ärzte teilen ihnen nicht einmal die Diagnosen der Patienten mit.»

Argumentiert die Juristin Humbel aus innerer Überzeugung gegen Dicke? Nicht nur. Sie ist auch Direktionsmitglied des Krankenkassenverbandes Santésuisse und fährt in dieser Funktion auch gleich noch den Ärzten an den Karren: «Vor allem Hausärzte müssen übergewichtigen Eltern und ihren Kindern die Folgen drastisch schildern und sie zu einer Veränderung ihres Verhaltens motivieren. Aber die Ärzte werden für solche Gespräche schlecht bezahlt. Im Gegenteil: Sie verdienen an übergewichtigen Familien, die sich wenig bewegen, viel mehr als an solchen, die gesund essen und ihren Puls regelmässig in die Höhe schnellen lassen.»

In der nationalrätlichen Gesundheitskommission, der Humbel angehört, stiessen ihre Statemens bisher auf taube Ohren: «Wir haben bisher tatsächlich keine präventiven gesetzlichen Massnahmen diskutiert, um diese Epidemie zu stoppen.»

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