Im Berner Kursaal besiegt die 1,63 Meter grosse Profi-Boxerin die Deutsche Natascha Guthier (27). «Der Match war für mich das Highlight in diesem Jahr», sagt die neue Nummer eins.
Der Kampf um den Weltmeistertitel hat für die Boxerin noch andere Folgen. Aniya Seki: «Die IV hat meine Rente im August sistiert.» Das Amt war stutzig geworden. Eine topfitte Sportlerin, die angeblich körperlich krank ist? Eine Profi-Boxerin, die IV kassiert?
Aniya Seki gibt sich selbstbewusst: «Ja, ich stehe dazu, schäme mich nicht. Ich wollte vor dem WM-Kampf nicht in den Medien darüber reden. Meine Gegnerin sollte nur Starkes über mich lesen.»
Die Bernerin leidet an Ess-Brech-Sucht.
«Seit meinem 13. Lebensjahr kämpfe ich dagegen an. In meiner schlimmsten Zeit war ich nur noch 44 Kilo schwer.» Heute wiegt sie 55.
Seit Januar 2007 bekommt Aniya Seki eine volle IV-Rente.
«Es ist eine 77-Prozent-Rente. 1670 Franken pro Monat.» Zusätzlich ist sie Abwartin in einem Mehrfamilienhaus in Köniz BE, in dem sie wohnt.
«Ich boxe gegen meine Bulimie», sagt Aniya Seki. «Das Boxen gibt mir Halt. Die Kliniken haben mir im Kampf gegen meine Krankheit nicht geholfen.» 1998 muss die damals 19-Jährige wegen ihrer Krankheit sechs Monate ins Unispital Zürich.
Sie lässt sich umschulen, macht eine Lehre als Detailhandelsangestellte.
2005 wird sie rückfällig, wird wegen Bulimie zwei Jahre krankgeschrieben.
«Es ist eine Krankheit, die psychisch stark beeinträchtigt», sagt ihre Managerin Barbara Trachsel. In dieser Zeit fängt Aniya Seki mit Boxen an.
«Ich stehe dazu, dass ich Bulimie habe und dafür eine IV-Rente bekomme. Bulimie ist ein Problem für viele Mädchen und Frauen. Vier meiner Freundinnen sind daran gestorben.»
Aniya Seki will sich mit dem Kampfsport selber heilen. «Ich habe mich mit Boxen soweit aufgebaut, dass ich den Alltag meistern kann», erklärt sie. Doch die Sucht hat sie noch nicht besiegt. «Ich stehe jeden Morgen auf und muss mich entscheiden: Kotzen oder trainieren? Manchmal komme ich mir vor, als ob ich auf einem Berg stehe und unter mir geht es steil hinunter.»
Wie schafft es jemand, der an Bulimie leidet, gleichzeitig Spitzensportlerin zu sein?
Aniya Seki antwortet ohne Zögern: «18-mal Kotzen am Tag ist anstrengender als Spitzensport. Wenn ich einen Absturztag habe, kann ich nicht trainieren. Ich kann an einem Tag nicht erbrechen und trainieren.»
In einer Woche muss die neue Box-Weltmeisterin bei der IV in Bern antraben. Das Amt will abklären, ob die junge Frau weiter Rente bekommen soll. «Ich bin keine Betrügerin», betont Aniya Seki.
«Ich versuche, im Leben einen Weg zu finden», erklärt die 32-Jährige. «Mein Ziel ist, auf eigenen Beinen zu stehen und nicht mehr auf die Rente angewiesen zu sein. Ich möchte einmal etwas im Sozialbereich machen. Vielleicht Kinder und Jugendliche in Boxen unterrichten.»
Was ist Bulimie genau?
Christiane Schräer: Es ist eine Ess-Brech-Sucht. Die Krankheit äus-sert sich durch unkontrollierte Essanfälle, gefolgt von bewusst herbeigeführtem Erbrechen.
Was löst die Krankheit aus?
Die Persönlichkeit spielt eine Rolle. Oft sind Frauen mit einem tiefen Selbstbewusstsein betroffen. Auslöser kann eine einschneidende Veränderung im Leben sein: etwa eine Trennung, die Pubertät oder eine schwierige Familiensituation.
Wie unterscheidet sich Bulimie von der Magersucht?
Magersüchtige unterdrücken ihr Hungergefühl, essen möglichst wenig. Oft entwickelt sich aus der Magersucht eine Bulimie.
Wie kann man mit Bulimie den Alltag meistern?
Ist sie nicht exzessiv, ist das möglich. Doch viele kapseln sich ab. Mit Freunden Essen gehen ist für sie eine schwierige Situation. Sie entwickeln Scham- und Schuldgefühle.
Und die Gesundheit?
Bulimie ist für den Körper schädlich. Folgen können sein: Herz-Kreislauf-Störungen, Magen- und Zahnprobleme. Das Erbrechen kann zudem einen Nährstoffmangel verursachen.
Können Bulimie-Kranke Spitzensport betreiben?
Je nach Ausprägungsgrad ist das sicher möglich. Bei exzessiver Bulimie stösst man aber an eine Leistungsgrenze.
Wieso leiden oft auch Sportler unter Bulimie?
Eine Erklärung ist: Sie stehen unter hohem Druck. Alles ist strukturiert, oft auch der Ernährungsplan. Es gibt wenig Freiraum, eigenen Bedürfnissen zu folgen. Durch die Sucht versuchen sie, Spannung abzubauen.
Welche Sportarten sind betroffen?
Meist ästhetische Disziplinen, wo das Gewicht eine Rolle spielt: Etwa Ballett und Eiskunstlaufen bei den Frauen, Skispringen bei den Männern. Aber auch Volleyball oder Leichtathletik.
Was kann man dagegen tun?
Man muss sich Zeit nehmen, um auf die eigenen Bedürfnisse zu achten. Aber alleine geht es nicht: Es braucht professionelle Hilfe!
Interview: Michael Spillmann
*Christiane Schräer (46), lic. phil., ist
Psychologische Beraterin der Arbeitsgemeinschaft Ess-Störungen (AES)
Was ist Bulimie genau?
Christiane Schräer: Es ist eine Ess-Brech-Sucht. Die Krankheit äus-sert sich durch unkontrollierte Essanfälle, gefolgt von bewusst herbeigeführtem Erbrechen.
Was löst die Krankheit aus?
Die Persönlichkeit spielt eine Rolle. Oft sind Frauen mit einem tiefen Selbstbewusstsein betroffen. Auslöser kann eine einschneidende Veränderung im Leben sein: etwa eine Trennung, die Pubertät oder eine schwierige Familiensituation.
Wie unterscheidet sich Bulimie von der Magersucht?
Magersüchtige unterdrücken ihr Hungergefühl, essen möglichst wenig. Oft entwickelt sich aus der Magersucht eine Bulimie.
Wie kann man mit Bulimie den Alltag meistern?
Ist sie nicht exzessiv, ist das möglich. Doch viele kapseln sich ab. Mit Freunden Essen gehen ist für sie eine schwierige Situation. Sie entwickeln Scham- und Schuldgefühle.
Und die Gesundheit?
Bulimie ist für den Körper schädlich. Folgen können sein: Herz-Kreislauf-Störungen, Magen- und Zahnprobleme. Das Erbrechen kann zudem einen Nährstoffmangel verursachen.
Können Bulimie-Kranke Spitzensport betreiben?
Je nach Ausprägungsgrad ist das sicher möglich. Bei exzessiver Bulimie stösst man aber an eine Leistungsgrenze.
Wieso leiden oft auch Sportler unter Bulimie?
Eine Erklärung ist: Sie stehen unter hohem Druck. Alles ist strukturiert, oft auch der Ernährungsplan. Es gibt wenig Freiraum, eigenen Bedürfnissen zu folgen. Durch die Sucht versuchen sie, Spannung abzubauen.
Welche Sportarten sind betroffen?
Meist ästhetische Disziplinen, wo das Gewicht eine Rolle spielt: Etwa Ballett und Eiskunstlaufen bei den Frauen, Skispringen bei den Männern. Aber auch Volleyball oder Leichtathletik.
Was kann man dagegen tun?
Man muss sich Zeit nehmen, um auf die eigenen Bedürfnisse zu achten. Aber alleine geht es nicht: Es braucht professionelle Hilfe!
Interview: Michael Spillmann
*Christiane Schräer (46), lic. phil., ist
Psychologische Beraterin der Arbeitsgemeinschaft Ess-Störungen (AES)