Buchautorin Silvia Aeschbach über das Glück der Ältesten
«Verleugne nie was dir wichtig ist»

Die Zürcher Autorin Silvia Aeschbach wollte mehr über das Geheimnis des Glücks erfahren. Gesprochen hat sie dafür mit den Ältesten der Schweiz.
Publiziert: 06.04.2019 um 23:49 Uhr
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Aktualisiert: 08.04.2019 um 12:09 Uhr
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Paul (91): Reiste im hohen Alter noch nach Brasilien.
Foto: Walter Huber
Interview: Aline Wüst

SonntagsBlick: Warum haben Sie das Glück ausgerechnet bei den Alten gesucht?
Silvia Aeschbach: Weil viele Menschen das Vorurteil haben, dass ­Alter und Glück nicht zusammenpassen. Die Frauen und Männer, die ich in meinem Buch porträtiere, waren sehr alt, manche schon über 90. Was sie verbindet: Sie konnten sich ihr persönliches Glück immer wieder neu erkämpfen, trotz Schicksalsschlägen und Verlusten. Und das können wir Jüngeren von ihnen lernen.

Erzählen Sie uns Ihre 
überraschendste Erkenntnis!
Irmy verlor mit 70 Jahren ihren langjährigen Ehemann. Acht Jahre später wurde sie von einer Kollegin verkuppelt. Irmy verliebte sich Knall auf Fall, zog innerhalb weniger Wochen mit ihrem Freund zusammen. Oft hat man doch das Gefühl, dass es im Alter nur noch bergab geht. Irmy aber durfte mit fast 80  Jahren zum ersten Mal eine leidenschaftliche Liebe erleben.

Was haben Sie daraus gelernt?
Im Alter mehren sich zwar Krankheiten und Verluste. Aber wenn man offen bleibt und nicht resigniert, tun sich immer wieder neue Möglichkeiten auf.

Sie sagen: Das Glück ist eine 
Entscheidung.
Diese Menschen erzählten mir ehrlich, wie sie an schweren Schicksalsschlägen fast verzweifelt sind. Eine Frage stellte sich aber allen: Entscheidest du nach einer Phase des Trauerns, dass das Leben nun ohnehin vorbei? Oder stehst du wieder auf und machst weiter? Alle ­haben sich bewusst für die zweite Möglichkeit entschieden.

Was hilft dabei, das Glück in die Hände zu nehmen?
Man sollte immer eigene Leidenschaften pflegen, auch wenn man beruflich oder familiär engagiert ist. Das kann einem auch in schwierigen Zeiten Erfüllung geben.

Zum Beispiel?
Max (85) pflegt einen riesigen Rosengarten. Diese Leidenschaft half ihm bei der Demenzerkrankung und später beim Tod seiner Frau. Oder die Apothekerin Ruth, die mit ihrem Mann, der ebenfalls Apotheker war, ein gemeinsames Geschäft führte. Bereits in den 1960er-Jahren teilte sich das Paar Job-und Kinderbetreuung. Zu dieser Zeit war dies sehr ungewöhnlich. Für Ruth, die leider mit 91 Jahren vor kurzem verstorben ist, war dies jedoch eine Selbstverständlichkeit, weil sie nicht nur ihre Kinder, sondern auch ihren Beruf liebte.

Braucht Glück Mut?
Ja, immer wieder. Die 86-jährige Suzette ist ein gutes Beispiel. Als spiritueller Mensch war sie immer das schwarze Schaf in der Familie. In ihrem Leben musste sie sich immer wieder bewusst für ihren Weg und gegen die Konventionen der Gesellschaft entscheiden – ein schwieriger Prozess.

Die Liebesbeziehung gilt oft 
als wichtigster Glücksfaktor. 
Zu Recht?
Viele Frauen neigen auch heute noch dazu, im Partner ihr Lebensglück zu sehen. Sie vergessen ­dabei, dass jeder Mensch in erster Linie für sein eigenes Glück verantwortlich ist.

Wie meinen Sie das?
Viele alte Menschen haben mir gesagt: Vernachlässige nie wegen ­einer Liebesbeziehung oder wegen eines Berufs über längere Zeit deine Freunde. Denn deine Freunde sind noch da, wenn der Partner oder der Erfolg weg ist.

Aber die Liebe ist wichtig.
Natürlich. Liebe und auch die Leidenschaft sind der Motor für alles. Heute sehe ich die Liebe ganzheitlicher und erfahre sie nicht nur in Liebesbeziehungen, sondern auch bei meinen Freunden, bei meinen Tieren oder beim Schreiben.

Sie haben sich nun ein Jahr lang mit dem Geheimnis des Glücks auseinandergesetzt. Welchen Rat geben Sie einer 18-Jährigen?
Verleugne nie, was dir wichtig ist und was dich ausmacht, nur um ­ anderen zu gefallen.

Glück ist nicht makelloses Leben.
Wir streben stets nach Perfektion. Aber das ist langweilig. Spannend sind doch die Brüche im Leben. Ich fragte meine Interviewpartner darum nie: Was macht Sie glücklich? Sondern: Wie haben Sie es geschafft, ihr Glück wiederzufinden, zu behalten und zu geniessen – trotz aller Krisen?

Welche Aussage ist Ihnen besonders in Erinnerung geblieben?
Beeindruckt hat mich Margot, die mit 99 Jahren noch immer auf dem Golfplatz stand. Ihr Motto war: ­Feiere die Feste, bis du selbst fällst. Drei Monate vor ihrem Tod hat sie ihren 100. Geburtstag mit allen ­ihren Lieben an fünf verschiedenen Orten gefeiert. Das nenne ich ­Lebensfreude bis zuletzt!

Haben diese Gespräche Ihren Blick auf das Alter verändert?
Absolut. Wie viele Falten jemand hat oder ob er am Rollator geht, hat überhaupt nichts damit zu tun, wie er sich innerlich fühlt. Wir sind das, was wir erlebt haben und was uns ausmacht. Egal, ob wir 30, 60 oder 90 sind.

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