Grün bemalte Balken, schiefe Wände, knarrende Böden: Wie ein fehlplatziertes Waldhäuschen duckt sich das Gebäude des Islamischen Zentrums Genf an einer Kreuzung im Viertel Eaux-Vives. Vor der Türe wühlen Frauen mit Kinderwagen und Kopftuch in Kisten voller Kleider, drinnen verteilen Helfer Esswaren und Getränke an Bedürftige, Flüchtlinge, Sans-Papiers.
Im zweiten Stock schliesst Hani Ramadan (57), Imam und Direktor des Zentrums, sein winziges Büro auf. «Es kommt alles gut», sagt er auf die Frage, ob er denn normal arbeiten könne nach diesem Wochenende. Dann lächelt er.
«Mein Anwalt hat mir geraten nichts mehr zu sagen»
Am Samstagnachmittag wies ihn Frankreich in die Schweiz aus – weil er zu extremistisch sei. Die Polizei eskortierte ihn von Colmar, wo er an einer Konferenz teilnahm, nach Basel. «Hani Ramadan ist aus der Vergangenheit bekannt für ein Verhalten und Äusserungen, die eine schwere Bedrohung für die öffentliche Ordnung auf französischem Boden darstellen», schrieb das französische Innenministerium in einer Mitteilung.
Zu den Vorwürfen will Ramadan nicht Stellung nehmen: «Ich würde mich gern eine Stunde mit Ihnen unterhalten», sagt er. «Aber mein Anwalt hat mir geraten, nichts mehr zu sagen.» Er bereite ein Verfahren gegen den Ausweisungs-Entscheid vor. Dann verweist er auf einen fünfseitigen Brief an das Innenministerium. Darin bezeichnet er die Entscheidung als unbegründet. Die Weisung sei fehlerhaft und gebe seine wahren Ansichten verkürzt wieder.
Die IS-Terrorband lehnt er ab
Hani Ramadan gilt als islamischer Hardliner, seine Positionen sind strenggläubig und konservativ. Den Koran nimmt er wörtlich. Genfer Politiker wie der SP-Nationalrat Carlo Sommaruga halten ihn aber nicht für einen Extremisten. Terrorismus und vor allem die IS-Terrorbande lehnt er explizit ab.
Oft hält Ramadan Vorträge in der Schweiz und Frankreich. Dennoch ist er weit weniger bekannt als sein Bruder Tariq (54), der islamische Starintellektuelle, der als einer der Vordenker eines europäischen Islams gilt. Beide haben einen Schweizer Pass und sind Enkel des Gründers der ägyptischen Muslimbruderschaft, Hassan al-Banna (†42). Ihr Vater Saïd (†69) gründete 1961 das Centre islamique in Genf.
Tariq, der Reformsalafist, musste sich von den Äusserungen seines Bruders Hani immer wieder distanzieren. Denn diese sorgten bereits mehrmals für Wirbel.
Unverschleierte Frauen sind wie eine Ein-Euro-Münze
Im vergangenen Sommer machte Hani Ramadan Schlagzeilen wegen eines Vortrags über Islamhass, den er an einer Genfer Schule hielt. Dabei soll er verschleierte Frauen verglichen haben mit Perlen in einer Muschel. Unverschleierte Frauen jedoch seien Ein-Euro-Münzen, die von einer Hand zur nächsten wandern. Gegen diese Darstellung, die im Ausweisungserlass der Franzosen zitiert wird, wehrt sich Ramadan in seinem Brief: Verschleierte Frauen seien nicht zwingend tugendhaft, sagt er, genauso wie unverschleierte Frauen nicht zwingend Dämoninnen seien.
Als weiteres Beispiel für Ramadans frauendiskriminierende Ansichten zitiert das Innenministerium eine Kolumne in der französischen Tageszeitung «Le Monde» aus dem Jahr 2002. Darin lehnt es Ramadan ab, die Steinigung von Ehebrecherinnen zu verurteilen, wie sie im Koran vorgesehen ist. Aids bezeichnet er im Beitrag mit dem Titel «Die unverstandene Scharia» als Strafe Gottes.
Ramadan erhielt 250'000 Franken Entschädigung
Wegen des Textes verlor er seine Stelle als Sekundarlehrer in Genf. Ramadan wehrte sich vor Gericht, die Entlassung wurde nach einem langen Verfahren aufgehoben und Ramadan mit 250'000 Franken vom Kanton Genf entschädigt. Nun sagt er, dass es im Beitrag gar nicht explizit um die Steinigung von Frauen gegangen sei, sondern um den abschreckenden Charakter dieser Strafe.
Im islamischen Zentrum will sich Ramadan nicht fotografieren lassen. Es tue ihm leid, aber er musste der «Tagesschau», dem welschen Radio, der «NZZ», ja selbst einem türkischen Sender absagen. Dann sagt er: «Gott beschütze Sie», drückt dem Reporter das Buch «Das islamische Recht: Theorie und Praxis» in die Hand, und geleitet ihn nach draussen.