Sehr geehrter Herr Blocher,
wie mir die Zürcher Bildungsdirektion mitgeteilt hat, haben Sie als Schüler in den Fächern Geschichte und Staatskunde häufig gefehlt und entsprechend schlechte Noten geschrieben. Ich bin beauftragt worden, Ihnen an dieser Stelle Nachhilfeunterricht zu erteilen.
1. Die Schweiz zeichnet sich durch eine Reihe zivilisatorischer Errungenschaften aus. Eine davon ist das Recht, seine Meinung frei äussern zu dürfen, es gilt auch für die Medien. Man muss damit rechnen, dass sie davon in einer Weise Gebrauch machen, die einem nicht gefällt. Das nennt sich Demokratie, nicht «Diskriminierung». Diskriminierung bedeutet Erniedrigung einer Minderheit, und die SVP ist keine.
2. Weil wir kein Verfassungsgericht haben, hat es die Durchsetzungsinitiative vor die Urne geschafft, obwohl sie verfassungswidrig formuliert worden war. Im weiteren gründete sie auf einer menschenverachtenden Haltung. Beide Kriterien wurden in den Medien ausführlich diskutiert und mit gutem Grund angeprangert. Das nennt sich Journalismus, nicht «Verleumdung». Verleumdung bedeutet, dass Unwahrheiten in die Welt gesetzt werden.
3. Die Methoden der Nazis bei der Judenverfolgung sind – zum Glück – historisch einmalig. Wer sie zum Vergleich heranzieht, womit auch immer, argumentiert unsorgfältig und polemisch und verharmlost die damaligen Ereignisse. Wer von der Judenverfolgung spricht, sollte es einzig und allein im Zusammenhang mit der Judenverfolgung tun. Das nennt sich Sachlichkeit.
Im übrigen möchte ich Sie an dieser Stelle mit einem Phänomen aus der Psychologie konfrontieren, der sogenannten Projektion. Sie umschreibt den Vorgang, eigene Gefühle und Makel auf andere zu übertragen; aus einem Abwehrreflex heraus, wenn die Umwelt einen auf problematische Eigenheiten aufmerksam macht. Der Grund, warum Sie den Medien Diskriminierung und Verleumdung unterstellen, dürfte in der Projektion Ihrer eigenen zahllosen Herabwürdigungen und Lügenmärchen liegen. Dass Sie dabei so weit gehen, Ihre Partei den Holocaustopfern anzugliedern, deutet auf einen schweren Mangel an Realitätssinn hin.
Mit halbwegs freundlichen Grüssen
Ihr Thomas Meyer, jüdischer Schriftsteller (42) aus Zürich