«Das Wichtigste sind die Schulungen»
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Missbrauch in der Kirche:«Das Wichtigste sind die Schulungen»

Katholische Hardliner machen homosexuelle Priester für Missbrauch-Skandale verantwortlich
Jetzt wehren sich schwule Pfarrer

Homophobe Papstgegner machen schwule Priester für den sexuellen Missbrauch in der katholischen Kirche verantwortlich. BLICK lässt den reformierten Sebastian Rückel und einen katholischen Priester zu Wort kommen.
Publiziert: 22.02.2019 um 23:35 Uhr
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Aktualisiert: 23.10.2020 um 13:31 Uhr
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«Es ist natürlich einfacher, Homosexuelle zum Sündenbock zu machen, als sich den vielfältigen Gründen und Ursachen für Missbrauch zu stellen», sagt Sebastian Rückel.
Foto: Stefan Bohrer
Fabienne Kinzelmann

Beten, Lernen, Römerkragen – nur keinen Raum zum Nachdenken. So erinnert sich Bernhard G.* an das Priesterseminar. Nach der Schule trat er dort ein. Doch mit der Zeit wurde ihm seine Kirche immer fremder. Denn: Sie hat ein Problem mit einem Teil von G.s Persönlichkeit. Genauer: mit seiner Sexualität. G. ist schwul. Bewusst war ihm das lange nicht. «In der Ausbildung war Sexualität kein Thema. Selbstbefriedigung galt als Sünde, die man üblicherweise beichtete», erzählt er dem BLICK. Erst als er längst geweiht war, merkte er, dass er auf Männer steht.

Schwuler Pfarrer hat seinen Frieden gefunden

Fünf bis zehn Prozent aller Menschen sind homosexuell, schätzen Forscher. Von den 2461 katholischen Priestern in der Schweiz müssten es rein statistisch also mindestens 123 sein. Doch sie leben im Verborgenen. Schwulen Priestern droht in der katholischen Kirche die Entlassung aus dem Priesterstand – wer sich outet, riskiert den Beruf, das Ansehen, die Pensionsansprüche. Auch G. muss darum anonym bleiben.

Seit rund 30 Jahren ist G. katholischer Pfarrer, amtet in der Deutschschweiz. Obwohl er nicht öffentlich zu seiner Homosexualität stehen kann, will sich G. «die Bibel nicht wegnehmen lassen».

Er hat seinen Frieden damit gefunden. Die konservativen Hardliner im Vatikan nicht.

Erzkonservative: Homosexuelle Netzwerke sind das eigentliche Übel

Erzkonservative Scharfmacher wie der Ex-Kurienkardinal Gerhard Müller, der Churer Weihbischof Marian Eleganti oder der US-Kardinal Raymond Burke behaupten, die Kirche habe kein Missbrauchs-, sondern nur ein Homo-Problem. Den historischen Anti-Missbrauchsgipfel, der noch bis Sonntag im Vatikan stattfindet, nutzen die Reaktionäre für ihre Agenda – obwohl Homosexualität nicht mal auf der Tagesordnung steht.

Die Papstgegner Burke und Walter Brandmüller veröffentlichten vorab einen offenen Brief, in dem sie «homosexuelle Netzwerke» als eigentliches Übel der katholischen Kirche ausmachen. Das Schreiben wendet sich gegen die These von Papst Franziskus, eine Selbstüberhöhung der Geistlichen sei die Hauptursache für den sexuellen Missbrauch.

Während hinter den Vatikanmauern der Machtkampf zwischen jenen tobt, die endlich über sexuelle Gewalt sprechen wollen und jenen, die sie benutzen, um Franziskus eins auszuwischen, sind die Reformierten schon weiter.

Kirchgemeindehaus Lenzburg im Kanton Aargau, später Donnerstagnachmittag. Der Abschluss einer Schulung gegen sexuellen Missbrauch in der Kirche. In einer der vorderen Reihen sitzt ein schlanker, blonder Mann mit beigen Jackett und einem Einstecktuch mit Blumenmuster über dem schwarzen Collarhemd. Auf seinem Gesicht wandeln sich Staunen und Erschütterung über einen Filmausschnitt, den die Referentin der Fachstelle Limita zeigt.

«Es ist einfacher, Homosexuelle zum Sündenbock zu machen»

Der Mann heisst Sebastian Rückel. Auch er ist Pfarrer, auch er ist homosexuell – doch anders als bei seinem katholischen Amtskollegen spielt das für seine Kirche keine Rolle. Der 36-Jährige sitzt nicht im Präventionsseminar, weil er unter Generalverdacht steht, sondern weil die reformierte Landeskirche Aargau erkannt hat: Wenn wir sexuellen Missbrauch verhindern wollen, müssen wir unser Personal dafür sensibilisieren – Pfarrer genauso wie Religionslehrerinnen und Ehrenamtliche. Sie alle müssen seit Jahresbeginn eine Pflicht-Schulung durchlaufen, um Risikosituationen und Grenzverletzungen erkennen, vermeiden oder darauf entsprechend reagieren zu können.

«Es ist natürlich einfacher, Homosexuelle zum Sündenbock zu machen, als sich den vielfältigen Gründen und Ursachen für Missbrauch zu stellen», sagt Rückel, der katholisch aufgewachsen ist. Pfarrer wurde er lieber bei den Reformierten. Dort bekommt er mehr Raum für seine Lebensgestaltung. Dazu gehört ganz selbstverständlich auch seine Sexualität – ohne, dass er sie thematisieren müsste. «Wer mich fragt, bekommt eine Antwort. Eine Rolle spielt es in meinem Alltag als Pfarrer und für meine Kirche nicht.»

Auch bei den Reformierten sind nicht alle Landeskirchen gleich weit. Doch es gibt Segnungsgottesdienste für Homosexuelle und unter den Pfarrern lesbische und schwule Pärchen – ohne dass sie Angst haben müssten, stigmatisiert oder gekündigt zu werden. «Mir wurde es leicht gemacht», sagt Sebastian Rückel.

Davon kann der Katholik Bernhard G. nur träumen. Um überhaupt offen über seine Sexualität sprechen zu können, hat er sich einem Verein schwuler Seelsorger in der Schweiz angeschlossen. Nicht nur dort schüttelt man den Kopf über den Link, den die Hardliner zwischen Homosexualität und Missbrauch ziehen wollen. Die Erfahrung aus der Verbandsarbeit zeige ausserdem: Die Homophoben seien oft selbst schwul. Ganz nach dem Motto: Was ich nicht darf, soll auch kein anderer dürfen. *Name geändert

Autor: Vatikan vertuscht Homosexualität und Missbrauch

Der Vatikan muss sich beim Kampf gegen Missbrauch nach Meinung eines Buchautors auch mit dem Tabuthema Homosexualität auseinandersetzen. Das fordert Frédéric Martel (51), dessen Vatikan-Enthüllungsbuchs «Sodoma» am Donnerstag erschienen ist.

Homosexualität werde in der Katholischen Kirche unterdrückt und geheim gehalten, so dass es ein System der Vertuschung gebe. Missbrauchstäter würden dadurch geschützt. Martel betont, Homosexualität habe an sich nichts mit Missbrauch zu tun. Wenn allerdings schwule Kirchenobere ihre eigene Sexualität unterdrücken müssten, würden sie auch missbrauchende Geistliche nicht überführen, weil sie Angst vor dem Scheinwerferlicht hätten.

In einer Studie der Deutschen Bischofskonferenz heisst es, dass das «komplexe Zusammenspiel von sexueller Unreife, abgewehrten und verleugneten sowie die zum Zeitpunkt der Berufswahl möglicherweise latenten homosexuellen Neigungen in einer ambivalenten, teilweise auch offen homophoben Umgebung» eine von mehreren Erklärungen für das Überwiegen männlicher Betroffener beim Missbrauch durch Kleriker sein könne.

Der Vatikan muss sich beim Kampf gegen Missbrauch nach Meinung eines Buchautors auch mit dem Tabuthema Homosexualität auseinandersetzen. Das fordert Frédéric Martel (51), dessen Vatikan-Enthüllungsbuchs «Sodoma» am Donnerstag erschienen ist.

Homosexualität werde in der Katholischen Kirche unterdrückt und geheim gehalten, so dass es ein System der Vertuschung gebe. Missbrauchstäter würden dadurch geschützt. Martel betont, Homosexualität habe an sich nichts mit Missbrauch zu tun. Wenn allerdings schwule Kirchenobere ihre eigene Sexualität unterdrücken müssten, würden sie auch missbrauchende Geistliche nicht überführen, weil sie Angst vor dem Scheinwerferlicht hätten.

In einer Studie der Deutschen Bischofskonferenz heisst es, dass das «komplexe Zusammenspiel von sexueller Unreife, abgewehrten und verleugneten sowie die zum Zeitpunkt der Berufswahl möglicherweise latenten homosexuellen Neigungen in einer ambivalenten, teilweise auch offen homophoben Umgebung» eine von mehreren Erklärungen für das Überwiegen männlicher Betroffener beim Missbrauch durch Kleriker sein könne.

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