Das erzählen unsere Touristenführer internationalen Gästen
«Schweizer laden nie Fremde ein!»

Touristen aus aller Welt erfahren von Fremdenführern Dinge, die nicht mal Einheimische wissen. Und für Zürich setzt es in Bern und Luzern saftige Seitenhiebe.
Publiziert: 28.07.2019 um 00:32 Uhr
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Aktualisiert: 24.01.2024 um 00:08 Uhr
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Miriam (30) ist Berner Lokalpatriotin. «Wir brauchen keinen See, wir haben die Aare!», erklärt sie den 14 Teilnehmern ihrer Free-Walking-Tour.
Foto: Thomas Schlittler
Thomas Schlittler

Miriam (30) ist Berner Lokalpatriotin. «Wir brauchen keinen See, wir haben die Aare!», erklärt sie den 14 Teilnehmern ihrer Free-Walking-Tour im Matte-Quartier. Berner würden einfach in den Fluss springen und sich durch die Bundesstadt treiben lassen. Dass sich die nicht Hauptstadt nennen darf, wissen die Zuhörer bereits.

Ein älterer Herr blickt auf die leere Aare und fragt mit osteuropäischem Akzent: «Wann ist denn dieser spezielle Tag, an dem die Menschen im Fluss baden?» Miriam schaut verdutzt: «On hot days – every day!»

Auch in Luzern beschäftigen sich die Gäste aus aller Welt mit Wasser. «Wow, grossartig!», sagt ein junger Australier. Der Grund seiner Begeisterung: Tour­guide Simon (26) hat seine PET-Flasche mit Brunnenwasser gefüllt und erklärt, es sei einwandfrei trinkbar.

Direkte Demokratie und Wehrpflicht als Thema

Der Geschichtsstudent gibt aber nicht nur Alltagswissen weiter, sondern wagt sich auch an Gesellschaftspolitisches, zum Beispiel die direkte Demokratie: «Wegen eines Spinners müssen wir alle paar Jahre darüber abstimmen, ob die verbrannten Bilder auf der Kapellbrücke durch Kopien ersetzt werden sollen.»

Oder zur allgemeinen Wehrpflicht: «Unsere Waffendichte ist im internationalen Vergleich ausserordentlich hoch – die Suizidrate auch.» Thema Schweizergarde: «Eigentlich eine illegale Söldnertruppe.» Das Rätoromanische: «Interessiert niemanden.» Die Religion: «Ist den meisten Schweizern egal.» Und die Luzerner Altstadt? «Hat nichts mit dem Mittelalter zu tun. Die scheinbar historischen Gebäude wurden viel später gebaut, um ein Na­tionalgefühl zu kreieren.»

Simon spricht Englisch, als wäre es seine Muttersprache. Blitzschnell stellt er Zusammenhänge her, provoziert seine Zuhörer – und hat sichtlich Spass dabei. «Als Tourguide bin ich für viele Touristen eine wichtige Informationsquelle über die Schweiz. Das finde ich extrem reizvoll.» Bei umstrittenen Fragen versuche er aber, alle verschiedenen Standpunkte wiederzugeben. «Und dann sage ich jeweils: I’m Swiss, I’m neutral!»

Politik oder günstiges Essen?

In Zürich hat Maria über 50 Zuhörer im Schlepptau. Die junge Frau, die in Finnland aufgewachsen ist, kommt ebenfalls nicht um heikle Themen herum.

«Wieso ist die Schweiz so reich?», will eine Amerikanerin wissen. Maria: «Nach dem Zweiten Weltkrieg war Europa am Boden, nur die Schweiz nicht. Und weil sich unsere Banken als sicher erwiesen hatten, begann der Finanzplatz zu florieren.» Die Fragende scheint zufrieden: «That makes sense.»

Generell seien politische Fragen eher selten, sagt Maria nach der Führung: «Die meisten interessiert vor allem, wo es günstiges Essen gibt.»

Vergleiche mit Zürich

Gaumenfreuden spielen auch in Bern eine Rolle. Vor einem Restaurant in der Altstadt sagt Miriam: «Hier könnt ihr einer Lieblingsbeschäftigung der Schweizer nachgehen: zu viel Käse essen. Die haben super Raclette!» Als kaum jemand reagiert, will sie wissen: «Wer kennt Raclette?» Die Hälfte der Hände bleibt unten. Eine Frau fragt: «Is it like fondue?»

Zum Picknicken empfiehlt die Bernerin die Münsterplattform, wo die Atmosphäre an Sommerabenden sehr relaxt sei. «Hier wurde ich sogar einmal von Fremden zum Picknick eingeladen – und Schweizer laden sonst nie Fremde ein!»

Etwas weniger cool sind die Berner bekanntlich, wenn es um Vergleiche mit Zürich geht. «Das Berner Münster hat den höchsten Kirchturm der Schweiz», sagt Miriam. «Und das Wichtigste: Er ist höher als alle Kirchtürme in Zürich.»

«Protestant Suckers!»

Simon in der Innerschweiz kann sich ­einen Seitenhieb gegen die Limmatstadt ebenfalls nicht verkneifen: «Wir Luzerner haben mehr Feiertage als alle anderen – und vor allem doppelt so viele wie die Zürcher. Protestant Suckers!»

Maria kontert auf Zürcher Art: Sie erwähnt andere Städte mit keinem Wort. Nur Appenzell schafft es in ihren Vortrag: als Kanton, der 1990 zum Frauenstimmrecht gezwungen werden musste.

Schweizer, die an einer solchen Tour teilnehmen, dürfen also keine patriotische Selbstbeweihräucherung erwarten. Dennoch lohnt sich die Teilnahme. Oder hätten Sie gewusst, dass auf dem Toblerone-Logo ein Berner Bär versteckt ist? Dass das Turmzifferblatt der Zürcher St.-Peter-Kirche grösser ist als jenes vom Big Ben in London? Und dass der Paradeplatz früher im wahrsten Sinne des Wortes ein «Säumärt» war?

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