Der Überfall am 1. September 1997 dauert nur ein paar Minuten und geht in die Kriminalgeschichte als Jahrhundert-Postraub ein. Fünf unmaskierte Männer fahren bei der Post vor, geben sich als Telecom-Mitarbeiter aus und fahren in den Posthof. Hinten im Fiat Fiorino liegt Zoran, 20 Jahre alt, ein kleiner, etwas gedrungener Mann. Er ist im normalen Leben ein Gelegenheitsarbeiter, doch heute ist er ein gefährlicher Gangster. Er träumt vom grossen Geld und liegt an diesem Tag unter einer Decke versteckt. Es ist heiss, er schwitzt, und er ist ziemlich aufgeregt. Heute soll dieser Traum in Erfüllung gehen, doch Zoran wird müde in der Hitze des Autos, immer müder.
«Ja, ja, ich bin derjenige, der im Fluchtauto eingeschlafen ist. Es hat so lange gedauert, bis wir reinfahren konnten», erinnert sich der heute 30-jährige Zoran und nimmt einen Schluck Eistee in einer Autobahnraststätte südlich von Belgrad. Es ist 37 Grad im Schatten, auch heute schwitzt er und scheint müde. «Ich hab immer Comic-Filme im Fernsehen geschaut, da gab es einen Supertyp, der konnte einfach alles, hatte für jedes Problem eine Lösung. So ein Held wollte ich auch sein.»
Die Tat ist zwar minutiös geplant, aber die Männer sind keine Profis und machen viele Fehler. So verliert die Bande beispielsweise bei der Flucht aus der Post die Fotos vom Tatort, welche der Postangestellte Marcello S.* machte.
Im Verhörprotokoll der Polizei ist nachzulesen, dass Zoran und sein Kumpel Dieter S.* bereits am Morgen früh verschlafen hatten. Der Chef der Bande musste die beiden um sieben Uhr telefonisch aus dem Bett scheuchen. Die Räuber bedrohen die Beamten mit Faustfeuerwaffen und einer Kalaschnikow und laden die Kisten ein. Rund 70 Millionen Schweizer Franken stehen da in Kisten verpackt, bereit für den Transport zur Nationalbank. «Leider haben nicht alle Kisten in den Fiat Fiorino gepasst», ärgert sich Zoran noch heute über den Dilettantismus der Aktion und grinst beim Gedanken an den Werbespot einer Autofirma, die kurz nach dem Raub mit dem Slogan warb: «Unsere Autos sind gross genug – auch für den Fraumünster-Postraub.»
Im Jahr 2000 werden alle Täter zu Zuchthausstrafen zwischen zwei und sechseinhalb Jahren verurteilt. Dass die Waffen mit scharfer Munition geladen sind, kann den Tätern nie nachgewiesen werden. Entsprechend moderat fallen die Gefängnisstrafen aus. Die Höchststrafe erhält der ehemalige Postangestellte Marcello S. Er ist der Mann, der die monatlichen Geldtransporte bei der Post beobachtet, die Sicherheitslücken gekannt und die Bande über einen Bekannten für den Raub angeheuert hat. Marcello S. bereut seine Tat. Er schrieb der Post einen Entschuldigungsbrief. Zoran hat das nicht gemacht. Er denkt häufig nur an sich. Zur Tatzeit ist er 20 Jahre alt und bereits zweifacher Vater. Er hat eine zweijährige Tochter und einen zwei Wochen alten Buben. Doch das Baby hat er zu diesem Zeitpunkt noch nicht gesehen. Er verlässt seine im neunten Monat schwangere Frau und die Tochter zwei Wochen vor der Tat ohne ein Wort des Abschieds, um sich mit den Kollegen in einem Hotel auf den Coup vorzubereiten.
«Ein liebenswertes Schlitzohr»
Seine Kindheit war nicht glücklich. Weil er keine Sekunde stillsitzen konnte, hatte ihn seine Mutter manchmal an ein Stuhlbein gebunden, um Ruhe zu haben. Seine Eltern trennten sich, als er zwei Jahre alt war, der Vater fand Arbeit in der Schweiz und die Mutter verschwand nach Italien, wo sie einige Jahre später unter mysteriösen Umständen zu Tode kam. «Sie wurde umgebracht», ist sich Zoran sicher. Fortan kümmerten sich die Grosseltern um den Jungen. Doch je älter er wird, desto weniger fühlt sich die Grossmutter dem Buben gewachsen. Sie schickt ihn zum Vater in die Schweiz. Die beiden kannten sich kaum, es kam häufig zu Streit, Zoran rannte weg und landete in einer Notschlafstelle für Kinder. Sein damaliger Beistand erinnert sich: «Er wollte Profifussballer werden, das hat er mir von Anfang an klargemacht. Daraus ist jedoch nichts geworden, weil seine Ideen immer grösser waren als seine Taten.» Ein «liebenswertes Schlitzohr» sei er gewesen, so der Beistand. Klug, aber ohne Ausdauer.
Unmittelbar nach der Tat flüchtet er im Auto mit seinem Kollegen Dieter S. nach Spanien. Zusammen kaufen sie eine Villa. Während seine Frau zu Hause die zweijährige Tochter aufzieht und seinen Sohn zur Welt gebracht hat, geniesst Zoran das Leben in Saus und Braus, kauft sich teuren Schmuck, besucht mit Freunden edle Bars und prahlt, was das Zeug hält. Er ist jetzt reich und frei. Doch die Party dauert nur gerade drei Wochen. Zu viele Fehler sind während des Postraubs passiert. Die Fingerabdrücke auf den Fotos und ein grosser Kreis von «Kollegen», die vom Überfall wussten und teils gegen Belohnung mit der Polizei sprachen, führen relativ schnell zu den Tätern. Über hundert Beamte sind in die Fahndung involviert. Nach einer Woche sind bereits mehrere Verdächtige in Haft und rund 21 Millionen Franken aus der Beute sichergestellt.
Die Frau erfährt am TV vom misslungenen Coup
Am 27. September, vier Wochen nach dem Postraub, wird Zoran in Spanien verhaftet. Sein Hintermann gibt der Polizei den Tipp, dass Zoran sich nach Gibraltar absetzen will. Deshalb stehen auch schon die Journalisten mit den TV-Kameras Spalier, als Zoran abgeführt wird. Seine Frau sitzt derweil zu Hause in der Schweiz und erfährt am Fernsehen von den Aktionen ihres Mannes. Sie kann es nicht fassen. In Zorans Koffer findet die spanische Polizei 1,3 Millionen Franken aus dem Postraub. Den Rest seines Beuteanteils, beteuert Zoran, habe er einem Hintermann übergeben. Dieser habe das Geld auf Nimmerwiedersehen verschwinden lassen. Zwei Jahre lang sitzt Zoran in Spanien im Gefängnis. Dann wird er an die Schweiz ausgeliefert. Hier steckt man ihn in die Arbeitserziehungsanstalt, in der Hoffnung, dass er sein Leben ändert. Doch Zoran will nicht sein Leben ändern, sondern in Spanien das Geld holen, das ihm seiner Meinung nach zusteht. Er büxt aus der Schweizer Anstalt aus und setzt sich nach Spanien ab. «Ich wollte den Rest der Beute von meinem Hintermann zurückhaben», versucht er sich zu rechtfertigen. Unverrichteter Dinge reist er in die Schweiz zurück, stellt sich und muss nochmals vier Monate hinter Gitter. «Als ich entlassen wurde, haben mir die Behörden gesagt, ich sei in der Schweiz nicht mehr erwünscht». Es klingt, als sei er darüber erstaunt.
Dann eben Spanien. Ein tolles Leben erwarte sie dort, erzählt er seiner Frau und den beiden gemeinsamen Kindern. Doch die Realität sieht anders aus. Das junge Paar hat sich nicht viel zu sagen. Die Stimmung ist schlecht. Im Hafen von Marbella schaut sich Zoran die teuren Yachten an, versucht es mit Glücksspiel und kleinen «Geschäften». Noch immer träumt er vom grossen Geld. Er schlägt sich mit Gelegenheitsjobs durch und versucht erneut, an den Rest der Beute zu kommen. «Ich weiss, dass die restlichen Millionen in verschiedene spanische Immobilien investiert wurden, und sie sind jetzt für die Schweiz und für mich auf ewig verloren.» Auch die anderen Täter geben offenbar namhafte Teile ihrer Postraubbeute an diverse Personen weiter. Diese sollen die Gelder aufbewahren, verstecken oder ins Ausland verschieben. Total laufen 61 Nebenverfahren wegen Geldwäscherei oder Hehlerei. Zoran vertraut den Falschen und wird seinerseits betrogen.
Mit gefälschtem Pass reist er 2003 in die Schweiz. Er will «ein bizeli Geld abholen», das er nach dem Raub einem Kollegen zum Aufbewahren gegeben hat. «Das war meine kleine Altersvorsorge», rechtfertigt er sich. Doch der Kollege will davon nichts wissen und verpfeift Zoran stattdessen bei der Polizei. Sofort landet er wieder im Gefängnis und wird nach ein paar Tagen an die Grenze gestellt. Er entscheidet sich für Serbien. Im Sommer 2003 reist er in sein Heimatland. Ohne Frau und ohne Kinder.
Heute zimmert er Holzkistchen für den Früchteexport
Irgendwo im Süden Serbiens, ein kleines Dorf, Löcher in den Strassen, nicht sehr dicht besiedelt, viel Wald. Am Rand des Dorfes das ehemalige Haus des Grossvaters.
Hier hat Zoran sich sein Reich geschaffen. Ein Wohnhaus und drei Nebengebäude. Zwei Hunde bewachen das Areal mit dem grossen Tor. «Ich werde in den nächsten Wochen noch eine Mauer bauen, ich will nicht, dass alle immer reinschauen und sehen, was ich mache.» Neben dem Wohnhaus wächst ein kleiner Weinberg. Er gehört Zorans Vater. «Ich ernte die Trauben und mache Wein daraus für meine Familie und für die Arbeiter», sagt Zoran und zeigt stolz auf die Weinfässer. «Eigenhändig gemacht», sagt er, «auch den Schnaps.» Unweit gedeihen Obstbaum- und Sauerkirschenplantagen. «Das sind die Chriesi für die Schwarzwälder Torten.» Sein Geschäft – die Produktion von Holzkistchen für den Früchteexport – laufe zum Glück gut und gebe viel Arbeit für seine Kundschaft aus Serbien, Italien und Spanien. Zusammen mit seinen Arbeitern fällt er Bäume in der Umgebung und verarbeitet sie eigenhändig zu Kisten. «Hier kann ich mir sieben Arbeiter leisten, jeder verdient 200 Euro im Monat. In der Schweiz könnte ich damit höchstens einen Arbeiter bezahlen.» Und wer hat all die Maschinen gekauft? Und wer kam für das Startkapital auf? «Mein Vater hat mir geholfen», sagt Zoran. Es seien ja nur etwa 30 000 Euro an Investitionen nötig gewesen. «Kein Geld vom Postraub, Ehrenwort», meint er mit Nachdruck. «Ich bin doch ein anständiger Mensch.»
Manchmal wünscht er sich zurück ins Gefängnis
Seine neue Frau ist 19 Jahre alt, macht den Papierkram und kümmert sich um die gemeinsame, fünfzehn Monate alte Tochter. Sie sagt: «Er ist ein bisschen dick geworden.» Ein wenig erinnert er an die Panzerknackerfigur von Walt Disney. In Arbeitgeberpose schreitet er über sein Areal und plaudert. «In Serbien bekommt man für Geld alles.» Alles? Ja, zum Beispiel einen neuen Pass mit einem anderen Nachnamen. Praktisch für einen Neuanfang. «Einen Neustart als Respektsperson», betont er. «Mein Übername hier ist ‹der Pöstler›». Ich bin der Pöstler, der kein Geld bringt, sondern Geld holt.»
Na ja. Tatsache ist, dass Zoran von der Post nicht loskommt. Ein eigenes Label mit dem Namen «Postmaster» will er von Serbien aus vermarkten. Er nickt und erklärt seinen Plan. «Ich suche jetzt einen Partner, der mit mir in dieses Geschäft einsteigt. Jemanden, der die T-Shirts und
Trainingsanzüge mit dem Schriftzug «Postmaster» vertreibt. Am liebsten ein Geschäftsmann aus der Schweiz. Ich hoffe, die Post ist nicht beleidigt.» Manchmal habe er schon Heimweh nach der Schweiz, sagt er und schaut traurig mit seinen grossen braunen Augen. Aber später, so in zehn Jahren, wolle er dann nach Australien und dort ein Restaurant eröffnen. «Einfach in Ruhe leben. Das ist es, was ich möchte.» Noch nie habe er so viel gearbeitet in seinem Leben wie jetzt. «Ich stehe um sechs Uhr auf und gehe um Mitternacht ins Bett. Dazwischen immer Arbeit.»
Jetzt sei das Geld selbst verdient, und das sei ein gutes Gefühl. Manchmal wünsche er sich allerdings einen Monat Bezirksgefängnis Affoltern zurück, sagt er, dort sei es so bequem gewesen. «Das Essen wird dreimal am Tag serviert, man kann viel schlafen, hat keinen Druck.»
*Namen sind der Redaktion bekannt