Erdogan wirkt, bevor er überhaupt in Sichtweite ist. «Ich bin extrem nervös», sagt eine junge Muslima mit Kopftuch. Sie zittert vor Aufregung. «Ich will ihm nur sagen, dass wir für ihn hier warten und dass wir ihn lieben.»
Dann kommt er – der türkische Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan (65). Ein autoritärer Machthaber für die einen, ein Held für seine Unterstützer. Knapp 150 von ihnen haben sich gestern früh vor dem Nobel-Hotel Four Seasons in Genf versammelt. Stundenlang haben sie auf ihn gewartet, sind gar aus den Nachbarländern angereist.
Als er aus dem Auto aussteigt, gibt es kein Halten mehr. Seine Anhänger schwenken Fahnen, rufen «Erdogan! Erdogan!». Der türkische Präsident hält Hof, lässt sich feiern wie ein Popstar. Vor allem die Frauen drehen durch. «Wahnsinn!», stammelt Havva Aktas (61) aus dem Aargau mit Tränen in den Augen, nachdem ihr der Präsident die Hand gereicht hat. «Es war umwerfend, ihn zu treffen», sagt Studentin Serap (21) aus Lyon (F).
Kritik wird von seinen Fans nicht geduldet
Telefonistin Fadime (25) ist mit ihrem Bruder Yunus (16) aus Basel angereist: «Es ist uns eine Ehre, ihn mal sehen zu können.» Und Sena (43) aus Zürich schwärmt: «Er hat die Türkei zum Guten verändert. Ich möchte ihm einfach nur sagen: Schön, dass es dich gibt.»
Kritik an «ihrem» Präsidenten duldet sie nicht – nicht wegen seines Umgangs mit der kurdischen Minderheit, nicht wegen seines brutalen Einmarsches in Syrien im Oktober. «Ich bin auch Kurdin, und ich stehe hinter ihm. Wenn in der Schweiz ein Kanton unabhängig werden will, geht das ja auch nicht.»
Gut zehn Minuten nimmt sich Erdogan für seine Fans Zeit, dann verschwindet er ins noble Hotel. Eine Rede vor Unterstützern ist angesetzt. Er macht das gerne – Auslandtürken sind für ihn eine wichtige Unterstützergruppe. Die Schweiz ist gegen den Propaganda-Auftritt machtlos.
Linke und Kurden drohen mit Protesten
Erdogans Schweiz-Besuch hat einen offiziellen Hintergrund. Heute und morgen findet in Genf das erste Globale Flüchtlingsforum statt. Eine Folge des UN-Flüchtlingspakts, zu dem auch die Schweiz vor einem Jahr zusammen mit 180 Ländern fast diskussionslos Ja gesagt hat.
Zur Eröffnung will der türkische Präsident ein paar Worte sagen. Seit 2015 hat die Türkei rund vier Millionen Menschen aufgenommen, die vor Krieg und politischer Verfolgung geflohen sind. Verständlich, dass Erdogan an einer besseren Zusammenarbeit interessiert ist. Im Gegensatz zu gestern dürfte sein Auftritt vor den Vereinten Nationen aber einzig Schweizer Sicherheitskräfte nervös machen: Linke Aktivisten und Kurden bereiten Proteste vor.